Berlin. Ruheständler im Job zu halten, wird angesichts des Fachkräftemangels immer wichtiger. Der Wirtschaftsweise Martin Werding sieht Handlungsbedarf.

In Deutschland gehen immer mehr Ruheständler weiter einer beruflichen Tätigkeit nach. Angesichts des weiter anziehenden Fachkräftemangels ist das eine Entwicklung, die vielen Unternehmen in die Karten spielen dürfte. Experten sind nun auch dafür, Anreize zu einem frühzeitigen Renteneintritt zu begrenzen.

Anlass dafür ist eine am Dienstag bekannt gewordene Statistik der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Demnach arbeiten mehr als 1,3 Millionen der 18,6 Millionen Altersrentnerinnen und -rentner in Deutschland zusätzlich. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, über die die Ippen Mediengruppe berichtet. Quelle ist eine DRV-Statistik.

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Demnach arbeitete zum Stichtag 31. Dezember 2022 ein Großteil (gut eine Million) derjenigen, die zur Altersrente noch etwas hinzuverdienten, in einem Minijob. Gut 300.000 Altersrentner waren mehr als geringfügig beschäftigt. Der Linken-Abgeordnete Matthias W. Birkwald nannte es „unerträglich, dass die Renten in Deutschland durchschnittlich so niedrig sind, dass viele Rentnerinnen und Rentner darauf angewiesen sind, weiterzuarbeiten“.

Finanzielle Zwänge bei arbeitenden Rentnern? Studie widerspricht

Die Bundesregierung verwies in einer Antwort auf eine ähnliche Anfrage der AfD im Juli aber auch auf einen Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach sind Spaß an der Arbeit, Sinnstiftung und Kontakt zu anderen Menschen wichtige Beweggründe für das Arbeiten im Alter. Finanzielle Motive würden deutlich seltener genannt.

Trotz 45 Versicherungsjahren: Unter 1200 Euro Rente?

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    Der Top-Ökonom Martin Werding sagte dieser Redaktion, die Zahl der Personen, die trotz Rentenbezug erwerbstätig sind, sei in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren deutlich gestiegen. „Repräsentative Untersuchungen zeigen, dass diese Personen überdurchschnittlich gebildet und gesund sind“, sagte der Experte. „Nur rund ein Viertel dieser Gruppe bleibt aus finanziellen Gründen aktiv.“

    Und auch dann gehe es laut Werding nicht immer um Armutsvermeidung, sondern darum, sich zusätzliche finanzielle Spielräume zu erarbeiten. Der Ökonom verwies auch darauf, dass die Politik für arbeitende Rentner in den zurückliegenden Jahren gezielt für Erleichterungen gesorgt habe und nannte der Wegfall der Hinzuverdienstgrenze als Beispiel.

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    Werding, der auch Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung ist, forderte darüber hinaus weitergehende Anstrengungen, um ältere Arbeitnehmer länger im Berufsleben halten zu können. Die zuletzt angekündigte Rentenaufschubprämie, auf die sich die Koalitionsspitzen von SPD, Grünen und FDP vor einigen Wochen geeinigt hatten, sei zwar interessant, ein Jobwunder erwarte er dadurch „angesichts des verbreiteten Wunsches nach einem möglichst frühen Renteneintritt aber nicht“.

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    Stattdessen forderte der Top-Ökonom die Politik auf, die Möglichkeiten zum vorzeigten Renteneintritt zu begrenzen. Derzeit ist der vorzeitige Bezug einer Altersrente ab dem 63. Lebensjahr möglich. Beschäftigte, die dann mindestens 35 Jahre Versicherungszeiten nachweisen können, können dann mit Abschlägen in Rente gehen.

    Der Abschlag beträgt pro Monat vorzeitiger Inanspruchnahme 0,3 Prozent, pro Jahr 3,6 Prozent. Zu wenig, findet Werding. „Stattdessen müssten es fünf bis sechs Prozent sein. Abschlagsfreie Frührenten für Personen, die gesund sind und normal bis überdurchschnittlich verdienen, passen angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels überhaupt nicht in die Landschaft“, sagte der Ökonom auch mit Blick auf die Möglichkeit, als Versicherter mit 45 Beitragsjahren sogar gänzlich ohne Abschläge vorzeitig in Rente zu gehen.

    SoVD: Auch entscheidend, dass Arbeitnehmer bis zur Rente gesund bleiben

    Der Sozialverband Deutschland (SoVD) nannte es zwar „erfreulich“, dass viele Menschen auch nach dem Renteneintritt arbeiten möchten, gleichzeitig sei es wichtig, die Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern und flexible Übergänge in den Ruhestand zu ermöglichen.

    „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele Rentnerinnen und Rentner weiterarbeiten müssen, weil ihre Rente einfach nicht ausreicht. Hier müssen wir dringend ansetzen und die Renten dauerhaft auf ein Niveau anheben, das ein Leben ohne finanzielle Sorgen ermöglicht“, forderte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier gegenüber dieser Redaktion.

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    Forscher fordern mit Blick auf die Gesundheit älterer Arbeitnehmer weitere Anstrengungen. Erst dann könnten angehende Ruheständler und Rentner selbst dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu lindern. Bislang dürfte der Effekt arbeitender Rentner in dieser Hinsicht „nicht besonders groß“ sein, sagte der Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW Berlin) dieser Redaktion.

    Lösung für den Fachkräftemangel: In Japan arbeiten viel mehr Rentner

    „Allerdings kann sich das in Zukunft ändern. In den skandinavischen Ländern sind die Quoten und der Erwerbsumfang höher, auch in Estland. Besonders ausgeprägt ist Alterserwerbstätigkeit in Japan, dort arbeitet rund ein Viertel der über 65-Jährigen“, so Geyer. Strebe man das in Deutschland an, müssten die Menschen allerdings auch im höheren Alter weiter qualifiziert werden. Darüber hinaus müssten die Arbeitsbedingungen so sein, dass sie auch im höheren Alter ausgeübt werden könnten.

    Die FDP im Deutschen Bundestag verwies auch darauf, dass ältere Beschäftigte oft gut ausgebildet und mit ihrem Erfahrungsschatz in den Firmen sehr gefragt seien. Die Rentenaufschubprämie solle deshalb ermöglichen, den Rentenbeginn zugunsten einer Beschäftigung zu verzögern. „Für diejenigen, die noch motiviert sind, mit anzupacken, soll es sich auch richtig lohnen“, sagte die rentenpolitische Sprecherin der Fraktion, Anja Schulz, dieser Redaktion.

    Der sozialpolitische Sprecher der FDP, Pascal Kober, ergänzte, Ziel müsse es sein, dass mehr Menschen freiwillig länger in Arbeit bleiben. Das werde man durch finanzielle Anreize, einen effektiveren Einsatz von Prävention und Reha sowie einen Abbau unnötiger Hürden im Arbeitsrecht erreichen.