Düsseldorf/Duisburg. Thyssenkrupp Steel soll zwei Milliarden Euro Staatshilfe erhalten. NRW-Ministerin Neubaur kritisiert daher den geplanten Stellenabbau.
Die NRW-Landesregierung zeigt sich enttäuscht von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel angesichts von Plänen für weitreichende Einschnitte in der Produktion. „Die Ankündigung der unternehmerischen Entscheidung Thyssenkrupps, in Duisburg Überkapazitäten und damit wohl Arbeitsplätze abzubauen, ist eine enttäuschende Nachricht – für den Stahlstandort Deutschland und Nordrhein-Westfalen, in erster Linie aber für die vielen Beschäftigten“, sagte die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) am Freitagmorgen.
Am Abend zuvor hatte Thyssenkrupp Steel nach der Sitzung eines Aufsichtsratsgremiums mitgeteilt, das Unternehmen wolle seine Werke für eine deutlich geringere Produktion neu zuschneiden. Bislang sind die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt, künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Damit fällt fast ein Viertel der Produktion weg. Tausende Arbeitsplätze sind bedroht.
Auch angesichts einer beschlossenen milliardenschweren Staatshilfe ist der Einschnitt brisant. Für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg soll Thyssenkrupp Steel rund zwei Milliarden Euro aus staatlichen Kassen erhalten – 1,3 Milliarden Euro davon vom Bund. NRW will bis zu 700 Millionen Euro beisteuern – die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Landeswirtschaftsministerin Neubaur hatten sich für den Aufbau der Grünstahl-Produktion stark gemacht. Die Eigeninvestitionen für das Projekt seitens Thyssenkrupp Steel liegen Unternehmensangaben zufolge bei knapp einer Milliarde Euro.
Im Zusammenhang mit dem nun bevorstehenden Arbeitsplatzabbau erinnert NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur den Konzern an die staatliche Unterstützung. Thyssenkrupp Steel sei gefordert, „für die Betroffenen faire und tragfähige Lösungen zu finden“, mahnt die Grünen-Politikerin. Das gelte „umso mehr“, da Thyssenkrupp „staatliche Unterstützung in Milliardenhöhe“ erhalte. Neubaur fordert das Management zudem auf, den Aufbau einer klimafreundlichen Produktion weiter voranzutreiben. Die Beschäftigten müssten sich „auf ihren Arbeitgeber verlassen können“, so Neubaur.
IG Metall in NRW sieht „Erklärungsbedarf“ bei Thyssenkrupp Steel
Der nordrhein-westfälische Chef der IG Metall, Knut Giesler, sieht bei Thyssenkrupp Steel „Erklärungsbedarf gegenüber der Politik“ und verweist in diesem Zusammenhang auf den Förderbescheid für rund zwei Milliarden Euro. Es rufe Fragen hervor, wenn nur einige Monate nach der Zusage eine derart weitreichende Neuaufstellung von Thyssenkrupp Steel angekündigt werde, bemerkt Giesler und kritisiert: „Damit erzeugt man kein Vertrauen.“ Die Gewerkschaft werde jedenfalls „nicht akzeptieren, dass zigtausende Menschen um ihren Job bangen müssen“, sagt Giesler. „Thyssenkrupp muss sich seiner Verantwortung für Duisburg, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, das Sieger- und Sauerland bewusst sein.“
Tekin Nasikkol, der Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, bemerkt, im gültigen Tarifvertrag, der bis zum März 2026 laufe, sei nicht nur einen Erhalt der bestehenden Standorte vereinbart, sondern auch ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. „Daran lassen wir nicht rütteln“, so Nasikkol.
Das Ziel müsse sein, mit dem Management auch darüber hinaus einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen auszuhandeln, betont Detlef Wetzel, der frühere IG Metall-Chef und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel. „In der gestrigen Strategiesitzung des Aufsichtsrates wurde uns noch kein industrielles Konzept vorgelegt“, berichtet Wetzel. „Erst wenn dieses vorliegt, können wir darüber verhandeln.“ Die Voraussetzung für Verhandlungen über eine Neuaufstellung des Stahlkonzerns sei „ein harter Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen über März 2026 hinaus“.
Arbeitnehmervertreter: „Es gibt noch keinen Plan“
Noch ist unklar, wie und wo die Einschnitte erfolgen sollen. „Es gibt noch keinen Plan“, sagt ein Arbeitnehmervertreter am Freitagmorgen mit Blick auf die Ankündigungen des Managements. Eine Schlüsselfrage ist, ob und wie es bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden weitergeht. Thyssenkrupp Steel ist mit 50 Prozent an der Hütte beteiligt, zu der etwa 3100 Arbeitsplätze gehören. Weitere Anteilseigner sind der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter und der französische Rohrhersteller Vallourec.
Thyssenkrupp Steel erklärte am Donnerstagabend, es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben, „der auch die nachgelagerten Weiterverarbeitungsstufen sowie die Verwaltungs- und Dienstleistungsbereiche betreffen“ werde. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“ Derzeit beschäftigte der aus Duisburg geführte Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel rund 27.000 Mitarbeiter.
IHK zu Thyssenkrupp Steel: „Entscheidung trifft uns ins Mark“
„Es ist das erklärte Ziel, betriebsbedingte Kündigungen auch weiterhin zu vermeiden“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Die Pläne der Neuaufstellung sollen demnach „umgehend weiter konkretisiert“ und anschließend mit den Mitarbeitervertretern beraten werden.
Die für den Großraum Duisburg zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK) äußert sich besorgt angesichts der Entwicklung bei Thyssenkrupp Steel. „Die Entscheidung von Thyssenkrupp Steel Europe trifft uns am größten Stahlstandort Europas ins Mark“, sagt Stefan Dietzfelbinger, der Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK. „Schwächelt die Stahlbranche, wirkt sich das auf die ganze Wirtschaft aus – weit über die Grenzen von Duisburg und NRW hinaus. Arbeitsplätze, Kaufkraft und Wertschöpfung gehen verloren. Das Tempo, mit dem die Politik auf die bekannten Probleme reagiert, ist inakzeptabel. Die De-Industrialisierung ist in vollem Gange. Bund und Land sind gefordert, unsere Unternehmen zu entlasten. Und zwar sofort.“
„Eine ganz bittere Pille für NRW und das Ruhrgebiet“
Die Einschnitte bei Thyssenkrupp Steel seien „eine ganz bittere Pille für NRW und das Ruhrgebiet“, sagt Sarah Philipp, die Vorsitzende der NRW-SPD. Die nordrein-westfälische SPD-Chefin fordert mehr Anstrengungen der schwarz-grünen Landesregierung für die Industrie. „Die Landesregierung muss endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und mit einer aktiven Industrie- und Standortpolitik die klimaneutrale Weiterentwicklung des nordrhein-westfälischen Stahlstandorts anpacken“, so Philipp. Jeder Einschnitt bei Thyssenkrupp belaste den nordrhein-westfälischen Industriestandort insgesamt. Es gehe um „Arbeitsplätze, Wertschöpfungsketten und unseren industriellen Wohlstand“.
Seit Monaten lotet Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López die Chancen für einen Teilverkauf der Stahlsparte aus. Interesse hat der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky signalisiert. Mitte Februar hatte López erklärt, es gebe keine zeitliche Begrenzung für die Gespräche mit Kretinsky. Derzeit werde an einem neuen „Business Plan“ für Thyssenkrupp Steel gearbeitet. Das Ziel sei, auf dieser Basis mit Kretinsky zu einem Abschluss zu kommen.
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