Düsseldorf. Die NRW-Bank bescheinigt dem Ruhrgebiet, Fortschritte beim Strukturwandel zu machen. Sie benennt aber auch eine Vielzahl von Problemen.
Die wirtschaftliche „Aufholjagd“, zu der sich das Ruhrgebiet seit einigen Jahren aufgemacht hat, scheint zu fruchten. Die landeseigene NRW-Bank bescheinigt dem Revier, beim Strukturwandel voranzukommen. Das Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch die Gründerszene erwiesen sich als wahrer Jobmotor. Die aktuelle Studie der NRW-Bank benennt aber auch eine Vielzahl bekannter Defizite, die sich nicht bessern: hohe Arbeitslosigkeit, geringe Kaufkraft und eine vergleichsweise alte Bevölkerung.
So viel Lob ist selten. „Unsere Analyse für die Region entlang von Emscher und Ruhr zeigt, dass dort der Strukturwandel sehr weit fortgeschritten ist“, sagt Claudia Hillenherms, Mitglied des Vorstands der NRW-Bank. „Die Dienstleistungsbereiche haben im Ruhrgebiet inzwischen eine dominierende Bedeutung für Wirtschaft und Beschäftigung.“ Der wirtschaftliche Wandel der Region spiegele sich zudem „in einer aktiven Gründungsszene wider, die hier Zukunft gestaltet“.
In der einstigen Hochburg von Kohle, Stahl und Chemie verliert die Industrie also deutlich an Bedeutung. Inzwischen dominiert im Ruhrgebiet klar die Dienstleistungsbranche mit einem Anteil von fast 75 Prozent an der Bruttowertschöpfung. Das sind sogar zwei Prozent mehr als im NRW-Schnitt. Besonders stark sind im Ruhrgebiet Dienstleister aus dem öffentlichen Sektor, der Erziehung und der Gesundheit vertreten. Das Gesundheits- und Sozialwesen erweist sich zudem als Beschäftigungsmotor. Im Ruhrgebiet entstanden hier zwischen 2012 und 2022 rund 82.100 neue Arbeitsplätze. Das ist ein Plus von fast einem Drittel. Auch dadurch sank die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet deutlich unter zehn Prozent – auf 9,2 Prozent. Trotzdem trägt die Region damit immer noch die rote Laterne in NRW.
Positiv auf die Beschäftigungsentwicklung wirken sich auch die gewerblichen Neugründungen von Firmen aus. Mit 20,8 Betrieben pro 10.000 Einwohner liegt das Revier ungefähr auf dem Niveau von NRW. Mit 31 und 25 Gründungen pro 10.000 Einwohner ragen allerdings Essen und Mülheim heraus. Die meisten Gründungen gab es ruhrgebietsweit in den Branchen Handel und Reparatur von Kraftfahrzeugen. Technologiegetriebene Start-ups fallen nicht darunter.
Die wohlhabensten Ruhrgebietler wohnen in Essen
Das verarbeitende Gewerbe kommt in der Region gerade noch auf knapp 15 Prozent, allein der Ennepe-Ruhr-Kreis ragt mit 28 Prozent heraus. Die Krupp-Stadt Essen kommt dagegen nur noch auf 5,9 Prozent. Weniger Industrie unter den NRW-Städten gibt es nur noch in Bonn und Münster. Das könnte auch einer der Gründe sein, warum das Ruhrgebiet bei einem der wichtigsten Wohlstandsindikatoren, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf deutlich abgeschlagen ist. Im Revier erwirtschaftet jede Einwohnerin/jeder Einwohner statistisch gesehen 35.100 Euro. Im Landesschnitt sind es 41.400 Euro. Die Ruhrgebietsstädte Bottrop (24.600 Euro) und Herne (27.700 Euro) sind die Schlusslichter in NRW. Die Essenerinnen und Essener sind dagegen überdurchschnittlich wohlhabend und kommen auf ein BIP pro Kopf in Höhe von 46.700 Euro.
Ein wichtiger Wohlstandsindikator ist auch die Kaufkraft, die am verfügbaren Nettoeinkommen gemessen wird. Die Menschen im Ruhrgebiet können sich landesweit am wenigsten leisten. Die NRW-Bank erklärt das Phänomen mit der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit. Städte mit geringer Kaufkraft sind vor allem Herne, Gelsenkirchen und Duisburg. Überdurchschnittlich viel leisten können sich dagegen Menschen in Mülheim sowie in den Kreisen Wesel, Unna und Ennepe-Ruhr.
Durchschnittsalter im Revier NRW-weit am höchsten
Die vergleichsweise schlechten Wirtschaftsdaten dürften auch mit der Struktur der Menschen, die hier leben, zu erklären sein. Während die Bevölkerung des Münsterlandes mit einem Durchschnittsalter von 43,6 Jahren die jüngste in NRW ist, gehören die Menschen im Ruhrgebiet mit 44,7 Jahren neben Südwestfalen und dem Niederrhein zu den ältesten. Im Revier leben überdurchschnittlich viele 60- bis 75-Jährige. Kinder und junge Erwachsene sind hier dagegen unterrepräsentiert.
Aber innerhalb der Metropole Ruhr gibt es deutliche Unterschiede: Die Kreise mit der ältesten Bevölkerung sind Ennepe-Ruhr und Wesel (beide 46,3 Jahre). Die Großstädte Dortmund, Duisburg und Hamm sind dagegen vergleichsweise jung.
Arbeitslosigkeit bleibt zu hoch
Für den Arbeitsmarkt relevant ist auch die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss. Der Anteil von 7,7 Prozent im Ruhrgebiet ist der höchste im gesamten Bundesland. Besonders viele Einwohner ohne Schulabschluss hat Gelsenkirchen. Im Umkehrschluss leben im Revier auch vergleichsweise wenige Akademiker. Ihr Anteil unter der Beschäftigten beträgt hier 15,3 Prozent. NRW-weit sind es 17,4 Prozent. Aber auch hier ist die Region heterogen. In Essen, Mülheim, Bochum und Dortmund liegt die Quote deutlich höher.
Eine weitere Besonderheit: Im Ruhrgebiet leben mit einem Anteil von 19,2 Prozent überdurchschnittlich viele ausländische Staatsbürger. Im NRW-Schnitt sind es 17,3 Prozent. Größte Gruppe sind die landeweit 485.000 Türkinnen und Türken. 200.000 von Ihnen leben im Ruhrgebiet – das sind 40 Prozent. Zweitgrößte Gruppe im Revier sind 120.000 Personen, die aus Syrien stammen. Gefolgt von 64.000 Ukrainern und 62.400 Polen.
Gelsenkirchen hat ein Drittel seiner Einwohner verloren
Zuwanderer trugen auch dazu bei, dass der Trend zu einer schrumpfenden Bevölkerung im Ruhrgebiet seit dem Jahr 2014 gestoppt ist. Dennoch bezeichnet die NRW-Bank den Einwohner-Rückgang in manchen Revierstädten als „dramatisch“. So hat Gelsenkirchen seit 1962 fast ein Drittel verloren, in Herne beträgt das Minus 28 Prozent, in Duisburg 24 Prozent und in Essen 22 Prozent. Einzig Hamm und Unna konnten zulegen. In der Folge kamen auch deutlich weniger Kinder zur Welt. Im Ruhrgebiet, aber auch landesweit gibt es deutlich mehr Sterbefälle als Geburten. Die Schere spreizt sich vor allem in Recklinghausen und im Kreis Wesel.
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