Berlin. Nach Corona und vor einer möglichen Eskalation im Taiwan-Konflikt will die Wirtschaft ihre Lieferketten umbauen. Woran es derzeit hakt.
China im Corona-Lockdown, Russlands Einmarsch in der Ukraine, die Angriffe von Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer und eine möglicherweise bevorstehende Eskalation zwischen China und Taiwan: Gelangen wichtige Güter nicht mehr nach Deutschland, trifft das Wirtschaft und Verbraucher hart. Nach den zurückliegenden Krisen arbeiten deutsche Firmen deshalb verstärkt daran, ihre Lieferketten breiter aufzustellen – und leere Regale zu vermeiden.
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Doch diese sogenannte Diversifizierung der eigenen Lieferketten fällt den Unternehmen durchaus schwer, wie eine neue Auswertung zeigt. Das Vorab-Papier aus dem AHK World Business Outlook, den die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) am Dienstag in Berlin vorstellen will, lag dieser Redaktion exklusiv vor.
Deutsche Wirtschaft will Abhängigkeit reduzieren, doch diese Probleme erschweren den Plan
Den aktuellen Daten des noch unveröffentlichten Reports zufolge sehen sich 85 Prozent der deutschen Firmen bei der Diversifizierung vor Herausforderungen gestellt. Gut die Hälfte der Firmen nennt die Suche nach passenden Lieferanten oder Geschäftspartnern in anderen Ländern als Hürde. Zusätzlich klagt mehr als ein Drittel der Unternehmen, die auf der Suche nach neuen Lieferanten sind, über hohe betriebswirtschaftliche Kosten.
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Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen und vermehrt auftretender Störungen in den internationalen Logistikwegen würden robustere Lieferketten und flexiblere Abläufe dringlicher denn je, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier dieser Redaktion. „Die deutsche Wirtschaft ist vor allem von bestimmten Schlüsselproduktionen und Handelspartnern abhängig. Hier müssen wir uns mit unterschiedlichen Beschaffungsquellen und Absatzmärkten breiter aufstellen als bisher“, forderte er. Risiken müssten besser gestreut werden. Es gelte, Resilienz in der Beschaffung aufzubauen, so Treier weiter.
Laut dem DIHK-Papier koste die Umstellung auf Strategien wie „Multi-Sourcing“ und damit einhergehende Marktanalysen und Qualitätskontrollen neuer Lieferanten Unternehmen aber nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Insbesondere mögliche Mengenrabatte fielen durch sinkende Bestellmengen niedriger aus. Auch das Verteilen auf mehrere Lieferanten erhöhe oftmals die Kosten, hieß es.
Regulierung als Hürde: Erste Firmen denken über Konsequenzen nach
Gleichzeitig sehen sich viele deutsche Firmen bei dem Bestreben, ihre Abhängigkeiten von einem bestimmten Liefergebiet oder Handelspartner zu reduzieren, mit Rechts- und Regulierungsproblemen konfrontiert. Weil der Planungsaufwand steige, nennen rund 40 Prozent der Firmen solche nicht-tarifären Handelshemmnisse, wie zum Beispiel lokale Zertifizierungen, als Herausforderung.
Sorgen bereiten aber auch europäische und deutsche Regulierungen. Schon länger klagt die Wirtschaft über das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Einige Unternehmen ziehen deshalb sogar einen Rückzug aus Märkten und das Ende von Handelsbeziehungen mit Risikoländern in Betracht, so die Kammer.
Bei welchen Produktgruppen die Abhängigkeit für besonders kritisch gehalten wird
Während der Corona-Pandemie hatten Lieferengpässe bei der deutschen Industrie zu Materialknappheit und für Verbraucher zu steigenden Preisen geführt. In der Folge sorgte die Krise auch zu einem Umdenken innerhalb der Wirtschaft hin zu mehreren Lieferanten für ein Produkt. Mit Blick auf China seien nun viele deutsche Firmen daran interessiert, zusätzliche Standorte außerhalb Chinas zu eröffnen, so die Kammer. DIHK-Daten zufolge liegt zwar der Anteil vom Handelsvolumen bei keinem ausländischen Handelspartner bei über zehn Prozent. Laut EU-Kommission weisen jedoch sechs Prozent (137 Produkte) der EU-Importe strategische Abhängigkeiten auf. Bei 34 Schlüsselprodukten, wie Seltene Erden, Elektronikprodukten, Halbleitern und Chemikalien, wird die Abhängigkeit als besonders kritisch eingestuft.
Die DIHK fordert nun unter anderem den Ausbau sogenannter Rohstoffpartnerschaften, weniger Bürokratie und zusätzliche Anreize für die Unternehmen. Unter anderem sei es wichtig, die Exportkreditgarantien – sogenannte Hermesbürgschaften – für mehr Unternehmen zu öffnen.
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