Arnsberg/Bad Berleburg. Liste der Gerichtsverfahren rund um das Artenschutzprojekt wird länger. Aber eine wichtige Frage wird dabei nicht einmal angefasst.
Wieder prallen Artenschutz und der Schutz von Privateigentum vor Gerichten aufeinander. Nur ist diesmal der insolvente und in Liquidation begriffene Trägerverein des Artenschutzprojektes nicht Ziel der Klagen, sondern der Kreis Siegen-Wittgenstein. Der betreut in seiner Eigenschaft als Untere Veterinär- und Untere Naturschutzbehörde jetzt die rund 40 Wildrinder in einem 25 Hektar großen Gatter bei Bad Berleburg. Der Zaun soll verhindern, dass die Tiere erneut unkontrolliert umherstreifen und Schäden verursachen.
Vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg wird nun die Klage des NRW-Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen den Kreis Siegen-Wittgenstein verhandelt. Der BUND fordert die Freilassung der Herde. „Die Klage ist am 5. April hier eingegangen“, bestätigt der Pressedezernent Richter Kai Hendrik Teipel. Menschen, die auf eine schnelle Entscheidung und die Freilassung der rund 40 bisher frei lebenden Wisente im Rothaargebirge hoffen, erteilt Teipel aber eine klare Absage. „Es ist kein Eilantrag gestellt worden. Das ist ein ganz normales Klageverfahren“, so Teipel auf Nachfrage. Befasst sei damit die 1. Kammer des Verwaltungsgerichtes. Deren Spezialgebiet sind Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrecht. Dazu gehören auch landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Themen, aber auch Naturschutz- und Landschaftsschutzrecht. Besetzt ist die Kammer mit vier Berufsrichtern, zwei Männern und zwei Frauen.
Jetzt werden Akten angefordert
Auch bei dieser Klage mahlen die Mühlen der Justiz möglicherweise langsamer, als die Befürworter des Wisentprojektes erhoffen. „Jetzt werden erst einmal die Verwaltungsvorgänge angefordert“, erklärt Teipel weiter. Das heißt, das Gericht fordert Unterlagen beim Kreis Siegen-Wittgenstein an, „um sich ein Bild zu machen“. Außerdem können auch weitere schriftliche Stellungnahmen von Kläger und Beklagtem eingefordert werden. „Und möglicherweise müssen auch noch Sachverständige gehört werden“, skizziert der Pressedezernent, was in diesem Verfahren als Nächstes passieren wird. Eine schnelle Entscheidung werde es also nicht geben, es sei denn, der BUND zöge seine Klage zurück oder der beklagte Kreis Siegen-Wittgenstein gäbe klein bei.
Eine weitere wichtige Frage kann dieses Verfahren übrigens nicht klären: Was wäre, wenn die Tiere frei gelassen werden müssten und erneut Schäden auf Waldgrundstücken von Bauern anrichten? Wer zahlt dann die Entschädigung oder gar die Ordnungsgelder, die für einen Verstoß gegen das Betretungsverbot entstehen können? „Das ist nicht Sache des Verwaltungsgerichtes und müsste vor in einem Zivilgerichtsverfahren geklärt werden“, macht der Verwaltungsrichter Teipel klar.
Fürstenfamilie will Wisente auch nicht
Inzwischen ist der Kreis möglicher Kläger gegen Schälschäden durch Wisente übrigens deutlich größer. Neben den Waldbauern aus dem Hochsauerlandkreis und dem Kreis Olpe könnte jetzt auch die Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg in den Chor der Kläger einstimmen. Wie der Kreis Siegen-Wittgenstein Ende März mitteilte, hatte die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer den öffentlich-rechtlichen Vertrag über das Freisetzungsprojekt „rechtmäßig gekündigt und mitgeteilt, dass seine Eigentumsflächen unter den gegebenen Umständen für eine Fortführung des Projektes nicht mehr zur Verfügung stehen“. Auf Nachfrage der Redaktion wollte sich weder Rentkammer noch Prinz Gustav dazu äußern: „Sie kommentieren das nicht“, heißt es in einem knappen Statement von Pressesprecher Ralf Beke-Bramkamp.
Situation wird immer schwieriger
Auch der Kreis Siegen-Wittgenstein schweigt: „Die Klageschrift ist uns gestern Nachmittag vom VG Arnsberg zur Kenntnisnahme übersandt worden. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den darin enthaltenen Argumentationen ist noch nicht möglich gewesen“, erklärte Pressesprecher Manuel Freudenberg dazu.
Wie schwierig die Situation aktuell ist, das zeigte die Pressemitteilung des Kreises vor wenigen Wochen, nachdem die Wittgenstein-Berleburg‘sche Rentkammer - also Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, der Sohn des verstorbenen Projektinitiators - nun auch den öffentlich-rechtlichen Vertrag gekündigt hatte und seine Waldflächen künftig nicht mehr für die Wisentherde zur Verfügung stehen sollen.
Die Insolvenz des Wisent-Vereins und die damit verbundene Aufgabe der Verantwortung für die Wisente stelle ein erhebliches Problem für die anderen Vertragsparteien des Projekts – also den Kreis Siegen-Wittgenstein, das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Bezirksregierung Arnsberg, den Landesbetrieb Wald und Holz NRW und eben die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer als Eigentümer der Grundstücke, über die sich das bisherige Projektgebiet im Kreis Siegen-Wittgenstein erstrecken sollte – dar. „Neben diesen formalen Aspekten sehen die anderen Vertragsparteien derzeit allerdings auch keine andere Perspektive, die eine Fortführung des Freisetzungsprojekts ermöglichen würde“, teilte Kreissprecher Torsten Manges vor drei Wochen dazu mit.
Gerichte bringen keinen Frieden
Von der ersten Idee einer Wiederansiedlung der Wisente in 2003 bis zu den ersten Klagen von Waldbauern über Schälschäden vor dem Amtsgericht Schmallenberg hat es gut elf Jahre gedauert. Dann war der juristische Damm gebrochen. Klagen auf Schadenersatz und Betretungsverbote vor dem Landgericht Arnsberg gingen durch die juristischen Instanzen über das Oberlandesgericht Hamm bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe (2019) und zurück zum OLG Hamm. Auch das Verwaltungsgericht Arnsberg hatte immer wieder über die Wisente zu entscheiden. Nur haben die Entscheidungen der Gerichte diesen Streit bislang nicht befrieden können. 21 Jahre nach der ersten Idee werden die Möglichkeiten für eine Lösung des Wisent-Problemes immer geringer.