Berlin. Ab Mittwoch kann in Deutschland HVO 100 getankt werden. Experten verraten, wie teuer und wie sinnvoll der Einsatz des Öko-Diesels ist.
Allmählich verschwinden die tackernden Diesel-Taxis der 80er- und 90er-Jahre, denen man nachsagte, sie können auch mit Frittenfett im Tank die eine Million Kilometer-Marke knacken. Heutzutage sind Dieselmotoren in hochgezüchteten Autos verbaut, die im Geschwindigkeitsrausch deutscher Autobahnen mit den Ottomotoren mithalten können. Dennoch ist an deutschen Tankstellen ab diesem Mittwoch (29. Mai) ein Diesel-Kraftstoff erhältlich, der aus altem Speiseöl hergestellt wird. Was hat es auf sich mit HVO 100?
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Die Ampel-Regierung hatte unlängst beschlossen, Kraftstoffe aus 100 Prozent erneuerbaren Komponenten auch in Deutschland zuzulassen. Bislang blieb HVO 100 den Autofahrern hierzulande verwehrt, da ein Gesetz lediglich die Beimischung von Biokraftstoff zu fossilem Diesel erlaubte. Dabei ist HVO 100 keine Unbekannte: Nach Angaben des ADAC ist der Diesel im US-amerikanischen Kalifornien bereits seit 2014 erhältlich und deckt dort 50 Prozent der Dieselverkäufe ab. Auch in Nachbarländern wie Österreich, Italien und den Niederlanden ist es Dieselfahrern möglich, ihre Tanks mit „Hydrotreated Vegetable Oil“ zu füllen.
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„Grundsätzlich brauchen wir Antworten auf die Frage, wie man für jede und jeden bezahlbare klimaneutrale Mobilität organisieren kann“, hatte Verkehrsminister Wolker Wissing im Interview dieser Redaktion gesagt. „Und je mehr Optionen wir haben, desto besser“, begründet der FDP-Politiker die Gesetzesänderung. Diese wurde am Dienstag im Bundesgesetzblatt vermerkt. Dem freien Verkauf stehe nichts mehr im Wege, heißt es vom Bundesverband Energie Mittelstand (UNITI).
Das Interview lesen Sie unter: Wissing gegen das Tempolimit: „Das wollen die Leute nicht“
HVO 100: Weniger CO₂ und weniger Stickoxide
Mit der Einführung von E10 an deutschen Tankstellen waren viele Autofahrer zunächst skeptisch, ob das neue Benzin für den Motor verträglich ist. Im Fall von HVO 100 weist der ADAC auf die XTL-Freigaben der Hersteller hin, wie sie zum Beispiel von BMW bereits für alle Modelle getätigt wurde. „Rein von der chemischen Seite ist das ein sehr guter Kraftstoff, der nicht zu Problemen bei Motoren führt“, sagte Andreas Menne, Abteilungsleiter von Low Carbon Technologies des Fraunhofer-Instituts, dieser Redaktion.
Für die Herstellung würden alte und gebrauchte pflanzliche Fette und Öle genommen, die unter hohen Temperaturen und Druck mit Wasserstoff umgesetzt werden. Heraus kämen, wie beim herkömmlichen Diesel, Kohlenwasserstoffe, die aber keine aromatischen Komponenten enthalten. „Dadurch entstehen bei der Verbrennung weniger Ruß und Stickoxide“, so Menne zum Abgasverhalten. Der Vorteil des Öko-Diesels: Da die Pflanzen das CO₂ der Atmosphäre bereits entnommen haben, erzeuge der Kraftstoff nur bei der Herstellung nennenswerte Emissionen. „Im Vergleich zum fossilen Diesel spart man bis zu 80 Prozent CO₂ ein“, so der Wissenschaftler.
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Der Mittelstand steht in den Startlöchern – große Tankstellen zurückhaltend
Zumindest die mittelständischen Tankstellen stehen mit dem Verkauf bereits in den Startlöchern: UNITI geht davon aus, dass mehrere hundert Unternehmen des Energiemittelstandes HVO 100 ab dem erstmöglichen Zeitpunkt verkaufen. „Wir planen erstmal an acht von 140 Standorten HVO 100 anzubieten“, sagte etwa Benjamin Kraatz, Sprecher der Sprint-Tankstellen, dieser Redaktion. Es sei die Ambition des Unternehmens, HVO 100 im größeren Stil auszurollen und das Netz abzudecken. „Aber die Einführung richtet sich natürlich nach der Nachfrage“, so Kraatz, die er vor allem von Unternehmensseite erwartet. Weiteres Hemmnis sei die Kapazität der Tankstellen, die oft keine Zapfsäulen oder Tanks mehr frei hätten. Herkömmliche Kraftstoffe können nicht weichen, da für diesen Bestandsschutz gelte, teilte der ADAC mit.
Eine Umfrage dieser Redaktion unter den großen Tankstellenbetreibern ergab jedoch ein verhaltenes Bild: Aral, die bis zuletzt das größte Tankstellennetz in Deutschland betrieben, freue sich über die Gesetzesnovelle und prüfe alle Optionen. Man könne jedoch keine Angaben darüber machen, wann und wo HVO 100 erhältlich sei. Ähnlich verhält es sich bei Esso und Alimentation Couche-Tard, die die Total-Tankstellen betreiben. Bei Jet sei die Einführung wegen logistischer Herausforderung derzeit nicht geplant. Shell plant den Verkauf an Geschäftskunden. Avia starte an einigen wenigen Standorten mit dem Verkauf, möchte aber zeitnah auf 30 Standorte erweitern. Man sehe „einen entscheidenden Schritt Klimaschutz jetzt und heute zu realisieren“, sagte Holger Mark, Avia-Vorstand, dieser Redaktion.
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HVO 100 bis zu 20 Cent teuer
Ob die großen Player des Tankstellengewerbes nachziehen, wird sicherlich von der Akzeptanz abhängen. „Es ist sehr gut für den Motor und für die Umwelt noch besser“, nennt Kraatz die Gründe, warum sich Autofahrer dafür entscheiden sollten. Für die in Deutschland verbliebe Bestandsflotte an Diesel-PKW sei HVO eine nachhaltige Alternative.
Ob diese Alternative auch wirtschaftlich ist, darüber müssen die Autofahrer an der Zapfsäule entscheiden. Im Gegensatz zur E10 Einführung, die mit einer günstigen Alternative lockte, übertrifft HVO 100 den derzeitigen Dieselpreis: Aktuell sehe man im Ausland einen Aufschlag von fünf bis 20 Cent pro Liter im Vergleich zu herkömmlichem Diesel, teilte der ADAC mit. Obwohl laut UNITI der Öko-Diesel von der CO₂-Abgabe befreit ist, geht der Automobilclub von einer ähnlichen Preisgestaltung in Deutschland aus.
Experte für Einsatz von Speiseöl dort, wo E-Mobilität nicht möglich ist
Grund dafür ist der aufwendige Herstellungsprozess, bei dem die alten Fette umgesetzt werden. Und diese sind ein endliches Gut, wenn die Pflanzen zur Herstellung nicht extra angebaut werden sollen. „Für einen weiteren Markthochlauf prüft man derzeit die Nutzbarmachung zusätzlicher Rohstoffquellen für Rest- und Abfallstoffe, zum Beispiel aus der Forstwirtschaft“, so Kraatz.
Energieexperte Menne sieht den freien Verkauf von HVO 100 kritischer: „Allein in Deutschland liegt der Dieselmarkt jährlich bei etwa 30 Millionen Tonnen“, sagte er. In ganz Europa seien jedoch nur circa zwölf Millionen Tonnen Altspeiseöl oder Reststoffe verfügbar, aus denen lediglich ein Drittel der in Deutschland benötigten Diesel-Menge produziert werden könne. „HVO bringt uns also nicht in großen Schritten zur CO₂-Neutralität, kann aber ein kleiner Baustein sein.“ Den Rohstoff für die Herstellung solcher Kraftstoffe zu verwenden, die nicht elektrifizierbar sind, wäre eine bessere Lösung, so der Wissenschaftler. Dazu zählt er den Schwerlastverkehr, Landmaschinen, Schiffe und auch Flugzeuge.