Essen/Duisburg. Bei Thyssenkrupp Steel entsteht nach Einschätzung der IG Metall durch den Kretinsky-Deal ein milliardenschweres finanzielles Risiko.
Durch den Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky bei Deutschlands größtem Stahlkonzern entsteht im Unternehmen nach Einschätzung der IG Metall ein milliardenschweres finanzielles Risiko. Die Gewerkschaft verweist darauf, dass der sogenannte Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) zwischen dem Essener Mutterkonzern Thyssenkrupp und der Duisburger Stahlsparte durch den Kretinsky-Deal „vor dem Aus“ stehe. Damit löse sich der Konzern von seinem Stahlgeschäft mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen.
Gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter hat der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat vor wenigen Tagen dem Einstieg von Kretinsky bei der Stahlsparte zugestimmt, zunächst mit 20 Prozent. In einem zweiten Schritt will der Milliardär 50 Prozent an Thyssenkrupp Steel übernehmen. „Es geht um viel mehr als nur um 20 Prozent“, schreibt die IG Metall in einem am 29. Mai veröffentlichten Flugblatt für die Thyssenkrupp-Belegschaft. Der Konzernvorstand wolle sich „auf Kosten der Belegschaft und der Öffentlichkeit vom Stahlgeschäft verabschieden und sich aus der Verantwortung stehlen“. Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, kommt zu dem Urteil, durch den Kretinsky-Einstieg entstünden „Risiken“, die „leider ungeklärt“ seien.
IG Metall: „Es sieht danach aus, als sei es das Ziel, den Konzern zu zerschlagen“
„Wenn man 20 Prozent eines Unternehmens ohne ein erkennbares Konzept verkauft, macht man den zweiten Schritt vor dem ersten“, so Kerner. „Wenn dies bewusst geschieht, wirft das die Frage nach dem Plan dahinter auf. Für mich sieht es danach aus, als sei es das Ziel, den Konzern zu zerschlagen und möglichst viel für die Anteilseigner zu sichern. Der Konzern entledigt sich dabei somit auch der Verantwortung für die Beschäftigten.“ Thyssenkrupp beschäftigt insgesamt rund 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Neben der Stahlsparte mit etwa 27.000 Jobs gehören auch große Anlagenbaufirmen, Autozulieferbetriebe, ein Werkstoffhandel und Werften zum Essener Traditionskonzern.
Ein Aus für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag habe weitreichende Folgen für den Konzern, mahnt die IG Metall. Thyssenkrupp Steel werde damit verselbstständigt und es entstehe Finanzierungsbedarf in Milliardenhöhe. Allein die Kosten für den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bei einer Restrukturierung von Thyssenkrupp Steel schätzt die Gewerkschaft auf mindestens eine Milliarde Euro. „Dazu kommen weitere Aufwände für eine finanzielle Ausstattung der Stahl AG, die sie auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb bringt“, heißt es in dem Flugblatt der IG Metall. „Eine Verselbstständigung ohne diese Ausstattung wäre der Weg in den sicheren Tod.“ Weitere drei Milliarden Euro seien also erforderlich, so die Gewerkschaft. „Diesen Deckel von vier Milliarden Euro muss jemand bezahlen.“ Dies sei Sache des Mutterkonzerns in Essen, mahnt die IG Metall.
Knut Giesler, der Chef der IG Metall in NRW, zeigt sich tief besorgt um Thyssenkrupp Steel. Dabei verweist er insbesondere auf die milliardenschweren Pensionsverpflichtungen des Stahlkonzerns. „Es besteht die Gefahr, dass die Finanzierungsfrage, gerade im Blick auf die Pensionsverpflichtungen, für das neue Stahlunternehmen überlebenswichtig ist“, sagt Giesler im Gespräch mit unserer Redaktion. „Solange die Haftung der neuen Eigentümerstruktur nicht geklärt ist, wird das zum Vabanque-Spiel. Das muss schnellstmöglich geklärt werden und sollte auch die Politik interessieren.“
Finanzierung von Thyssenkrupp Steel soll sich ändern
Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt das Thyssenkrupp-Management am 29. Mai, der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der Thyssenkrupp AG und der Stahlsparte ende automatisch, wenn ein neuer Miteigner wie die Kretinsky-Firma EPCG einsteige. Dies geschehe mit dem Abschluss der Transaktion („Closing“). Auch nach einer vollzogenen Beteiligung werde das Stahlgeschäft „vorerst weiter seitens Thyssenkrupp finanziert“, betont das Management in einer Stellungnahme zum IG Metall-Flugblatt.
Für den Fall eines 50-50-Gemeinschaftsunternehmens werde „eine eigenständige Finanzierung mit unterstützenden Beiträgen beider Partner angestrebt“, erklärt die Thyssenkrupp-Führung weiter. „Eine solche eigenständige Finanzierung würde auf Basis des neuen Business-Plans von den Gesellschaftern festgelegt.“ Die Details dazu seien mit der Kretinsky-Firma EPCG in den Gesprächen über den Erwerb weiterer 30 Prozent am Stahlgeschäft zu klären. Auch eine „Fair-Owner-Vereinbarung“ werde dann verhandelt. Die angestrebte 20-Prozent-Beteiligung von EPCG habe noch keine Auswirkungen auf die Finanzlage der Thyssenkrupp-Stahlsparte.
Im Fokus: Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López
Betriebsbedingte Kündigungen habe es beim Stahl noch nie gegeben, betont das Thyssenkrupp-Management. „Es ist unser erklärtes Ziel, das auch weiterhin zu vermeiden.“ Allerdings könne „nur ein erfolgreiches und profitables Unternehmen langfristig sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten“. Ähnlich hatte sich Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López auch am 23. Mai vor Beschäftigten geäußert, die zu einer Kundgebung vor der Essener Firmenzentrale gekommen waren. López wurde von den Beschäftigten teils mit Buhrufen empfangen.
Von der wichtigsten Thyssenkrupp-Anteilseignerin, der Essener Krupp-Stiftung mit Ursula Gather an der Spitze, sowie von Aktionärsvertretern bekommt López Unterstützung. „Thyssenkrupp steht mit dem Rücken zur Wand“, sagt Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Es geht ans Eingemachte, das müssen auch die Arbeitnehmer verstehen.“ Er glaube, „dass Veränderungen bei Thyssenkrupp leider nur im Konflikt mit den Mitarbeitenden möglich sind“.
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