Berlin. Die Inflation im Euroraum erweist sich als zäh. Sie könnte sogar zurückkommen, trotz der jüngsten Erfolge. Was heißt das für die EZB?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Entscheidung zu den Leitzinsen bekannt gegeben. Genau wie von Experten vorhergesagt, belässt sie den Leitzins bei 4,25 Prozent. Der Einlagenzins, den Banken für bei der Notenbank geparkte Gelder erhalten, beträgt unverändert 3,75 Prozent. Im Juni hatte die Notenbank den für die Geldpolitik entscheidenden Einlagesatz um 0,25 Punkte gesenkt. Dass die EZB nun nicht erneut an der Zinsschraube gedreht hat, überrascht nicht. Die Inflation im Euroraum hält sich – trotz Gegensteuerns der EZB in den vergangenen Jahren – hartnäckig. Die große Sorge ist gar, dass die EZB die Zinsen zu früh gesenkt haben könnte. Die Angst geht um, dass die Inflation zurückkommen könnte. Wie wahrscheinlich ist das?

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Das Gegensteuern gegen die hohe Inflation wird zur Geduldsprobe, analysiert aktuell die Deutsche Bundesbank. Insbesondere der Preisschub bei Dienstleistungen erweist sich als außerordentlich hartnäckig. Im Euroraum lag die Inflationsrate zuletzt bei 2,5 Prozent, aber damit liegt sie noch immer über der Zielmarke von 2,0 Prozent. Die EZB erwartet das Erreichen diese Marke frühestens im zweiten Halbjahr 2025.

Kommt eine neue Inflation? Das sagen Experten

Das Problem: Die hohen Zinsen verteuern Kreditaufnahmen und damit Investitionen. Deswegen bremst eine restriktive Geldpolitik das Wirtschaftswachstum. Weil die europäische Konjunktur dringend Impulse braucht, steht die EZB politisch unter Druck. Gleichzeitig warnen Ökonomen, dass die Inflation in absehbarer Zukunft zurückkehren und sich dann festsetzen könnte.

„Strukturell erwarte ich in den nächsten Jahren einen höheren Aufwärtsdruck auf die Inflation als wir das vor der Pandemie gesehen haben“, sagt die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib. Die EZB habe mit strukturellem Gegenwind zu kämpfen, analysiert der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer: „Das Inflationsproblem ist noch lange nicht gelöst, die EZB ist zu optimistisch“.

Deshalb könnte die Inflation zurückkommen – die Gründe

Für diese Befürchtung spricht derzeit vor allem die Entwicklung der Lohnkosten. Damit die Arbeitnehmer die erlittenen Kaufkraftverluste ausgleichen können, sind die Tariflöhne deutlich gestiegen. Vor allem Dienstleistungen sind deswegen teurer geworden. Außerdem bleiben Arbeitskräfte knapp.

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB
Will die Inflation endlich in den Griff bekommen: EZB-Chefin Christine Lagarde. © AFP | KIRILL KUDRYAVTSEV

Als Preistreiber wirken darüber hinaus Tendenzen zur De-Globalisierung. Handelshemmnisse und Zölle verteuern Importe und machen Lieferketten wieder anfälliger. Klimawende und De-Carbonisierung verschlingen enorme Summen. Industrie und Verbraucher müssen teure Investitionen stemmen und gleichzeitig die aktuell hohen Energiekosten bewältigen. Der ökologische Umbau der Produktion könne nicht gelingen, ohne die Konsumenten an den Kosten zu beteiligen, warnt die Industrie, zuletzt der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Steigende Endverbraucherpreise verstärken den Preisdruck. Und es bleibt das Risiko, dass einer der weltweiten Konflikte vom Nahen Osten bis zur Ukraine eskalieren und einen neuen Energiepreisschock auslösen könnte. 

Warum die EZB Probleme hat, die Inflation in den Griff zu bekommen

Vor dieser Kulisse wird es für die EZB schwierig, die Inflation nachhaltig unter 2,0 Prozent zu drücken, erwartet Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des Züricher Vermögensverwalters Bantleon. „Den Notenbankern bleibt dann in wirtschaftlichen Normalzeiten nichts anderes übrig, als die Leitzinsen immer wieder in restriktives Terrain – also über 3,00 Prozent – zu hieven“. Hinzu kommt, dass sich die europäischen Staaten und die USA immer stärker verschulden. Je höher der Schuldenstand, umso teurer der Schuldendienst, denn die Schuldner müssen am Kapitalmarkt höhere Zinsen bezahlen.

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Die EZB hat die Zinsen später erhöht, aber früher gesenkt als die US-Notenbank, erinnert Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Für den Durchschnitt der kommenden zehn Jahre erwartet er eine Inflation deutlich über den zwei Prozent, die die EZB anstrebt. Das sieht Hartmann ähnlich. Auch im Zuge des nächsten globalen Aufschwungs, der demnach spätestens im Jahr 2026 einsetzen dürfte, könnte sich die Inflation wieder nach oben drehen und sich generell auf einem höheren Niveau einpendeln. Vor dem Hintergrund der zahlreichen strukturellen Probleme werde die EZB voraussichtlich ohne eine weitere Zinssenkung in die Sommerpause gehen, erwartet Köhler-Geib: „Im September werden die Karten dann neu gemischt“.

Was die drohende Inflation für Sparer bedeutet

Die durchwachsenen Aussichten haben auch Auswirkungen auf die Sparer. Denen rät Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank: „Die Zinsen bei kurzfristigen Anlagen werden etwas zurückgehen, also beim Tagesgeld und bei kurzlaufenden Sparbriefen. Sie reichen wie so häufig nicht aus, um die Inflation zu schlagen“. Viele Banken und Sparkassen haben die jüngste Leitzinssenkung nach Analyse des Vergleichsportals Biallo schnell an die Sparer weitergereicht: Seit Anfang Juni hätten mindestens 64 Kreditinstitute ihre Tagesgeldzinsen gesenkt, berichtet Biallo.

Bei Aktienkursen und Zinsen müssen sich Anleger aber nach Auffassung von Hartmann auf eine höhere Volatilität einstellen. „Temporäre Inflationsschübe werden die Notenbanken immer wieder zu einer restriktiven Zinspolitik zwingen“, prognostiziert er. „Das Umfeld wird rauer, vor allem für Risiko-Assets wie Aktien. Phasen, die von robustem Wachstum und niedriger Inflation gekennzeichnet sind, werden seltener“.