Paris. Ein französisches Start-up mischt den Markt für Kernreaktoren auf – und verspricht günstigen, sauberen Strom. Das Interesse ist riesig.

Jimmy Energie, irgendwie klingt das niedlich. Und in gewissem Sinne könnte man es auch als niedlich bezeichnen, was das Pariser Start-up dieses Namens entwickelt hat: einen SMR (Small Modular Reactor) – ein Mini-Kernkraftwerk. Kurz bevor die französische Atomaufsichtsbehörde ASN nach 16-jähriger Bauzeit endlich grünes Licht für die Inbetriebnahme eines neuen Atommeilers vom Typ EPR (Europäischer Druckwasserreaktor) in Flamanville am Ärmelkanal gab, hat nun Jimmy Energie die Genehmigung für den Bau seines ersten Kleinreaktors beantragt.

Klein ist der nukleare Thermogenerator von Jimmy Energie wirklich. Er misst gerade einmal 20 Meter in Breite, Tiefe und Höhe. Bescheiden im Vergleich zu einem herkömmlichen AKW ist auch seine Leistung von maximal 20 Megawatt. Aber sie reicht aus, um etwa den Wärmebedarf einer Firma wie die Alkohol und Bioethanol destillierende Cristal Union in Bazancourt zu decken, die das erste Exemplar dieses SMR bestellt hat.

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Ungefähr zehn Jahre Bauzeit ist für ein gängiges Kernkraftwerk zu veranschlagen. Jimmy Energie verspricht, seinen Minimeiler in knapp zwei Jahren fertig zu stellen und schlüsselfertig per Lkw zu liefern. Denn angefertigt wird er nicht vor Ort, sondern auf dem Betriebsgelände von Jimmy Energie in Creusot nördlich von Lyon, wo die Fertigung dieses Jahr anlaufen soll. Den Segen der ASN vorausgesetzt könnte Cristal Union sein eigenes Kernkraftwerk also Ende 2026 in Empfang nehmen und danach auf das Gas verzichten, welches bislang als Energiequelle dient.

Atomkraft: So unterstützt die Regierung die Entwicklung

Jimmy Energie, 2020 von dem Ingenieur Antoine Guyot und der Managerin Mathilde Grivet gegründet, beschäftigt derzeit 70 Angestellte an seinem Sitz in Paris. Im vergangenen Jahr erhielt das Unternehmen 37 Millionen Euro an Subventionen von der Regierung für den Aufbau seiner Produktionsanlagen in Creusot, wo rund 300 Arbeitsplätze entstehen sollen.

Um die Arbeitsplätze geht es Paris weniger als um das von Jimmy Energie entwickelte Mini-Kernkraftwerk. In Frankreich wird beinahe 70 Prozent des Strombedarfs durch Atomkraftwerke gedeckt. Da jedoch ein Teil des von dem staatlichen Energieversorger EDF betriebenen Meiler-Parks inzwischen an seine Laufzeitgrenzen stößt, sollen bis 2050 nicht nur acht neue EPR gebaut werden. Die Regierung versprach auch, die Entwicklung und den Bau von Minikraftwerken gezielt zu fördern.

Jimmy Energie ist nur eines von sechs französischen Unternehmen, dass sich inzwischen der Entwicklung von SMR verschrieben hat. Doch der Reaktor des Pariser Start-ups ist am weitesten gediehen und hat die besten Chancen, als erstes inländisches Produkt auf den Markt zu kommen. Und selbstverständlich hat sich Jimmy Energie ganz im Sinne der Regierung auf die Fahnen geschrieben, Firmen eine praktikable und preiswerte Alternative zur fossilen Energie zu bieten.

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Sein Minikraftwerk, welches für die Erzeugung von Wärme in Form von Wasserdampf ausgelegt ist und eine Laufzeit von 20 Jahren hat, ist eine solche Alternative. Und preiswert ist der Thermogenerator schon allein deswegen, weil der Kunde ihn nicht kaufen muss.

Jimmy Energie bleibt Besitzer seiner SMR und kümmert sich um die Installation ebenso wie um die Wartung, zu der auch der nach zehn Jahren fällige Austausch der verwendeten Graphit-Brennstäbe und deren Entsorgung in einem französischen Endlager gehört. Der Kunde zahlt allein für die bei ihm vor Ort produzierte Wärme – und zwar ungleich weniger, als wenn er sie mit fossilen Brennstoffen erzeugen müsste. Rentabel ist das Modell für ihn also ab dem ersten Tag.

Nun verhält es sich mit den Minikraftwerken wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness. Alle sprechen über „Nessie“, aber niemand hat sie gesehen. Und was die SWR betrifft, so laufen international zwar zahlreiche Entwicklungsprojekte, doch bis heute existieren nur vier Exemplare. Zwei mobile in Russland, die per Lastkahn an wechselnde Einsatzorte geschafft werden, sowie zwei Festinstallationen in China.

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Trotzdem oder gerade deswegen geben sich die Interessenten bei Jimmy Energie-Chef Antoine Guyot die Klinke in die Hand. Mit rund 30 Unternehmen sind die Gespräche laut Guyot sehr weit gediehen, zehn weitere stehen vor der Vertragsunterzeichnung. Wobei es keineswegs nur französische Firmen sind, die sich für den Thermogenerator interessieren.

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„Mittelfristig“, so Guyot, „haben wir natürlich den gesamten europäischen Markt im Blick, da sich Unternehmen mit hohem Gasverbrauch in allen europäischen Ländern vor erhebliche Probleme gestellt sehen“. Interessant und ironisch zugleich: der Thermogenerator von Jimmy Energie beruht auf dem Prinzip des Hochtemperaturreaktors (HTR), der am deutschen Forschungszentrum Jülich entwickelt wurde, aber keine deutsche Anwendung fand.

Neuartige Atomreaktoren brauchen laut Wissenschaftlern noch Jahrzehnte bis zur Marktreife. (Symbolbild)
Neuartige Atomreaktoren brauchen laut Wissenschaftlern noch Jahrzehnte bis zur Marktreife. (Symbolbild) © picture alliance / Stefan Sauer/dpa | Unbekannt

Sollten SWR und das Geschäftsmodell des Start-ups tatsächlich so erfolgreich werden, wie es derzeit scheint, würde dazu also auch deutsches Know-how beigetragen haben. Auch ein HTR-Experte aus Jülich gehört zu den technischen Beratern der jungen Firma. In den USA musste ein ähnliches Projekt wie das französische jüngst übrigens aufgegeben werden. Das Unternehmen NuScale entwickelte ebenfalls Mini-Atomkraftwerke. Und gab Ende 2023 bekannt, das Vorhaben aufzugeben.

Der Grund: Kostenexplosion. Ursprünglich waren die Ausgaben für das NuScale-Projekt auf 5,3 Milliarden Dollar angesetzt. Doch Anfang 2023 wurden dann 9,3 Milliarden Dollar veranschlagt, 75 Prozent mehr. NuScale machte steigende Preise für Stahl, Kupfer und andere Werkstoffe dafür verantwortlich. Am Ende wären so aber auch die Stromkosten nicht mehr rentabel gewesen. Jimmy Energie schweigt sich zu den Kosten für seinen Thermogenerator bislang aus.