Duisburg/Essen. Im Stahlstreit bei Thyssenkrupp üben IG-Metall-Bezirksleiter Giesler und Konzernbetriebsratschef Nasikkol scharfe Kritik an Vorstandschef López.
Nach öffentlicher Kritik von Thyssenkrupp-Chef Miguel López am Vorstand der Stahlsparte gibt Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol dem Management in Duisburg Rückendeckung. „Herr López muss sofort damit aufhören, den Stahlvorstand öffentlich zu beschädigen und weiter Druck auszuüben“, erklärte Nasikkol in einem Statement, das der Betriebsrat am Freitag (16. August) verschickte. „Die Stahlkompetenz liegt in Duisburg und nicht in Essen“, betonte Nasikkol. In Essen befindet sich das Büro von López, in Duisburg arbeitet der Stahlvorstand um Spartenchef Bernhard Osburg.
Im Gespräch mit unserer Zeitung wurde Knut Giesler, Chef der IG Metall in NRW noch deutlicher und appellierte an Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm und Ursula Gather, die Chefin der Krupp-Stiftung: „Jemand muss López stoppen.“
López wirft Stahlvorstand Schönfärberei vor
Nach einer Aufsichtsratssitzung zur Zukunft der Stahlsparte hatte López vor wenigen Tagen in ungewöhnlich harter Form Kritik am von Osburg geführten Vorstand geübt. Der Vorstand von Thyssenkrupp Steel Europe müsse „endlich einen langfristig tragfähigen, soliden und finanzierbaren Businessplan für die Neuausrichtung des Stahlbereichs“ vorlegen, forderte López und mahnte einen „nüchternen, realistischen Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“ an.
Tekin Nasikkol, der unter den Arbeitnehmervertretern von Thyssenkrupp eine herausgehobene Stellung hat, spricht Osburg sein Vertrauen aus und kritisiert López zugleich scharf. „Der Stahlvorstand ist sich seiner Verantwortung bewusst und weiß, wie ein Stahlwerk funktionieren kann“, so Nasikkol. „Was Stahl angeht, ist Essen interessengeleitet, nicht mehr sachorientiert, und will den Stahl so billig wie möglich loswerden.“
López‘ Stahlkompetenz zweifelt auch Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, im Gespräch mit unserer Redaktion an. Dass López die Produktionskapazität von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) noch weiter als der Stahlvorstand senken wolle, sei in dieser Form „technisch nicht umsetzbar“, sagt Giesler. Während Stahl-Chef Osburg die Kapazität von 11,5 auf neun bis 9,5 Millionen Tonnen senken will, fordert López dem Vernehmen nach eine Reduzierung unter neun Millionen Tonnen.
IG Metall sieht Tausende Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp Steel bedroht
Doch so einfach gehe das nicht, betont Giesler, ein Stahlwerk lasse sich nicht im Normalschichtbetrieb führen und beliebig drosseln. „Wenn López sich mit seinen Plänen durchsetzt, stünden ganze Hochöfen und Stahlwerke zur Disposition, dann ginge es in der Praxis eher in Richtung Halbierung“, warnt Giesler. Und: „Dann reden wir über einen noch viel größeren Personalabbau und dann sehen wir am Ende eine Spur der industriellen Verwüstung in Duisburg und in NRW.“
Schon mit Osburgs Plänen stehen Tausende Jobs bei Thyssenkrupp Steel Europe und 3000 bei der 50-Prozent-Tochter HKM im Duisburger Süden im Feuer. Ein Abbau nach López‘ Vorstellungen würde Tausende weitere Stellen kosten und die Restrukturierungskosten für den Personalabbau derart erhöhen, dass TKSE sie kaum werde stemmen können. Zudem werde sich das Versprechen, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, kaum einhalten lassen.
Giesler: „Da muss jetzt mal eine oder einer Stopp sagen“
Giesler appelliert an die Anteilseigner, dem Einhalt zu gebieten, auch sie hätten eine Verantwortung für das Unternehmen. Er verstehe nicht, warum sie immer noch hinter López stehen. Der habe versprochen, Thyssenkrupp an den Kapitalmärkten attraktiver zu machen, „stattdessen hat sich der Börsenwert von Thyssenkrupp seit López‘ Amtsantritt mehr als halbiert“, betont Giesler. „Jede Entscheidung des Konzernvorstands hat in den vergangenen Monaten zu weiterer Wertminderung und weiterem Chaos im Konzern geführt.“
„Da muss jetzt mal eine oder einer Stopp sagen“, fordert der IG-Metall-Bezirksleiter in NRW. Wen er auf der Kapitalseite in Verantwortung sieht? „In erster Linie stehen die Chefin der Krupp-Stiftung als größter Einzelaktionärin, Ursula Gather, und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm in der Pflicht.“ Vor einigen Tagen hatten Beschäftigte bereits auf dem Gelände der Villa Hügel in Essen demonstriert, wo die Krupp-Stiftung ihren Sitz hat.
Nasikkol mit Doppelfunktion bei den Arbeitnehmern
Betriebsratschef Nasikkol treibt die Motivlage des Konzernchefs um: Ihm kommt es vor, „als handle es sich um einen persönlichen Konflikt zwischen Herrn López und Herrn Osburg, den CEO der Thyssenkrupp Steel Europe AG, der jedoch nur einseitig geführt wird“. Dies sei „absolut unangebracht und hinterlässt verbrannte Erde“. Nasikkol forderte López dazu auf, sich einer „konstruktiven Diskussion zu stellen“.
Tekin Nasikkol hat als Arbeitnehmervertreter eine Doppelfunktion: Er ist Konzernbetriebsratschef des Essener Konzerns Thyssenkrupp, zu dem insgesamt rund 100.000 Beschäftigte gehören. Zugleich fungiert er als Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg mit rund 27.000 Arbeitnehmern.
„Es herrscht nicht nur Frustration, sondern die Stimmung gegenüber Essen heizt sich weiter auf“, berichtet Nasikkol. „Die Verunsicherung in der Belegschaft wird täglich größer. Die Methode López mit der Brechstange ist falsch und gefährlich, eine verantwortungsvolle und sachliche Debatte wird aus Essen nicht mehr geführt.“
Es stehe „viel zu viel auf dem Spiel“, so Nasikkol. „Es geht um die Zukunft des größten deutschen Stahlproduzenten, es geht um die Zukunft von Zehntausenden Arbeitsplätzen in der ganzen Region und eine sichere Perspektive für über 27.000 Familien.“
Thyssenkrupp-Finanzchef: Stahl kann nicht dauerhaft quersubventioniert werden
In einem Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt, betont derweil der neue Thyssenkrupp-Finanzvorstand Jens Schulte, wie wichtig eine Lösung für die Stahlsparte auch mit Blick auf den Gesamtkonzern ist.
Dem vom Stahlvorstand vorgelegten „Businessplan“ habe der Mutterkonzern noch nicht zustimmen können, erklärte Schulte. „Unser Ziel ist es, dass der Bereich seine Investitionen in die Zukunft aus eigener Kraft bewältigen kann. Da sind wir finanziell noch weit von entfernt. So ehrlich müssen wir miteinander sein. Kein Bereich, auch nicht der Stahl, kann für sich in Anspruch nehmen, durch die Erträge anderer Geschäfte von Thyssenkrupp dauerhaft quersubventioniert zu werden.“ Für den 29. August ist eine weitere Aufsichtsratssitzung der Duisburger Stahlsparte geplant, wie Steel-Chefkontrolleur Sigmar Gabriel ankündigte.
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