Essen/Duisburg. Thyssenkrupp-Konzernchef López greift Stahlchef Osburg an. IG Metall: weitere Eskalation. Investor Kretinsky mischt in Duisburg mit.

In Form und Wortwahl war es ein überaus ungewöhnliches Statement, das Thyssenkrupp-Chef Miguel López veröffentlichen ließ. „Uns als Thyssenkrupp AG und verantwortlicher Eigentümerin geht es darum“, schrieb der Manger, „dass der Vorstand von Steel Europe endlich einen langfristig tragfähigen, soliden und finanzierbaren Businessplan für die Neuausrichtung des Stahlbereichs vorlegt“. Es ist ein Satz, der sich als Frontalangriff auf den Stahlvorstand um Bernhard Osburg verstehen lässt. Und López legt noch nach: „Was wir jetzt brauchen, ist ein nüchterner, realistischer Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei.“

Aus Sicht der IG Metall ist das Kalkül des Managers, der seit etwas mehr als einem Jahr an der Spitze des Essener Industriekonzerns mit seinen rund 100.000 Beschäftigten steht, durchschaubar. „Konzernchef López setzt mittlerweile öffentlich den Stahlvorstand unter Druck. Er müsse ein Restrukturierungskonzept vorlegen, das noch tiefere Einschnitte vorsieht, koste es, was es wolle“, heißt es in einem Schreiben des Vorstands der IG Metall an die Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel. Damit bewirke López eine weitere Eskalation in dem seit Monaten schwelenden Konflikt um die Zukunft von Deutschlands größtem Stahlkonzern. Von Seiten des Thyssenkrupp-Vorstands in Essen werde „die Auseinandersetzung weiter verschärft, statt Lösungen zu suchen“, urteilt die Gewerkschaft.

Im Kern geht es um die Frage, wie viel Geld die Duisburger Stahlsparte vom Essener Mutterkonzern erhalten soll, wenn sie mit ihren rund 27.000 Beschäftigten aus dem Gesamtverbund herausgelöst wird. Von Summen zwischen 2,5 Milliarden und vier Milliarden Euro ist die Rede. Die IG Metall vermutet, López wolle den „Finanzierungsbedarf durch die AG so klein wie möglich halten“.

Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe

Da es auch nach einer mit Spannung erwarteten Aufsichtsratssitzung am 9. August keine Einigung gibt, bleibt die Unruhe im Konzern groß. Zunehmend gerät auch Stahlchef Bernhard Osburg in den Blickpunkt. Nach der Aufsichtsratssitzung am Freitag änderte die Stahlsparte kurzfristig ihre Kommunikationspläne: Eigentlich sollte sich Osburg gemeinsam mit Stahl-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel zum Stand der Dinge äußern. Doch dann tauchte Gabriel ohne Osburg, aber mit seinem Vize Detlef Wetzel auf. Am Tag darauf folgte dann das Schreiben von López mit der unverhohlenen Kritik am Stahl-Vorstand.

Sigmar Gabriel, der Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel (Bildmitte), mit seinem Vize Detlef Wetzel vor der Duisburger Konzernzentrale.
Sigmar Gabriel, der Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel (Bildmitte), mit seinem Vize Detlef Wetzel vor der Duisburger Konzernzentrale. © dpa | Bernd Thissen

Im Aufsichtsrat der Stahlsparte ist Thyssenkrupp-Chef López lediglich ein einfaches Mitglied. Noch zu Zeiten seiner Vorgängerin Martina Merz hat der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel das Amt des Chefkontrolleurs übernommen. An Gabriels Seite steht der ehemalige Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel.

Ungeachtet der Kritik aus der Essener Konzernzentrale hat der erfahrene Stahlmanager Osburg in Duisburg viele Fürsprecher. Im Gegensatz zu López, der erst im Juni 2023 nach vielen Jahren bei Siemens zu Thyssenkrupp kam, kennt Osburg die Thyssenkrupp-Organisation schon seit vielen Jahren und ist auch als Präsident des Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl gut vernetzt.

Unterstützer von López: Krupp-Stiftung und Siegfried Russwurm

López hingegen kann sich der Unterstützung durch Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm sicher sein. Wie López hat auch Russwurm lange Zeit für Siemens gearbeitet. Die von Ursula Gather geführte Krupp-Stiftung als Großaktionärin signalisierte López ebenfalls öffentlich Rückendeckung, als dieser im April den Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky verkündete. Sie habe „großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López“, erklärte die Großaktionärin. Thyssenkrupp müsse „wettbewerbs- und dividendenfähig“ werden, mahnt die Krupp-Stiftung.

Der Protest der Stahl-Belegschaft richtet sich vor allem gegen Thyssenkrupp-Chef Miguel López, hier bei der Kundgebung vor der Essener Konzernzentrale im Mai.
Der Protest der Stahl-Belegschaft richtet sich vor allem gegen Thyssenkrupp-Chef Miguel López, hier bei der Kundgebung vor der Essener Konzernzentrale im Mai. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Der Zorn der Belegschaft richtet sich bislang vor allem gegen López und weniger gegen das Stahl-Management, so auch bei der Protestkundgebung im Mai vor der Essener Firmenzentrale, als „López raus“-Rufe ertönten. Stahlchef Osburg konnte sich hingegen – ohne Anfeindungen – unter die Beschäftigten mischen.

Tschechischer Milliardär Kretinsky bei Aufsichtsratssitzung in Duisburg

Auch der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky sitzt nun als Anteilseigner von Thyssenkrupp Steel mit am Tisch, wenn über den Finanzbedarf von Deutschlands größtem Stahlkonzern verhandelt wird. Seit August haben Kretinsky und sein Manager Jiri Novacek Sitze im Aufsichtsrat. Zum Treffen der Steel-Kontrolleure am vergangenen Freitag seien sie persönlich nach Duisburg in die Firmenzentrale gekommen, ist zu hören.

Nach Darstellung der IG Metall gibt es auch zwischen López und Kretinsky teils unterschiedliche Interessen. Dem Thyssenkrupp-Chef sei auch durch den neuen Anteileigner Kretinsky ein Strich durch die Rechnung gemacht worden, mit einem Verkauf von Standorten den Finanzierungsanteil des Essener Mutterkonzerns zu verringern, heißt es in dem Schreiben der IG Metall an die Belegschaft. „Mit einem sehr einleuchtenden Argument: Warum sollen wir Geschäfte verkaufen, die Gewinne erwirtschaften?“ Dem Vernehmen nach soll es unter anderem um den Verpackungsstahlhersteller Rasselstein im rheinland-pfälzischen Andernach gehen.

Mit 20 Prozent ist Kretinskys Unternehmen EPCG bereits an Thyssenkrupp Steel beteiligt. López strebt aber ein weitreichenderes Bündnis an. Das Ziel sei die Bildung eines Gemeinschaftskonzerns, an dem beide Seiten 50 Prozent der Anteile halten. In dem Spiel habe Kretinsky gute Karten, betonen Insider. Denn er könne sich, ohne Verluste befürchten zu müssen, auch wieder bei Thyssenkrupp Steel zurückziehen.

Neuer Akteur auf der Bühne: Thyssenkrupp-Finanzchef Schulte

Ein weiterer neuer Akteur soll diese Woche die Thyssenkrupp-Bühne betreten: Jens Schulte, der seit Juni Finanzvorstand von Thyssenkrupp ist und am 14. August erstmals in neuer Funktion die Neun-Monats-Bilanz des Essener Konzerns in einer Telefonkonferenz für Journalisten erläutern soll. Schultes Lebenslauf lässt Ambitionen erahnen. Er begann seine berufliche Karriere beim Beratungsunternehmen McKinsey und wechselte dann zur Investmentbank Goldman Sachs. Zuletzt war er Vorstandsmitglied beim Spezialglas- und Materialtechnologiekonzern Schott. Neuerdings trägt Schulte auch die Verantwortung für das konzernübergreifende „Performance-Programm“ namens Apex, das Thyssenkrupp entscheidend nach vorne bringen soll.

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