Essen. Der neue Thyssenkrupp-Finanzchef Jens Schulte schlägt bei seiner ersten Pressekonferenz andere Töne an als Konzernchef Miguel López.
Wenn ein Vorstandsmitglied seine Managerkollegen lobt, ist das in aller Regel nicht der Rede wert. Doch die Lage bei Thyssenkrupp ist eine besondere. Gerade erst hat der umstrittene Vorstandsvorsitzende Miguel López in aller Öffentlichkeit gegen Stahlchef Bernhard Osburg ausgeteilt. Der Vorstand von Steel Europe müsse „endlich einen langfristig tragfähigen, soliden und finanzierbaren Businessplan für die Neuausrichtung des Stahlbereichs“ vorlegen, forderte López in einem ungewöhnlichen Statement nach einer Aufsichtsratssitzung der Stahlsparte in Duisburg. Und dann forderte López noch einen „nüchternen, realistischen Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“.
Der neue Thyssenkrupp-Finanzchef Jens Schulte schlägt hingegen bei seiner ersten Pressekonferenz ganz andere Töne an als der Vorstandsvorsitzende. Ausdrücklich zeigt Schulte Verständnis für Stahlchef Osburg und sein Team. Einen Neustart der Stahlsparte zu organisieren, sei „ein äußerst anspruchsvolles Unterfangen“, sagt Schulte. Schließlich gehe es darum, in einem „angespannten Umfeld“ gleichzeitig die grüne Transformation möglich zu machen und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern. „Insofern, und das sage ich hier und das sage ich auch intern im Unternehmen“, so Schulte, verdiene die Arbeit daran „durch den Stahlvorstand den größten Respekt“. Als wolle er sichergehen, dass die „Respekt-Botschaft“ auch wirklich ankommt, formuliert sie der Manager im Verlauf der Pressekonferenz auch ein zweites Mal.
Im Lager der Arbeitnehmervertreter dürfte die Positionsbestimmung des neuen Thyssenkrupp-Finanzchefs aufmerksam registriert worden sein. Angriffe von Konzernchef López auf Stahlvorstand Osburg seien in den vergangenen drei Monaten „das neue Normal“ gewesen, sagt ein Insider. Dass der neue Mann im Thyssenkrupp-Vorstand in dieser Phase Eigenständigkeit beweist, ist zumindest bemerkenswert.
Thyssenkrupp-Finanzchef: Stahl „auf eigene Füße stellen“
Es sei das Ziel, den Stahl „auf eigene Füße zu stellen“, betont Schulte. Das Unternehmen müsse „bestehen können“ und in der Lage sein, „auch mit schwierigen Marktgegebenheiten“ umzugehen. „Darauf arbeiten wir alle hin.“
Im Kern geht es um die Frage, wie viel Geld die Duisburger Stahlsparte vom Essener Mutterkonzern erhalten soll, wenn sie mit ihren rund 27.000 Beschäftigten aus dem Gesamtverbund herausgelöst wird. Von Summen zwischen 2,5 Milliarden und vier Milliarden Euro ist die Rede. Die IG Metall vermutet, López wolle den „Finanzierungsbedarf durch die AG so klein wie möglich halten“.
Thyssenkrupp sucht weitere Investoren für Stahl-Deal mit Kretinsky
Ob Thyssenkrupp genug Geld in der Kasse habe, um der Stahlsparte eine angemessene „Mitgift“ geben zu können? In einem anderen Kontext berichtet Finanzchef Schulte während der Quartals-Pressekonferenz, der Konzern habe rund 3,2 Milliarden Euro Nettofinanzguthaben. Die Bilanz von Thyssenkrupp sei „solide“.
Wie viel Geld die Stahlsparte erhalten werde, sei allerdings eine „äußert komplexe Frage“, merkt Schulte an. Zunächst einmal gehe es darum, den Finanzbedarf „vernünftig“ zu beziffern. Dazu werde nun ein Gutachten erstellt, was mehrere Monate in Anspruch nehme. Danach gehe es um das Thema der „Finanzierungsquellen“. „Unsere Idee ist, dass es mehrere Finanzierungsquellen gibt“, sagt Schulte. „Wir sind sicherlich die eine: Thyssenkrupp.“ Der Konzern könne Eigenkapital bei der Stahlsparte einbringen. „Man nennt das immer Mitgift.“ Außerdem wolle der Vorstand versuchen, „weitere Investoren zu gewinnen“, Banken beispielsweise. Er sei insgesamt zuversichtlich, sagt Schulte, betont aber auch: „Es ist ein sehr, sehr langer Prozess.“
Kretinsky-Deal soll Bilanz von Thyssenkrupp verändern
Wenn es gelinge, mit dem tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky ein Gemeinschaftsunternehmen zu bilden, an dem beide Seiten jeweils die Hälfte die Anteile halten, ändere sich auch die Bilanz von Thyssenkrupp. Der Stahl werde „dekonsolidiert“, wie es die Finanzwelt nennt. Die Traditionssparte soll dann nicht mehr wie bisher das Zahlenwerk des Essener Industriegüterkonzerns prägen. Was mit Kretinsky realisiert werden solle, sei in der Vergangenheit bereits beim Deal mit dem indischen Tata-Konzern geplant gewesen, sagt Schulte zur Einordnung.
Sechs Jahre liegt die feierliche Zeremonie zum Bündnis Thyssenkrupp-Tata in Brüssel mittlerweile zurück. Der damalige Konzernchef Heinrich Hiesinger schien am Ziel zu sein und eine „Lösung für den Stahl“ gefunden zu haben. Doch kurz darauf gab Hiesinger bei Thyssenkrupp auf. Einige Monate später wurden auch die Pläne für die Stahlfusion begraben.
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