Essen/Duisburg. Bei Thyssenkrupp beschließt der Aufsichtsrat gegen die Stimmen der Arbeitnehmer den Einstieg von Kretinsky in der Stahlsparte.
Beim Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp eskaliert der Streit um den Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky in der traditionsreichen Stahlsparte. Trotz eindringlicher Appelle stimmte der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat am Donnerstagabend den Plänen von Vorstandschef Miguel López gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter zu. Dabei zog der Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, seine sogenannte Doppelstimme, um die Vertreter der Belegschaft im Kontrollgremium des Unternehmens zu überstimmen.
„Die Entscheidung wurde mit dem Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden getroffen gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter“, teilte Thyssenkrupp in Bezug auf den Kretinsky-Deal mit. Die Partnerschaft mit dem Unternehmen EPCG des tschechischen Geschäftsmanns sei ein „wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Stahlindustrie in Deutschland“, betonte das Unternehmen.
„Bei Thyssenkrupp wurde heute Geschichte geschrieben – und zwar im denkbar schlechtesten Sinne“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp. Mit dem Verkauf der 20 Prozent an EPCG entstünden Risiken für die Stahlsparte, die „nach unserer Überzeugung völlig ungeklärt“ seien.
Tausende Beschäftige von Thyssenkrupp bei Kundgebung vor Firmenzentrale
Tausende Beschäftigte hatten noch unmittelbar vor der Aufsichtsratssitzung vor der Thyssenkrupp-Firmenzentrale gegen den Kurs von Vorstandschef López protestiert. „Ein Umbau der Thyssenkrupp AG gegen die Menschen wird nicht gelingen“, warnte Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. Es müsse Schluss sein „mit dem Kurs gegen die Mitbestimmung“. Zur Teilnahme aufgerufen hatte die IG Metall. Die Gewerkschaft schätzte die Anzahl der Teilnehmenden auf rund 5000, die Polizei auf 4500.
Auch der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Knut Giesler warnte das Thyssenkrupp-Management vor einer Entscheidung zum Teilverkauf der Stahlsparte gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter. Dann werde es „monatelange Unruhe“ in den Betrieben geben, sagte Giesler unserer Redaktion. Giesler forderte, das Votum im Aufsichtsrat „einstimmig zu verschieben“. Noch lägen zu wenige Fakten auf dem Tisch.
„Letzten Hoffnungen auf ein faires, demokratisches Miteinander begraben“
„Mit der Doppelstimme von Russwurm sind die letzten Hoffnungen auf ein faires, demokratisches Miteinander begraben worden“, kritisierte Nasikkol. „Die Zukunft des größten Stahlproduzenten Deutschlands steht vor unsicheren Zeiten. López handelt unverantwortlich und geht volles Risiko. So etwas hat es bei Thyssenkrupp noch nie gegeben. Jetzt sind wir im Konfliktmodus.“
NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) trat vor den Beschäftigten auf, um dem Thyssenkrupp-Vorstand eine Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern nahezulegen. Auch einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen beim anstehenden Umbau der Stahlsparte mit großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen mahnte Laumann an. „Das muss auf dem Zettel stehen“, sagte er und rief den Stahlkochern zu: „Wir lassen nicht zu, dass in diesem Land die soziale Partnerschaft mit Füßen getreten wird.“
Thyssenkrupp-Vorstandschef López wurde von den Beschäftigten teils mit Buhrufen empfangen. Auch „López raus“-Rufe ertönten. Der Manager warb für seine Pläne, den tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp zu beteiligen. Der Milliardär will zunächst mit 20 Prozent einsteigen, später soll es eine 50-Prozent-Beteiligung geben. López bereitete die Beschäftigten in der Thyssenkrupp-Stahlsparte auf Härten vor. „Ohne Einschnitte wird es nicht gehen“, sagte er. „Wenn wir aber jetzt nichts tun, riskieren wir weitaus mehr.“
„Verunsicherung nicht kleiner, sondern größer geworden“
Mit dem Auftritt von López sei „die Verunsicherung nicht kleiner, sondern größer geworden“, sagte der Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak. Er appellierte an die Thyssenkrupp-Aufsichtsratsmitglieder, es dürften keine Fakten geschaffen werden, solange wichtige Fragen zum Einstieg des tschechischen Investors Kretinsky ungeklärt seien.
Die NRW-Vorsitzende der SPD, Sarah Philipp, nannte López‘ Rede gegenüber unserer Redaktion einen „nichtssagenden Auftritt“ und sagte: „Leere Worthülsen geben den Beschäftigten und deren Familien keine Sicherheit.“ Nur mit Standort- und Jobgarantien könne der Vorstand verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Das traut die SPD-Landeschefin López offenbar aber nicht zu: „Die Tausenden Beschäftigten vor der Thyssenkrupp-Zentrale sind die Zukunft des Konzerns“, sagte Philipp. „Dass Herr López Teil dieser Zukunft ist, wird zunehmend schwerer vorstellbar.“
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