Essen. Im Ruhrgebiet gibt es die Rekordzahl von 1,85 Millionen Beschäftigten. Die Wirtschaft ist dennoch besorgt. Das sind die Gründe.
Das Ruhrgebiet hat einen Rekord aufgestellt: Im vergangenen Jahr gab es zwischen Wesel und Hamm knapp 1,85 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Jubel will im Kreis der Wirtschaftsförderer und IHK-Vertretern dennoch nicht aufkommen. Hohe Energiekosten belasten die Unternehmen, und in den kommenden Jahren wird eine mächtige Fachkräfte-Lücke im Revier erwartet.
Seit einigen Jahren zieht die Business Metropole Ruhr (BMR) das Bild von der Aufholjagd heran. Es soll ausdrücken, dass das Ruhrgebiet bei etlichen Wirtschaftskennzahlen hinter anderen bedeutenden Metropolen zurücklag. Am Donnerstag verkünden BMR-Geschäftsführerin Julia Frohne und ihr Beiratsvorsitzender Stefan Schreiber einen Zwischenerfolg. „Wir haben aufgeholt. Wir sind jetzt Nasenspitze an Nasenspitze mit anderen Metropolen“, sagen die Revier-Wirtschaftsförderin und der Hauptgeschäftsführer der IHK Dortmund unisono.
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Erfolge kann das Ruhrgebiet nach Erhebungen für den „Wirtschaftsbericht 2022“ vor allem beim Aufbau von Arbeitsplätzen verzeichnen. Ende des vergangenen Jahres gab es in der Region 1.847.581 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist die höchste Zahl seit 1976. Für die Zeit davor gibt es keine vergleichbaren Statistiken.
Das stärkste Wachstum verbuchte der Leitmarkt Freizeit & Events, der besonders unter der Corona-Pandemie zu leiden hatte (plus 5626 Beschäftigte, das entspricht 7,1 Prozent). Deutlich aufwärts ging es auch bei Bildung und Wissen (+4137/+4,4 Prozent). Der industrielle Kern, einst Herzstück des Ruhrgebiets, legte um 7153 Beschäftigte oder 2,2 Prozent zu. Ihren vor einigen Jahren eroberten ersten Platz unter den Branchen konnte allerdings die Gesundheitswirtschaft ausbauen, in der mittlerweile jede und jeder Fünfte arbeiten. Hier gab es im vergangenen Jahr ein Plus von 5687 Beschäftigten oder 1,6 Prozent.
Die Zahlen sind positiv. Ein tieferer Blick in die Statistik erzeugt aber Sorgenfalten in den Gesichtern der Macher des „Wirtschaftsberichts“. „Neben Energiekosten und Konjunkturaussichten alarmiert die Fachkräfteentwicklung. Auch in der Metropole Ruhr werden die Beschäftigten immer älter. Hier droht eine wachsende Lücke“, warnt Julia Frohne und wird konkret. So ist der Anteil der über 55-Jährigen unter den Erwerbstätigen im Ruhrgebiet auf 21,7 Prozent gestiegen. Die Gruppe der unter 25-Jährigen, auf denen die Zukunftshoffnung liegt, kommt dagegen nur auf 9,8 Prozent.
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Stefan Schreiber, der hauptberuflich die Dortmunder IHK führt, legt noch eine Zahl drauf, die die Sorgenfalten weiter vertieft. „Im Jahr 2030 werden im Ruhrgebiet rund 270.000 Fachkräfte fehlen“, beruft er sich auf eine Erhebung der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Die IHKs wollen mit einer millionenschweren Kampagne reagieren, um Auszubildende zu gewinnen.
Der „Wirtschaftsbericht“ lenkt den Blick aber auch auf andere Entwicklungen. Danach sind im Ruhrgebiet nur noch 70 Prozent in Vollzeit beschäftigt. Frohne führt das auch darauf zurück, dass immer mehr Frauen arbeiten, aber mit Rücksicht auf ihre Familien Teilzeitmodelle wählen. Zudem stellt sie fest: „Der Anteil der ausländischen Beschäftigten ist bundesweit stärker gestiegen.“ Im Ruhrgebiet gibt es gerade einmal 264.071 ausländische Beschäftigte. Das sind 14,5 Prozent.
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Der Fachkräftemangel ist aber nur ein Problem, das Wirtschaftsförderer und Kammern umtreibt. „Wir sehen eine erhebliche Investitionsabkühlung in Deutschland“, sagt IHK-Manager Schreiber. Der „Lockruf des Goldes“, das milliardenschwere Subventionsprogramm von US-Präsident Joe Biden, spreche deutsche Unternehmen an, die im Heimatmarkt unter hohen Energiekosten und langen Genehmigungsverfahren halten.
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Schreiber hält nicht viel von Forderungen nach einem Industriestrompreis, der den Mittelstand benachteilige. Der Dortmunder IHK-Chef bringt stattdessen eine Absenkung der Stromsteuer ins Spiel, von der alle, auch Privatpersonen, profitieren. „Auf die Einnahmen kann der Staat verzichten, weil die Unternehmen ohnehin schon Strom sparen“, meint Schreiber. Eine einseitige Entlastung der energieintensiven Industrie lehnt auch Julia Frohne ab. Sie fordert: „Die Energiepreise müssen schnell herunter – für alle Unternehmen.“