Berlin. Mehr Druck, schärfere Sanktionen oder längere Arbeitswege: Die Forderungen zum Bürgergeld sind vielfältig. Doch was hilft wirklich?

Das Bürgergeld ist seit seiner Einführung umstritten. Da es weniger Menschen in Arbeit bringt als erhofft, plant die Bundesregierung eine Verschärfung der Bedingungen. Allerdings stößt der Vorstoß der Koalition nicht nur in Wissenschaft und Gewerkschaften, sondern auch in den eigenen Reihen auf Kritik. So kündigte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich dieser Redaktion an: „Was wir im Bundestag zum Bürgergeld beschließen, wird mehr und anderes umfassen, als die Regierung vorgeschlagen hat.“ Skeptisch sieht er vor allem die Kürzungen. Es brauche „sinnvolle Maßnahmen, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, und eine maßvolle Sanktionstreppe“. Zum Bürgergeld beantworten wir die wichtigsten Fragen.

Was ist das Ziel von Bürgergeld?

Das Bürgergeld wurde 2023 im Zuge einer Sozialreform eingeführt. Es garantiert das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das Bürgergeld löste das damalige Arbeitslosengeld II – kurz „Hartz IV“ genannt – ab. Ziel war es, die staatliche Hilfe bürgernäher, unbürokratischer und zielgerichteter zu gestalten. Durch weniger Sanktionen und bessere Qualifizierung sollten mehr Menschen in Arbeit gebracht werden.

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Wer erhält Bürgergeld?  

Wer seinen Lebensunterhalt aus seinem Einkommen oder Vermögen nicht decken kann, hat Anspruch auf Bürgergeld. Aktuell sind dies rund 5,6 Millionen Menschen in Deutschland, darunter auch 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Gut 4 Millionen der Empfangsberechtigten gelten als erwerbsfähig, 20 Prozent sind erwerbstätig. 40 Prozent stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Weitere 40 Prozent jedoch nicht, weil sie Kinder erziehen, Angehörige pflegen, sich in der Ausbildung befinden oder arbeitsunfähig sind, so das Bundesarbeitsministerium.

Heil: Trotz Bürgergeld-Änderungen genug Geld für Förderung

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    Wie viel bekommen Bürgergeld-Empfänger?

    Die Zahlungen haben sich nach der Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld für alleinstehende Erwachsene um 53 auf 502 Euro erhöht. Zum 1. Januar 2024 stieg der Satz um 61 Euro auf 563 Euro im Monat. Partner in Gemeinschaften erhalten jeweils 506 statt 451 Euro. Kinder je nach Alter bis zu 471 Euro im Monat. Damit sich Bürgergeld-Bezieher voll auf die Arbeitssuche konzentrieren können, werden im ersten Jahr die Unterkunft voll bezahlt und Heizkosten übernommen. Auch darf ihr Erspartes erst ab 40.000 Euro angetastet werden.

    Der Antrag auf Bürgergeld kann auch auf Papier gestellt werden.
    Der Antrag auf Bürgergeld kann auch auf Papier gestellt werden. © Jens Kalaene/dpa | Unbekannt

    Wie erfolgreich ist der Weg in die Arbeit?

    Dies ist bisher schwer nachweisbar. Einerseits senken die gelockerten Sanktionsregelungen offenbar den Anreiz, eine Arbeit aus der Grundsicherung heraus aufzunehmen. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurden 30.000 Arbeitsplätze im vergangenen Jahr nicht besetzt, die unter der früheren Regelung wohl angetreten worden wären, so die Forscher. Andererseits wechseln nur sehr wenige von einem Arbeitsplatz in die Grundsicherung. Es gibt auch keine massenhaften Kündigungen von Niedriglohnarbeitenden, um vom Bürgergeld zu leben.

    Welche Reformen plant die Bundesregierung?

    Im Zuge ihrer „Wachstumsinitiative“ wollen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auch das Bürgergeld reformieren, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Dazu sollen die Empfänger wieder mehr Gegenleistungen erbringen, Sanktionen verschärft werden. Dazu sind fünf Maßnahmen geplant:

    1.   Arbeitswege sollen länger sein dürfen, mit täglichen Pendelzeiten von bis zu 2,5 oder 3 Stunden, abhängig von der Arbeitszeit. Jobcenter sollen in einem Radius von 50 km nach Jobs für Empfänger suchen.

    2.   Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt, dem drohen Bürgergeldkürzungen von 30 Prozent für drei Monate. Die Betroffenen müssen sich zudem monatlich persönlich bei der zuständigen Behörde melden.

    3.   Wer schwarz arbeitet, muss mit Leistungskürzungen von 30 Prozent für drei Monate rechnen. Die Zuständigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird auf Sozialleistungsbetrug ausgeweitet. Außerdem gibt es eine Meldepflicht für Verdachtsfälle.

    4.   Die Karenzzeit für Schonvermögen soll von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden, bevor Vermögen ab einer gewissen Höhe für den Lebensunterhalt genutzt werden muss.

    5.   Für Menschen, die sich immer wieder Maßnahmen verweigern, sollen verstärkt Ein-Euro-Jobs als Einstieg in den Arbeitsmarkt genutzt werden.

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    Wer spricht sich für Verschärfungen aus?

    Vor allem Arbeitgeber und FDP-Politiker begrüßen Verschärfungen der Regelungen. „Mit der Wachstumsinitiative setzt die Koalition ein klares Zeichen für mehr Fairness im Bürgergeld“, sagte der FDP-Fraktions-Vize, Christoph Meyer. Das Bürgergeld müsse Anreize zur Arbeitsaufnahme enthalten, „es darf keine soziale Hängematte sein“. Es müssten mehr Menschen in Arbeit gebracht werden, damit sie von ihrem erarbeiteten Lohn leben könnten. „Hier hat Arbeitsminister Hubertus Heil die klare Aufgabe, zu liefern und dadurch die Sozialausgaben zu begrenzen.“ Die Unionsfraktionen wollen das Bürgergeld unterdessen abschaffen und stattdessen eine neue Grundsicherung einführen.

    Aus Sicht der Arbeitgeber sollte „das Prinzip des Förderns und Forderns mit dem Ziel einer Arbeitsaufnahme zukünftig eine zentrale Rolle spielen“, sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Wichtig sei auch die Höhe des Bürgergelds. „Ein zu geringer Abstand zwischen unteren Lohngruppen und Bürgergeld dämpft die Anreize zur Aufnahme oder Ausweitung der Beschäftigung.“ Wichtig sei auch: „Wer im Bürgergeldbezug eine Arbeit aufnimmt und eigenes Geld verdient, muss davon mehr behalten können.“ 

    Wer warnt vor zu viel Druck?

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor Verschärfungen. „Schärfere Sanktionen beim Bürgergeld helfen niemandem wirklich. Es ist deshalb gut, dass die SPD-Fraktion dies kritisch hinterfragt“, sagt das Vorstandsmitglied Anja Piel. „Arbeitsverweigerung war noch nie ein Massenphänomen und wird absehbar auch keins werden.“ Allerdings müssen „wir besser werden, arbeitslose Menschen in Arbeit zu bringen. Dafür brauchen aber die Jobcenter mehr Geld für die Vermittlung und nicht mehr Sanktionsmöglichkeiten.“

    Die Gewerkschaft hält nichts von schärferen Sanktionen.
    Die Gewerkschaft hält nichts von schärferen Sanktionen. © Monika Skolimowska/dpa | Unbekannt

    Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht die größte Herausforderung bei den arbeitslosen Bürgergeldbeziehern in deren fehlender Qualifizierung und gesundheitlichen Problemen. „Mehr als zwei Drittel dieser Bezieher haben keine abgeschlossene Berufsausbildung oder relevante Qualifizierung.“ Fratzscher ist überzeugt: „Die große Mehrheit der Bezieher wollen arbeiten. Das größte Potenzial, um langfristig die Anzahl der Bezieher des Bürgergelds zu reduzieren, sind Maßnahmen der Qualifizierung, als auch eine Erhöhung des Mindestlohns, da dies die Zahl der Aufstocker reduzieren würde.“

    Auch die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), Bettina Kohlrausch, plädiert dafür, die Qualifizierung weiter auszubauen, um Menschen „nachhaltig in Erwerbsarbeit zu integrieren und nicht durch verschärfte Zumutbarkeitskriterien in irgendwelche Jobs zu zwingen, die sie nach ein paar Monaten wieder verlassen. Das nennt sich Drehtüreffekt und ist eher kontraproduktiv.“

    Die Grünen verfolgen vor allem das Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen und dass Menschen im Bürgergeld mehr vom Verdienten behalten. „Diesen Weg werden wir mit den anstehenden Reformen fortsetzen“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch. „Wir werden zusätzliche Anreize für Arbeit schaffen und die Strukturen so weiter verbessern, dass es sich finanziell noch stärker lohnt, einen Job anzunehmen oder mehr zu arbeiten.“ Die Einigung im Kabinett beinhalte eine Reihe von Ansätzen, „die werden wir uns genau anschauen, wenn sie konkret vorliegen“.