Berlin. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, plädiert für neue Wege im Kampf gegen den Fachkräftemangel.
Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil ist Deutschlands Wirtschaft in Sorge über die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen. Im Interview erklärt der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, wie es nun um die Klima-Transformationspläne der Unternehmen steht und sagt auch, was Beschäftigte selbst tun sollten, um den Fachkräftemangel zu lindern.
Wie ist die Lage der Wirtschaft, nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Finanzplanung der Bundesregierung ins Chaos gestürzt hat?
Peter Adrian: Die Unternehmen waren schon zuvor stark verunsichert, das wird nun weiter zunehmen. Das, was Wirtschaft braucht, ist langfristige Sicherheit. Und im Moment bestehen in dieser Hinsicht große Fragezeichen. Gerade die Strompreiskompensation ist zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der hoch energieintensiven Branchen zentral. Zudem hilft die Entlastung bei der EEG-Umlage der Breite der Wirtschaft. Es gibt dazu Unternehmen, die sich auf direkte Unterstützung aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingestellt hatten und darüber ihre eigenen Transformationsprojekte refinanziert bekommen sollten. Für die Wirtschaft ist wichtig, wenn dafür nun schnell Alternativen zur Finanzierung auf den Tisch gelegt werden.
Befürchten Sie, dass Deutschland dabei scheitert, die Wirtschaft klimaneutral aufzustellen?
Wir werden das jedenfalls nicht mit staatlichen Verboten und der Förderung einzelner Großprojekte alleine schaffen. Dafür ist die Aufgabe zu groß. Das war schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts so. Deshalb muss jetzt nicht nur die Finanzierung der sinnvollen Maßnahmen aus dem Klimafonds neu aufgestellt werden. Unsere Wirtschaftspolitik braucht insgesamt einen frischen Schub, damit die Unternehmen die Herausforderungen selbst besser meistern können.
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Sie fordern ein Umdenken?
Ja. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es entscheidend, bei diesem Transformationsprozess auf Anreize etwa bei der Steuer wie in den USA zu setzen und vor allem einen Wettbewerb, um die besten Lösungen zuzulassen. Wir müssen Kräfte mobilisieren. Eine solche Eigendynamik entfacht man ja nicht durch besonders enge politische Leitplanken. Tatsächlich ist uns doch heute das Streben um die besten Lösungen fast völlig abhandengekommen, weil die Politik sagt, es gibt diesen Weg und sonst keinen. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die Bundesregierung selbst einen neuen Kurs einschlagen kann. Dann hätte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts doch noch etwas Gutes.
Nun gibt es aber Unternehmen, die fest mit Subventionen geplant haben.
Unternehmen, denen eine Förderung fest zugesagt oder auch politisch in Aussicht gestellt worden ist, sollten sich darauf verlassen können, die zugesagten Mittel auch zu erhalten. Ansonsten wäre der Schaden immens. Um die Ansiedlung ausländischer Unternehmen bräuchte sich Deutschland dann wohl auf absehbare Zeit kaum zu bemühen. Wichtig ist aber vor allem auch, dass wir die Vertrauenskrise zwischen der Politik und unserer Wirtschaft überwinden. Viele Unternehmen zweifeln am Versprechen der Energiewende oder dem Abbau von Bürokratie. Sie erwarten mehr Respekt für ihre Leistungen auch bei der Anpassung an krisenhafte Herausforderungen. Wir werben deshalb für einen mutigen Neustart in der Wirtschaftspolitik. Politik und Wirtschaft können unseren Standort nur gemeinsam wieder stark machen.
Das heißt, die Wirtschaft wird der Politik die Hand reichen. Was bieten die Firmen denn an, um diese Krise gemeinsam zu lösen?
Wir haben gerade mit unserer DIHK-Vollversammlung, in der ja alle 79 Industrie- und Handelskammern vertreten sind, zehn konkrete Punkte formuliert, wo wir ansetzen müssen. Unser Angebot an die Politik ist: Setzt einen Rahmen, aber traut den Unternehmen mehr zu und lasst ihnen Freiraum für kreative Lösungen. Das ist besser als viele Detailvorgaben.
Ein Hemmnis, auf das immer wieder seitens der Wirtschaft hingewiesen wird, ist die Bürokratie. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll im kommenden Jahr noch mal ausgeweitet werden. Warum ist das so eine große Belastung?
Die Zielsetzung der Politik bei dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz ist ja, sicherzustellen, dass nicht unter Missachtung von ökologischen Standards und Menschenrechten produziert wird. Das ist völlig richtig. Doch so wie das Gesetz gemacht ist, geht damit eine völlig unangemessene Belastung für die Unternehmen einher. Es hat quer durch die deutsche Wirtschaft vor allem zu aufwändiger, aber nicht hilfreicher Fragebogen- und Berichtsbürokratie geführt.
Wie sollte das Gesetz entschärft werden?
Wir dürfen vor allem nicht ein noch belastenderes europäisches Lieferkettengesetz hinzubekommen. Insgesamt gilt: Weniger ist mehr. Die vielen Regelungen führen auch zur Verunsicherung. Unternehmen schrecken dann davor zurück, sich beispielsweise in Afrika überhaupt zu engagieren. Das ist doch kontraproduktiv, zumal es die nötige weitere Diversifizierung der Lieferketten ausbremst. Die deutsche Wirtschaft hat da eine hohe Verantwortung und reagiert auch, wenn Fehlentwicklungen in der eigenen Lieferkette erkennbar sind. Unternehmen sind aber überfordert, wenn sie allein die Menschenrechtslage oder Ökostandards in politisch schwierigen Ländern verändern sollen. Das ist Aufgabe der Staaten. Es ist zuallererst die Aufgabe der Bundesregierung, die politisch Verantwortlichen anderer Länder auf etwaige Missstände hinzuweisen und Verbesserungen zu erreichen.
In Deutschland beschäftigt auch der Fachkräftemangel die Wirtschaft. Wie schwer wird es künftig, offene Stellen zu besetzen?
Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern ist mittlerweile für Unternehmen quer durch alle Branchen neben hohen Energie- und Rohstoffpreisen die größte Herausforderung. Wir müssen dafür viele Register ziehen, etwa bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dazu gehört auch, künftig noch mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Das dafür angepasste Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist auf diesem Weg ein richtiger Schritt, aber kein Selbstläufer. Es muss jetzt auch in der Praxis schneller gehen – durch digitale, schlanke Verfahren und Behörden, die Willkommenskultur ausstrahlen.
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Im kommenden Jahr wird ein neuer Landtag in drei Bundesländern gewählt, in denen vermutlich die in Teilen rechtsextreme AfD stark abschneiden wird. Welchen Einfluss hätte das auf das Bild Deutschlands in der Welt?
Wir äußern uns nicht parteipolitisch. Klar ist aber: Politische Entscheidungen, auch in den Bundesländern, werden international wahrgenommen. Es ist aber auch Aufgabe der Politik, glaubwürdige Antworten auf Sorgen und Nöte zu geben.
Es gibt Stimmen, die eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich fordern, um im Werben um Personal als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Was halten Sie davon?
Wenn Sie mich da als Unternehmer fragen: Eine Vier-Tage-Woche lehne ich nicht grundsätzlich ab. Nur wird dieses Arbeitszeitmodell nicht in jedes Unternehmen passen. Bei dieser Diskussion sollte sich jeder Verbraucher auch zunächst einmal selbst hinterfragen. Es sind ja meist starke Kundenwünsche, dass Dienstleistungen an fünf, besser noch an sechs Tagen in der Woche verfügbar sind. Mit weniger Wochenstunden und dann womöglich zusätzlich der Vorstellung, dass die meisten Beschäftigten freitags oder montags freihaben wollen, wäre das nicht machbar. Grundsätzlich verschärfen wir den Fachkräftemangel und die damit verbundenen Lücken in unserer Volkswirtschaft, wenn wir alle weniger arbeiten.
Das heißt, eigentlich müssten wir alle mehr arbeiten?
Alle natürlich nicht, aber wenn viele Teilzeitkräfte einige Stunden mehr pro Woche arbeiten könnten, dann würde das sehr helfen. Wir müssen unter anderem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern, damit etwa Eltern in Teilzeit ihre Arbeitszeit ausweiten können. Die Schweizer beispielsweise arbeiten im Schnitt fast 90 Stunden mehr im Jahr als wir in Deutschland, im direkten Vergleich einer Vollzeitstelle sind es sogar gut 230 Stunden mehr. Damit erwirtschaften sie aber auch höhere persönliche Einkommen und einen höheren Wohlstand.
Welche Hilfe bietet Künstliche Intelligenz (KI) bei der Linderung des Fachkräftemangels?
KI kann schon heute vieles erleichtern, etwa wenn wir monotone, aber durchaus herausfordernde Büroarbeiten an eine Software delegieren. Insgesamt bietet KI Potenziale, unsere Produktivität zu steigern. Mitarbeiter können sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Wir können hier aber nur gut sein, wenn wir genügend Daten haben, aus denen sich die KI speisen kann. Da haben wir auch als Wirtschaft sicherlich noch Nachholbedarf, aber vieles ist auch Folge zu enger Regulierung in dem Bereich. Wir sehen ja heute schon, wie etwa manchmal auch zu eng ausgelegte Datenschutzvorschriften Innovationen im Feld KI abbremsen und dazu führen, dass Unternehmen Dinge lieber woanders als in Deutschland ausprobieren. Das darf nicht sein und daran wird es sich auch entscheiden, ob unser Land bei dem Einsatz von KI eine führende Rolle einnehmen kann oder eben nicht.
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