Berlin. „Cash only“ in der Kneipe? Der Chef der Steuergewerkschaft erklärt, wie Gastronomen am Fiskus vorbei verdienen – und was dagegen hilft.

Wer im Restaurant essen geht, ist wieder häufiger auf Münzen und Scheine angewiesen. Doch der Verzicht auf Bargeld kann sich für Gastronomen als großer Fehler erweisen, erklärt der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Florian Köbler, im Interview – nämlich dann, wenn das Geld nicht in der Registrierkasse, sondern in der privaten Schatulle der Angestellten landet.

Herr Köbler, Sie sind im Restaurant und wollen zahlen: Was sagen Sie dem Kellner?

Florian Köbler: Ich sage, die Rechnung bitte und auch gerne mit Karte. Meistens kommt dann als Gegenfrage, ob ich einen Bewirtungsbeleg haben möchte. Das ist gut, weil so ja Unterlagen entstehen, die auch das Finanzamt einsehen kann. Ab und an wird aber auch mit einer sogenannten Zwischenrechnung gearbeitet. Da liegt der Verdacht nahe, dass der Umsatz doch nicht den finalen Weg in die Registrierkasse findet.

Haben Sie den Eindruck, dass Betriebe wegen der gestiegenen Inflation und des nun wieder geltenden regulären Mehrwertsteuersatzes besonders gern Bargeld nehmen?

Zunächst einmal ist mir wichtig zu sagen, dass es ganz, ganz viele ehrliche Gastronomen gibt, aber eben leider auch schwarze Schafe, die den Ehrlichen das Leben schwer machen. Aus meiner Sicht ist seit der Corona-Pandemie verstärkt festzustellen, dass viele Gastronomen wieder „Cash only“ eingeführt haben oder sogar Barzahlungsrabatte anbieten. Andererseits gibt es aber mittlerweile viele Betriebe, die „Card only“ machen, also ausschließlich Kartenzahlung akzeptieren. Das ist häufig der Fall, wenn der Inhaber nicht im laufenden Geschäft eingebunden ist und nicht selbst hinter der Theke steht.

Deutschlands oberster Finanzbeamter: Florian Köbler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, die die Interessenvertretung für das Personal der Finanzverwaltungen in Deutschland ist.
Deutschlands oberster Finanzbeamter: Florian Köbler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, die die Interessenvertretung für das Personal der Finanzverwaltungen in Deutschland ist. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Warum?

Weil viele Inhaber befürchten, von den eigenen Mitarbeitern betrogen zu werden. Da ist die Kartenzahlung dann ein Mittel, um sicherzustellen, dass der Umsatz auch in der Firmenkasse landet.

Gibt es mit Blick auf das ausschließliche Akzeptieren von Bargeldzahlungen Erkenntnisse jenseits der persönlichen Erfahrung?

Nein, es gibt keine offiziellen Statistiken. Problematisch ist in Deutschland aber, dass keine Pflicht besteht, eine Registrierkasse zu haben. Man kann nach wie vor eine sogenannte offene Ladenkasse führen. Ich denke da an Spätis, Barbershops oder auch Nagelstudios. Selbst in der Gastronomie geht der Trend zur Zweitkasse, und die Registrierkasse wird lediglich dann genutzt, wenn es darum geht, Bewirtungsbelege zu erstellen. So etwas händisch zu erstellen ist im laufenden Betrieb einfach zu aufwendig. Wird aber bar bezahlt, landet das Geld eben nicht in der Registrierkasse, sondern in der privaten Schatulle.

Ausländische Touristen wundern sich oft, wie selten man hierzulande mit Karte zahlen kann. Ist das groß angelegter Betrug oder mangelnde Digitalisierung?

Die schlechte Digitalisierung kann sicher ein Faktor sein. Ganz klar gibt es aber auch Fälle, wo man, ich sag mal, steueroptimiert arbeiten will, also betrügt. Meiner Beobachtung nach ist in der deutschen Gesellschaft schon ein deutlicher Trend hin zur bargeldlosen Zahlung festzustellen. Ich bin überzeugt, dass auch hierzulande eine verpflichtende Akzeptanz von Kartenzahlung von Kundinnen und Kunden sehr begrüßt würde.

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Konfrontiert man Gewerbetreibende mit einem fehlenden Kartenzahlungsangebot, wird das häufig mit hohen Gebühren der Zahlungsabwickler begründet. Ist das stichhaltig?

Aus meiner Sicht nicht. Tatsächlich zeigen viele Studien, dass die sogenannten Handling-Kosten mit Bargeld viel höher sind. Denn Banken verlangen einerseits Gebühren, wenn man Bargeld einzahlen will, und andererseits muss das Geld durch irgendjemanden zur Bank gebracht werden. Demgegenüber gibt es Kartenzahlungsanbieter, die vergleichsweise günstig sind. Das Argument ist also Quatsch.

Ein Geschäft, das Kunden mitteilt: „Kartenzahlung erst ab 10 Euro“, wie bewerten Sie das?

Bei Kleinbeträgen waren die Gebühren für die Kartenzahlung früher sicher ein Problem. Heute sind diese Gebühren aber deutlich gesunken.

Politisch ist auch schon mal diskutiert worden, Gewerbetreibende dazu zu verpflichten, eine bargeldlose Bezahloption anbieten zu müssen. Weiter mit Münzen und Scheinen zahlen zu können, schließt das ja nicht aus.

Richtig. Das ist auch meine Forderung. Man sollte das aber vom Umsatz abhängig machen. Es gibt im Umsatzsteuerrecht eine sogenannte Kleinunternehmergrenze, die bald bei 25.000 Euro liegen soll. Bis zu dieser Grenze würde ich keine Vorschriften zur Zahlart machen. Aber sobald die Grenze überschritten wird, müssten die Unternehmer verpflichtet werden, Karte oder eine digitale Zahlung zu akzeptieren. Das wäre ein großer Schritt für mehr Steuerehrlichkeit in unserem Land.

Bundesfinanzminister Lindner sagt, Bargeld sei gelebte Freiheit.

Das ist ein Mantra der Vergangenheit. Ich glaube, die wenigsten Bürger haben etwas zu verbergen. Und wir haben in Deutschland das hohe Gut des Datenschutzes und Steuergeheimnisses. Die Befürchtung, dass der Bürger bei digitalen Zahlungen gläsern wird, ist nicht real. Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie bereitwillig viele Menschen ihre Daten chinesischen oder amerikanischen Konzernen zur Verfügung stellen. Insgesamt, glaube ich, brauchen wir wieder mehr Vertrauen in den Staat. Dem rechtschaffenen Bürger will der Staat nichts Schlechtes.

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Ein Glas Bier für 5 Euro – was müsste das kosten, wenn der Wirt ehrlich ist?

Wahrscheinlich genauso viel. Ich glaube, dass der Preis vom Markt bestimmt wird und nicht von der Umsatzsteuer. Das funktioniert aber im Moment nicht ganz, weil diejenigen, die unehrlich sind, die Preise verderben – also zum Teil deutlich günstiger sind als ehrliche Gastronomen. Wenn alle steuerehrlich wären, würde das Gesamterlebnis Gastronomie zwar wohl ein paar Prozent teurer werden. Aber unterm Strich, wenn alle ehrlich wären, könnten die Steuern für den normalen Bürger endlich gesenkt werden. Der Spitzensteuersatz greift viel zu früh!

Worauf muss man als Verbraucher im Restaurant achten, will man sichergehen, dass der Wirt nicht an der Steuer vorbei arbeitet?

Klassiker ist die Zwischen- oder Inforechnung, weil die sich später förmlich in Luft auflösen kann. Momentan passiert es auch häufig, dass man eine Rechnung nur kurz auf dem Tablet vorgezeigt bekommt. Wenn bar gezahlt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Umsatz wieder verschwindet, relativ hoch. Als Restaurantbesucher muss man darauf achten, dass ein ordnungsgemäßer Bon erstellt wird. Das muss kein Bewirtungsbeleg sein, es reicht eine Rechnung. Darauf muss dann eine sogenannte TSE-Signatur erkennbar sein. Das kann ein QR-Code oder auch eine Nummer sein.

Geht’s auch ohne Papier?

Ja. Wir haben keine Bon-Pflicht in Deutschland, sondern eine Belegerstellungspflicht. Das heißt, der Beleg samt TSE-Signatur muss erstellt werden, weil nur so der Betrug nicht möglich ist. Ob der Beleg auf Papier gedruckt wird oder nicht, ist vollkommen egal. Generell kann dieser Prozess vollständig digitalisiert werden. Das würde im Übrigen auch Erleichterungen bringen bei der Buchführung. Andere Länder, gerade im skandinavischen Raum, sind da schon viel weiter. Finnland zum Beispiel beziffert den gesamtwirtschaftlichen Nutzen von so einem digitalen Workflow auf sechs Milliarden Euro im Jahr. Das Entlastungspotenzial für Deutschland ist also immens.

Nur Bares ist Wahres: In einer Kreuzberger Kneipe darf nicht mit Karte gezahlt werden.
Nur Bares ist Wahres: In einer Kreuzberger Kneipe darf nicht mit Karte gezahlt werden. © FUNKE Foto Services | Klaus Martin Hoefer

Wie weist man den Gastronomen charmant darauf hin, dass man eine richtige Rechnung haben möchte?

Immer mit Karte zahlen und nach einer Rechnung fragen.

Und bei der Eisdiele?

Auch da würde es nicht schaden, einen Bon bekommen zu können.

Mit Alfons Schuhbeck sitzt ein Gastronom, der systematischen Steuerbetrug begangen hat, im Knast. Reicht das als Abschreckung?

Ich fürchte nicht, denn das Entdeckungsrisiko ist nach wie vor zu gering. In den Finanzämtern fehlt es an Prüfern.

Was fordern Sie konkret mit Blick auf die Arbeit in Finanzämtern?

Die Ressourcen müssen effektiver eingesetzt werden. Nötig ist zum Beispiel eine vernünftige digitale Risikoanalyse durch das Finanzamt. Hauptsächlich die Fälle, bei denen es im Risikosystem zu Auffälligkeiten kommt, werden dann genauer geprüft. So könnten wir uns auf die Fälle konzentrieren, bei denen auch wirklich betrogen wird. Um weitere Ressourcen für Wirtschaftskriminalität frei zu machen, müssen wir wesentlich mehr pauschalieren und dürfen uns nicht im Klein-Klein verlieren. Hier meine ich vor allem den Bereich der Arbeitnehmer und Rentner. Das Potenzial des Steuerbetrugs ist in diesem Kreis deutlich geringer.

Was sollte man ändern?

An dieser Stelle braucht es eben nicht den Finanzbeamten, der die Steuererklärung und die Kosten für den Arbeitsweg überprüft. Das muss zukünftig vollkommen digitalisiert laufen, ohne dass die Bürger Aufwand haben und in der Steuerverwaltung Personal gebunden wird.

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Wie groß muss als Gastronom die Angst sein vor einer Betriebsprüfung?

Man muss zwar immer damit rechnen, dass kontrolliert wird, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sonderlich hoch. Bei einem Kleinstunternehmer wird im Schnitt nur alle 80 Jahre geprüft.

Können die Prüfer überhaupt nachvollziehen, wie viele Pizzen aus einem Sack Mehl gemacht werden oder wie viele Tassen Kaffee aus der Maschine kommen?

Das geht, aber die Gastronomen sind ja auch nicht blöd. Das heißt, der Sack Mehl wird dann gar nicht in der Buchführung auftauchen.

Wie hoch ist der Schaden durch Steuerhinterziehung?

Wir rechnen damit, dass es 16 Milliarden Euro an Steuern sind, die direkt in den bargeldintensiven Bereichen hinterzogen werden. Der gesamtwirtschaftliche Schaden, also auch zum Beispiel durch nicht gezahlte Renten- und Sozialbeiträge und unterschiedliche Steuerarten, dürfte bei knapp 70 Milliarden Euro im Jahr liegen.

Welche Länder sind uns voraus mit Blick auf Steuerehrlichkeit?

Estland macht das gut. Da hat sich durch Risikoanalyse und Digitalisierung die durchschnittliche Dauer einer Betriebsprüfung halbiert und die Mehrergebnisse für den Fiskus haben sich verdoppelt. Man hat also diejenigen in Ruhe gelassen, die steuerehrlich waren. Etwas überraschend, aber man kann auch den Blick nach Brasilien richten: Dort ist schon 2008 die Pflicht zu elektronischen Rechnungen eingeführt worden. Wir hingegen sind weit hintendran.