Essen. Mieterbund, Wohnungs- und Sozialverband kritisieren, dass die Abschaffung des Nebenkostenprivilegs vor allem Bürgergeldempfänger trifft.
Wenn ab dem 1. Juli der vergünstigte Kabelfernsehen-Anschluss nicht mehr über die Nebenkostenabrechnung des Vermieters bezahlt werden kann, werden vor allem Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld im Nachteil sein. Denn die monatlichen Kosten für das Fernsehgucken trägt dann nicht länger das Jobcenter. Scharfe Kritik daran äußern Mieterbund, Wohnungswirtschaft und der Paritätische Wohlfahrtsverband.
Als die damalige Große Koalition im Dezember 2021 auf Betreiben von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das sogenannte Nebenkostenprivileg kippte, sollten rund zwölf Millionen Haushalte mehr Wahlfreiheit erhalten, wie und ob sie überhaupt Fernsehen schauen wollen. Ab dem 1. Juli müssen sie nicht länger Kabel-TV beziehen, nur weil ihr Vermieter einen Rahmenvertrag mit einem Anbieter geschlossen hat. Aber gerade für die große Gruppe der Bürgergeldbezieher dürfte die Gesetzesreform teuer werden, weil sie ihre Kabelgebühren in der Regel nun selbst zahlen müssen.
Mieterbund: Jobcenter sollen Kabelkosten weiter übernehmen
„Insbesondere vor dem Hintergrund steigender Lebenshaltungskosten sollten die Jobcenter verpflichtet werden, auch zukünftig die TV-Kosten der Bürgergeldbezieher zu übernehmen“, fordert die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes, Melanie Weber-Moritz, und nennt dafür Gründe. „Jeder Mensch, egal ob arm oder reich, hat das Recht auf Information und auf ungehinderten Zugang dazu.“
Über die Zahl der Menschen, die von der Novelle betroffen sind, gibt es keine offiziellen Angaben. Die Wohnungswirtschaft geht von mindestens zwei Millionen Bedürftigen aus. Im April bezogen rund vier Millionen erwerbsfähige und 1,5 Millionen nicht erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Diejenigen von ihnen, die in Wohnungen mit Abrechnung der Kabelgebühren über die Nebenkostenabrechnung leben, bekamen bislang eine Erstattung über die Jobcenter. Der Grund: Das Kabelfernsehen war untrennbar mit der Anmietung der Wohnung verbunden und gehörte zu den Kosten der Unterkunft, die der Staat trägt.
120.000 Vonovia-Mieter zahlen nur 9,99 Euro fürs Kabel
Mit der Einführung der Wahlfreiheit müssen die Bürgergeldbezieher die Gebühren nun aus ihrem Regelsatz bestreiten. Die Verbraucherzentrale geht davon aus, dass ein Einzelnutzervertrag bei acht bis zehn Euro pro Monat liegt. Der Marktführer Vodafone verlangt 12,99 Euro. Mit dem Immobilienriesen Vonovia hat er jüngst für 120.000 Wohnungen einen Rahmenvertrag geschlossen, der einen Tarif pro Haushalt von 9,99 Euro vorsieht. Sofern weiter Kabel-TV gewünscht ist.
Fernsehprogramme können auch über Alternativen wie DVB-T2, VDSL, Streaming oder Satellitenschüssel empfangen werden. Auch die Verbraucherzentrale, die die neue Wahlfreiheit per se begrüßt, geht davon aus, dass sich die Kosten für den Kabelanschluss um zwei bis drei Euro monatlich verteuern werden.
Der Deutsche Mieterbund weist darauf hin, dass auch Bürgergeldempfängern schon immer diese alternativen Technologien zur Verfügung gestanden hätten, freilich aber nur, wenn sie die Kosten dafür aus ihrem Regelsatz bezahlten. „Dies führt dazu, dass nun alle einkommensschwachen Menschen, die Bürgergeld beziehen, gleich schlechte Chancen auf die Wahrnehmung ihres Rechts auf Informationsfreiheit haben“, kritisiert Mieterbund-Bundesdirektorin Weber-Moritz und fordert: „Der Gesetzgeber sollte es vielmehr allen Menschen ermöglichen – und zwar unabhängig von ihrer finanziellen Situation.“
Der Forderung des Mieterbundes schließt sich in seltener Einigkeit auch der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) an. „Als sozial orientierte Wohnungswirtschaft haben wir bereits im Gesetzgebungsverfahren massiv kritisiert, dass die Abschaffung der Umlagefähigkeit für Transferleistungsempfänger eine besondere Härte darstellt. Hier muss dringend eine sozial verträgliche Lösung gefunden werden“, sagt Präsident Axel Gedaschko.
Der Paritätische: „Leistungskürzung durch die Hintertür“
Er rechnet damit, dass durch die Kosten für den Breitbandanschluss ab Juli „mindestens rund zwei Millionen Bürgergeldempfänger von einer monatlichen Kürzung des Bürgergelds in einer Größenordnung zwischen monatlich rund 5 bis 15 Euro betroffen sein“ werden.
In der Abwälzung der Kabelkosten sieht der Sozialverband „Der Paritätische“ eine „Leistungskürzung durch die Hintertür“ für Empfänger von Bürgergeld. „Die Regelsätze sind schon jetzt viel zu niedrig bemessen und müssen deutlich erhöht werden. Die Bundesregierung muss durch pauschale Zahlungen und Kostenübernahmen dafür sorgen, dass die Betroffenen nicht noch weiter belastet werden“, sagt Joachim Rock, designierter Hauptgeschäftsführer des Der Paritätische Gesamtverbands auf Anfrage unserer Redaktion.
Bürgergeld sieht 55 Euro für Freizeit, Unterhaltung, Kultur vor
Mit zusätzlichen Belastungen für Bürgergeldberechtigte entfernten sich die Leistungen immer mehr von den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Rock: „Obwohl die Neuregelung lange bekannt war, hat die Bundesregierung keine Initiativen ergriffen. Sie ist jetzt gefordert, die Regelsätze schnell, unbürokratisch und spürbar zu erhöhen.“ Nach Angaben des Paritätischen stehen einem alleinstehenden Bürgergeldempfänger monatlich knapp 55 Euro für Ausgaben im Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur zur Verfügung. Dieser Betrag werde nicht ausreichen, um davon auch noch die Kabelgebühren zu bezahlen, heißt es in einem Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), den die Chefs von Der Paritätische und der Wohnungswirtschaft gemeinsam unterschrieben haben.
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