Düsseldorf. IG Metall-Chefin Christiane Benner warnt vor dem Einfluss der AfD in Betrieben. Die Industrie sieht sie in einer kritischen Phase.

Christiane Benner nennt es „ein ganz heißes Thema“. Die neue Vorsitzende der IG Metall beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit der Frage, wie rechtspopulistische Parolen in den Betrieben verfangen. Es gebe insbesondere drei Gründe, warum Menschen die AfD wählen. Es gehe um die Migration, das „Empfinden von sozialer Ungerechtigkeit“ und „das Thema Angst vor der Zukunft“. Dann entstehe die Wahrnehmung: „Es geht in dieser Gesellschaft nicht mehr gerecht zu.“

Aufmerksam verfolgt Christiane Benner Erhebungen zum Wahlverhalten von Gewerkschaftsmitgliedern. Aus Umfragen gehe hervor, dass es unter den Beschäftigten rund 20 Prozent gebe, die auch AfD gewählt haben. Wie sie damit umgehe? „Wichtig ist, es zu erkennen“, sagt die IG Metall-Chefin bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. „Und deswegen halten wir da auch die Lampe rein.“

Benner macht deutlich, wie bedenklich sie die Entwicklung findet. „Es hilft ja nichts, so zu tun, als wären alle unsere 2,1 Millionen Mitglieder da gefeit oder hätten einen Schutzpanzer vor dieser Polemik oder sind da völlig resistent“, sagt die Vorsitzende der größten deutschen Industriegewerkschaft, die bei Deutschlands Wirtschaftsflaggschiffen wie Bosch, BMW, Daimler, Volkswagen und Thyssenkrupp eine wichtige Rolle spielt. „Wir sind da sehr, sehr offen und halten da mit nichts hinterm Berg“, sagt Benner.

Der IG Metall-Chefin ist es ein Anliegen, gute Argumente gegen „einfache Botschaften“ wie „Rettet den Diesel“ oder „Rettet den Verbrenner“ zu liefern, die von Rechtspopulisten in den Betrieben zu hören seien. Auch die Unternehmensleitungen seien gefordert, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen, mahnt Benner. Als Beispiel nennt sie den Wandel in der Autoindustrie. Wenn sich Tätigkeiten durch die Elektrifizierung der Fahrzeuge verändern, müsse den betroffenen Beschäftigten gezeigt werden: „In drei Jahren ist dein Arbeitsplatz dieser hier.“ Es müsse klar sein, dass Klimaschutz im Betrieb nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen führt.

„Wir haben eine der kritischsten Phasen der deutschen Industrie“

Generell sei große Verunsicherung in den Unternehmen zu spüren, berichtet Benner, die seit Oktober an der Spitze der IG Metall steht. Die Situation habe beinahe eine historische Dimension. „Wir haben eine der kritischsten Phasen der deutschen Industrie“, sagt Benner. Daher sei es gerade jetzt wichtig, den Menschen Orientierung zu geben. Wenn klar sei, wohin ein Unternehmen wolle, hätten die Beschäftigten auch keine Angst vor Veränderung. Doch die Realität sei oft anders. Dann dominierten Fragen wie: „Ist mein Arbeitsplatz hier sicher? Wird es dieses Unternehmen noch geben?“

Derzeit gebe es viele negative Schlagzeilen aus der Industrie, konstatiert Benner – und nennt Unternehmensnamen wie Bosch, Continental, ZF, Miele und Thyssenkrupp. „Ich merk‘ einfach sehr viel Nervosität“, sagt die IG Metall-Chefin. Benner betont, es gebe einen Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzsicherheit, Wohlstand und Demokratie. „Da steht im Moment viel auf dem Spiel.“ Sie mache sich „Sorgen über die Polarisierung“, die in Deutschland zu spüren sei.

Strategie der IG Metall für die AfD: „Offene Tür und klare Kante“

Doch wie weit will die IG Metall gehen in ihrer Abgrenzung zur AfD? In ihrer Satzung sei die AfD „nicht offen gewerkschaftsfeindlich“, merkt Benner an. Dies sei auch ein Grund, warum die IG Metall keinen formalen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ fasse. Mit einem solchen Schritt stelle sich unmittelbar die Frage: „Schmeißen wir die Leute aus der IG Metall raus?“ Vereinsrechtlich könnte es dann jahrelange Verfahren geben. Benner sagt, sie wolle vor allem mit den besseren Argumenten punkten. „Wir nennen das immer: offene Tür und trotzdem klare Kante.“ Gewerkschaftsfunktionäre mit AfD-Parteibuch will die IG Metall-Chefin jedenfalls verhindern. Die Werte der AfD und der IG Metall seien „diametral unterschiedlich“. Das fange schon beim Thema Solidarität an.

Ausschlüsse aus der IG Metall habe es allerdings bereits im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen gegeben. In seltenen Fällen seien Rechtspopulisten gegen Kandidaten der IG Metall angetreten. „Das ist gewerkschaftsschädigendes Verhalten“, urteilt Benner – und das rechtfertige einen Rausschmiss aus der IG Metall.

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In Schulungen und mit Seminaren wolle die IG Metall ihre Ansprechpartner in den Unternehmen gegen populistische und rechtsextreme Argumente wappnen, erzählt Benner. Eine entscheidende Frage sei: „Haben wir genug Aktive, genug Menschen in unseren Betrieben, die dagegenhalten können, und die auch die Energie haben zu diskutieren mit dem Kollegen am Band?“ Der Kampf gegen den Rechtspopulismus lasse sich nicht von heute auf morgen gewinnen. „Es ist eine echte Sisyphus-Arbeit. Es ist nicht so einfach wie Tik-Tok“, sagt Benner mit Blick auf den Social-Media-Dienst, der für seine kurzen Videosequenzen bekannt ist.

Sie mache sich Sorgen um den Ruf von Deutschland als Wirtschaftsstandort, so Benner. Die Bundesrepublik sei auf Fachkräftezuzug aus dem Ausland angewiesen. „Stellen Sie sich das Land doch mal vor, gerade im Ruhrgebiet, wenn jetzt alle Leute hier weg wären, die Migrationsgeschichte haben“, sagt die IG Metall-Chefin, die in Gelsenkirchen aufgewachsen ist. „Dann gäbe es keine Schalke-Meile mehr.“ Forderungen von Rechtspopulisten nach einem Ausstieg Deutschlands aus der Europäischen Union – kurz „Dexit“ – bezeichnet Benner als „absurd“. Dann würde die deutsche Wirtschaft „komplett die Grätsche machen“ sagt die IG Metall-Chefin voraus.