Berlin. Zahlt der Staat noch die Rente aus? Schließen jetzt Behörden? Wir erklären die Folgen der Haushaltssperre der Bundesregierung.
- Nach dem schwerwiegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht die Ampel-Koalition vor einem großen Problem
- Lindner hat eine Haushaltssperre verhängt – schließen nun Behörden? Werden Rente und Bürgergeld weiter ausgezahlt?
- Lesen Sie hier, was das für Bürgerinnen und Bürger konkret bedeutet
Die Verunsicherung ist nach der letzten Volte in der Haushaltskrise der Bundesregierung groß. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat eine Haushaltssperre für den aktuellen Staatsetat verhängt. Ein Überblick über die Folgen:
Was ist eine Haushaltssperre?
Die gesamte Finanzplanung der Bundesregierung steht nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts auf der Kippe. Das Bundesfinanzministerium hat deswegen vorsorglich eine Haushaltssperre verhängt. Das heißt aber nicht, dass der Staat ab sofort gar kein Geld mehr ausgeben darf. Die für 2023 eingestellten Gelder könnten regulär fließen, hieß es aus dem Finanzministerium. Die Ministerien dürfen aber erst einmal keine neuen Zusagen für Ausgaben in den kommenden Jahren machen. „Auswirkungen wird diese Sperre also auf Verpflichtungen haben, die zwischen heute und dem 31.12.2023 gemacht werden sollen“, erläuterte SPD-Fraktionsvize Achim Post.
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Laut Ökonomen sorgt die verhängte Haushaltssperre vor allen Dingen für weitere Verunsicherung bei den Bürgern und in Teilen der Wirtschaft. „Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft, vor allem in diesen schwierigen Zeiten. Viele können sich nun nicht mehr auf versprochene Leistungen und Programme des Staates verlassen. Die Bundesregierung muss diese Unsicherheit so schnell wie möglich ausräumen und Klarheit schaffen“, fordert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher.
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Schließen jetzt die Behörden?
Nein. Die Arbeit der Bundesbehörden ist gesichert. Die Staatsdiener müssen sich auch keine Sorgen machen, ihre Gehälter nicht ausgezahlt zu bekommen. „Die Lage ist ernst für die Bundesregierung, aber sie ist kein Grund zur Panik oder übertriebenen Ängsten. Verwerfungen wie bei den Streitigkeiten zum Haushalt in den USA drohen dadurch nicht“, sagt auch DIW-Präsident Fratzscher. In den USA droht regelmäßig ein sogenannter „Shutdown“, wenn sich der Kongress nicht auf einen neuen Staatshaushalt verständigen kann. In diesem Fall kommt die Arbeit des Bundes weitgehend zum Erliegen, weil die Beschäftigten in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt werden. Das war zuletzt 2019 unter Präsident Donald Trump der Fall – für 34 Tage. Anfang Oktober dieses Jahres wendeten Republikaner und Demokraten eine Haushaltssperre quasi in letzter Minute ab, indem sie sich auf einen Übergangshaushalt verständigten.
Leistet der Staat noch Zahlungen wie Rente und Bürgergeld?
Ja. Wer Rente, Bürgergeld oder andere staatliche Leistungen erhält, muss sich keine Sorgen machen. Das Geld wird auch in den kommenden Monaten auf dem Konto ankommen. Allerdings: Der Bundesregierung fehlen jetzt Milliardensummen. Deswegen wird auch über Einsparungen diskutiert, die FDP hat bereits Kürzungen im Sozialbereich vorgeschlagen. Zwar sperren sich SPD und Grüne dagegen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Bundesregierung aufgrund der neuen Finanznotlage staatliche Leistungen kürzt.
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Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnt eindringlich vor Sozialkürzungen und vor einer Spaltung der Gesellschaft. „Einsparungen bei den Rentnerinnen und Rentnern, bei den Menschen in Grundsicherung und anderen vermeintlich Schwächeren zu fordern, bedeutet Wasser auf die Mühlen der spaltenden Elemente“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier dieser Redaktion.
Ist die Energiepreisbremse sicher?
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) selbst hält es für denkbar, dass Gas- und Strompreisbremsen zur Senkung der Verbraucherpreise künftig nicht mehr möglich sein und höhere Netzentgelte nicht mehr durch den Staat abgefedert werden könnten. Finanziert werden sollten die Preisbremsen über den inzwischen ebenfalls gesperrten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Nach Angaben aus Kreisen des Finanzressorts ist die Auszahlung der Energiepreisbremsen in diesem Jahr davon aber nicht betroffen.
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Welche Projekte stehen jetzt auf der Kippe?
Die Finanzierung zahlreicher klima- und industriepolitischer Projekte der Ampel ist nun fraglich. Darunter sind auch Ansiedlungserfolge wie die geplanten Chipfabriken von Intel in Magdeburg und von TMSC in Dresden. Beide Vorhaben sind mit Tausenden Arbeitsplätzen und großen Erwartungen in den jeweiligen Regionen verbunden. Allein in die Intel-Investition in Sachsen-Anhalt sollen gut 30 Milliarden Euro fließen. Fast zehn Milliarden Euro davon will die öffentliche Hand subventionieren – mit Mitteln des Bundes und der EU. Aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es, es gebe insgesamt 31 Projekte für die Förderung der Halbleiterproduktion in Deutschland. 15 davon hätten schon verbindliche Förderbescheide. Alle anderen müssen bangen.
Ähnlich ist die Lage mit Blick auf Projekte im Bereich Stahl und Wasserstoff: Die KTF-Milliarden sollten 45 Unternehmen bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse auf den neuen Energieträger unterstützen. Ebenfalls fraglich sind Subventionen für den Aufbau von Batteriezellenfabriken.
Aus dem KTF wird seit dem vergangenen Jahr auch die Umweltprämie finanziert, die der Staat Verbrauchern beim Kauf eines Elektroautos zahlt. Für Verbraucher besonders misslich: Das Geld landet erst nach Zulassung des Fahrzeugs auf dem Konto. Zwischen Bestellung und Auslieferung vergehen aber häufig Monate. Fällt die Förderung nach der Bestellung weg, geht die Kalkulation für einige Verbraucher vielleicht nicht mehr auf. Laut „Spiegel“ sind zudem auch Mittel aus dem KTF für die Sanierung der Bahn-Infrastruktur eingeplant. Bis 2027 sind es 12,5 Milliarden Euro.
Was befürchtet die deutsche Wirtschaft?
Die Industrie befürchtet, ohne die Gelder aus dem Klima- und Transformationsfonds international nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. „Die Energiepreiskrise hierzulande stellt weite Teile der Industrie gerade vor die Gretchenfrage: modernisieren und bleiben – oder abbauen und abwandern?“, sagte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, dieser Redaktion. „Wenn die Politik dazu nicht schnellstens ein Angebot macht, wird für einige die Antwort nicht lange auf sich warten lassen.“ In den energieintensiven Branchen mehrten sich die Beispiele für Anlagen- und Standortschließungen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) forderte, nicht nur die Finanzierung der Maßnahmen aus dem Klimafonds neu aufzustellen, sondern gänzlich einen „neuen Schub“ bei der Wirtschaftspolitik. Präsident Peter Adrian sagte dieser Redaktion: „Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es entscheidend, bei diesem Transformationsprozess auf Anreize etwa bei der Steuer wie in den USA zu setzen und vor allem einen Wettbewerb, um die besten Lösungen zuzulassen. Wir müssen Kräfte mobilisieren. Eine solche Eigendynamik entfacht man ja nicht durch besonders enge politische Leitplanken.“ Jetzt sei der Zeitpunkt für die Bundesregierung, einen neuen Kurs einzuschlagen, so Adrian.
Was kann die Ampel jetzt machen?
Wie groß das Finanzloch ist, lässt sich noch nicht absehen. Sicher ist, dass die Regierung 60 Milliarden Euro aus dem Klimafonds KTF nicht mehr ausgeben kann. Vermutlich wird noch mehr Geld fehlen, da auch die Finanzierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF verfassungswidrig sein dürfte. Die Regierung braucht also Geld. Eine Möglichkeit: Einnahmen steigern, also Steuern erhöhen. Eine andere Möglichkeit: weniger Geld ausgeben. Stichwort: Kürzungen bei Sozialausgaben. Oder die Regierung setzt die Schuldenbremse noch einmal aus und macht neue Schulden.
Auf eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse gibt es in der Ampel keine Einigung, auch eine Zustimmung der Union ist bisher nicht in Sicht. „Die Lage ist zu brenzlich für Polit-Poker – egal, ob innerhalb der Ampel oder der demokratischen Opposition“, mahnt IGBCE-Chef Vassiliadis. „Regierung und Opposition müssen anerkennen, dass die wirtschaftliche Notlage, die ein Aussetzen der Schuldenbremse erlaubt, zumindest in diesem und dem kommenden Jahr real ist.“