Berlin. Trigema-Chef Wolfgang Grupp hat seine Nachfolge geregelt, doch viele Unternehmer in Deutschland suchen vergebens – mit fatalen Folgen.
Einer der bekanntesten deutschen Familienunternehmer hört Ende des Jahres auf – und seine Nachfolge ist bereits geregelt: Wolfgang Grupp, alleiniger Geschäftsführer des Textilherstellers Trigema, übergibt den Chefposten zum Jahreswechsel an seine beiden Kinder: Auf den 81-jährigen Firmeninhaber folgen seine Tochter Bonita (34) und sein Sohn Wolfgang Grupp junior (32).
Doch, wenn jahrzehntelange unternehmerische Stabilität geht, gelingt der Übergang nicht überall so reibungslos wie im schwäbischen Burladingen. Das zeigt ein neuer Report der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der dieser Redaktion in einer Vorabfassung exklusiv vorliegt. Demnach ist es für Unternehmerinnen und Unternehmen noch sie so schwer gewesen, eine geeignete Nachfolge zu finden.
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Inzwischen gibt es in den Nachfolgeberatungen der Industrie- und Handelskammern dreimal so viel Angebote wie Übernahmeinteressenten, heißt es in dem DIHK-Report Unternehmensnachfolge 2023, für den rund 24.000 Kontakte von IHK-Beraterinnen und -Beratern aus dem vergangenen Jahr ausgewertet wurden.
Unternehmen suchen Nachfolgen: Deutsche Wirtschaft vor großem Problem
Vor allem in den östlichen Bundesländern (mit Berlin) ist die Suche herausfordernd: Dort kommen auf einen Interessenten fast vier Firmen, die auf Nachfolgesuche sind. Im Westen liegt das Verhältnis bei 3,2 zu 1, in Gesamtdeutschland bei 3,37 zu 1. Insgesamt würden sich nicht einmal halb so viele potenzielle Nachfolger wie vor der Corona-Pandemie bei ihrer Kammer mit Blick auf eine mögliche Firmenübernahme erkundigen (2.017 nach 4.302 im Jahr 2019). Das ist laut DIHK ein historisches Tief seit Beginn der Statistik im Jahr 2007.
Weil niemand übernehmen will, denkt dem Report zufolge gut ein Viertel der Seniorchefs darüber nach, einfach zu schließen. Für besorgniserregend hält das die DIHK, die deswegen Lücken in Wirtschaft und Gesellschaft befürchtet. Hochgerechnet auf sämtliche Inhaberinnen und Inhaber ab 60 Jahren könnten in den kommenden fünf Jahren etwa eine Viertelmillion Unternehmen von solchen Schließungen betroffen sein, so die Kammer.
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Besonders dramatisch ist die Entwicklung mit Blick auf einzelne Branchen: Im Gastgewerbe meldeten sich zuletzt 6,5-mal mehr Unternehmen als Interessierte. Stark betroffen ist auch der Handel. Hier kommen rechnerisch 5,6 abzugebende Unternehmen auf einen Nachfolgekandidaten. Für vergleichsweise attraktiv hält es die jüngere Generation hingegen, einen Industriebetrieb zu übernehmen (1,7 Unternehmen auf einen Interessenten). Hohe Renditen und ein Engagement im Ausland machen Nachfolgen in dem Bereich reizvoll. Gleichzeitig sei oft deutlich mehr technisches Know-how als in anderen Branchen erforderlich.
Nachfolge im deutschen Mittelstand: Ökonom hält dagegen
Als Gründe für die schleppende Nachfolgesuche nennt die DIHK einerseits die demografische Entwicklung. Generationen potenzieller Interessenten seien schlicht ausgedünnt. Hinzu kämen eine starke Verunsicherung über die wirtschaftliche Zukunft, steigende Kosten für Energie, der Fachkräftemangel sowie eine enorme Regulierungsdichte. Zugleich hätten viele Nachfolgeinterressierte angesichts gestiegener Zinsen Finanzierungsprobleme.
DIHK-Präsident Peter Adrian hält auch das Bild des Unternehmertums an sich in Deutschland für ausbaufähig. Die Wertschätzung habe in den letzten Jahren gelitten. „Wenn ich sonntags den ‚Tatort‘ schaue, wird der Firmenchef dort eher als schräg oder dubios dargestellt“, erklärte er.
Ökonom Marcel Fratzscher sieht das anders: Gesamtwirtschaftlich sei es für Deutschland nicht problematisch, wenn einige Unternehmen schließen, weil keine Nachfolge gefunden wurde, so der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zu unserer Redaktion. „Seit längerer Zeit wollen immer weniger junge Menschen sich selbstständig machen und die damit verbundenen Risiken eingehen“, sagte Fratzscher. „Zudem wollen immer mehr Selbstständige ihre eigenen Ideen verfolgen und nicht lediglich ein bestehendes Unternehmen übernehmen.“
Die Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Nachfolge nähmen seit Jahren zu, so der Wissenschaftler. „Die Hauptverantwortung liegt bei den betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmern, die ihr Unternehmen so aufstellen müssen, dass es für junge Menschen attraktiv genug ist, das damit verbundene unternehmerische Risiko einzugehen“, erklärte er. Mit Blick auf die Politik regte er an, Verantwortungseigentum als Rechtsform für Firmen einzuführen. Mitarbeitern des Unternehmens könnte es dadurch erleichtert werden, den Betrieb weniger bürokratisch zu übernehmen.