Arfeld. Ärzte und Apotheker aus Wittgenstein beschreiben, wie sie das Drama tagtäglich erleben und erhalten prominente Unterstützung.
Apotheker und Ärzte zeichnen bei einer Podiumsdiskussion des CDU-Stadtverbandes Bad Berleburg in Arfeld ein dramatisches Bild von der Arzneimittelknappheit in Deutschland. Mit dabei ist auch ein echter Star bei Fragen zum Gesundheitswesen.
Frank Ulrich Montgomery spricht in Arfeld
Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery war per Video zugeschaltet. Der Ehrenpräsident der Deutschen Ärztegewerkschaft Marburger Bund und der Bundesärztekammer erläuterte die Grundzüge eines weltweiten Problems, das aber in Deutschland spezielle Auswirkungen habe: „Es sind jetzt etwa 500 Medikamente, die nicht oder nur schwierig verfügbar sind. Das ist ein globales Problem, das viele Leute betrifft und es geht um viele Grundsatzmedikamente“, macht Montgomery das Ausmaß der negativen Entwicklung aus Sicht der Ärzte deutlich.
Die Hintergründe sind vor allem wirtschaftlicher Natur: Medikamente, an denen man nicht viel Geld verdienen könne, werden nicht mehr in Deutschland oder Europa produziert. Die Produktion wurde nach China und Indien verlagert, wo die Lohnkosten niedriger sind. Das Schmerzmittel Ibuprofen werde in Europa gar nicht mehr hergestellt und für das Antibiotikum Penizillin gebe es in Europa nur noch eine Fabrik, die mit hohen staatlichen Subventionen erhalten werde. „Und wenn dann im Suezkanal ein Schiff querliegt oder in Wuhan ein Cutdown verhängt wird und niemand mehr zur Arbeit gehen kann, entstehen Lieferengpässe“, erläutert Montgomery die schlichten Zusammenhänge.
EU soll Medikamente bunkern
Der Radiologe und Ärztegewerkschaftler hat auch einen Lösungsvorschlag: Die EU muss eine Reserve von wichtigen Medikamenten vorhalten. Weil es erhebliche Mengen seien, müsse das auf Ebenen der Europäischen Union passieren. Dort müsse auch eine Liste mit Kriterien für diese Medikamente erarbeitet werden. In Deutschland gebe es ein weiteres Problem: Das seien die Rabattverträge zwischen Kranklenklassen und der Pharmaindustrie, die die Produktion vor allem von alltäglichen Medikamenten unwirtschaftlich mache. Das in Deutschland erhebliche Preisgefälle gebe es in anderen Ländern nicht. Montgomery will aber auch die Pharmaindustrie in die Pflicht nehmen: „Wir müssen sie an ihre Verpflichtung gegenüber den Bürgern erinnern, die sie versorgen müssen.“
„Wir rennen in eine Katastrophe und haben die Alarmglocken in Berlin und Brüssel läuten lassen“, erklärt auch der CDU-Europaabgeordnete und Kinderarzt Dr. Peter Liese. Der Mescheder betont, dass man kurzfristig unbürokratische Lösungen finden müsse, damit Medikamente auch einfach von anderen Ländern importiert werden könnten. Gleichzeitig appelliert er in diesem Zusammenhang auch an die betroffenen Patienten, wenn dann Präparate mit ausländischen Beschriftungen, veränderter Dosierungen oder anderen Tablettenfarben ausgegeben werden: „Haben Sie vertrauen zu Ihren Ärzten und Apothekern.“
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Der Bad Berleburger Apotheker Karsten Wolter bricht aber eine Lanze für die Kundschaft: „Ich muss unseren Kunden ein Kompliment machen. Sie bringen Verständnis für uns und unsere Situation auf“, auch wenn es komplexer werde den Kunden zu erläutern, wie sie veränderte Medikamente einzunehmen haben. Wolter macht sich Sorgen: „Insgesamt kann ich meinen staatlichen Auftrag, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen, derzeit nicht richtig nachkommen. Das erfordert jetzt staatliches Handeln“, sagt Wolter. „Es gibt beispielsweise Medikamente, die nicht einfach zu ersetzen sind. Es gibt beispielsweise nur ein zugelassenes Antidepressivum für Kinder und das ist nicht regelhaft verfügbar.“
Andrea Wohlert, Apothekerin mit Niederlassungen in Erndtebrück und Bad Laasphe berichtet von den Auswirkungen, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist und nach Alternativen gesucht wird: „Das ist ein immenser personeller Mehraufwand. 20 Prozent der Arbeitszeit meiner Mitarbeiter geht dafür drauf, Medikamente in anderer Dosierung oder Verpackung zu beschaffen“, so Wohlert. Importe aus dem Ausland sind möglich. Das koste aber zwei bis drei Tage. Die Apothekerin ist bereits zu einer vergrößerten Lagerhaltung übergegangen, auch wenn sich das wirtschaftlich nicht rechne. Den Grund dafür beschreibt sie so: „Was sagen Sie einer Krebspatientin, die gerade geheilt nach Hause entlassen worden ist, aber ein Medikament braucht, damit der Krebs nicht wiederkommt?“
Die Allgemeinmedizinerin Dr. Annia Röhl von der Erndtebrücker Praxis Haas/Röhl, beschreibt, wie Hausärzte auf dem Land besonders betroffen sind: 5000 Patienten im Quartal kommen in die Praxis, viele brauchen Medikamente. „Ich habe Anfang Dezember sehr viel Zeit mit dem Finden von alternativen Medikamenten verbracht.“ Damit aber sei es nicht getan: Für jede veränderte Medikamentengabe müsse der Verordnungsplan angepasst, ausgedruckt, unterschrieben und, falls nötig, mit Altenheimen und Pflegediensten besprochen werden. Und viele Medikamente seien im Routinebetrieb im Kopf des Arztes: „Ändert sich etwas am Schema, muss ich nachschauen. Im ländlichen Raum gilt das besonders. Wir sind am Limit“, macht die Hausärztin klar.
Der Bad Laaspher Apotheker Matthias Köhler berichtet von Bürokratischen Hemmnissen: „Ich kann nicht einfach ein Medikament über einen holländischen Kollegen besorgen. Es braucht spezielle Importeure“, berichtet er. Und wenn Apotheker ein Medikament, zum Beispiel einen Fiebersaft für Kinder selbst herstellen, müssen sie mit der Krankenkasse über die Kostenerstattung verhandeln und den verschreibenden Arzt fragen, ob das Medikament notwendig ist. Eine besondere Hürde stellt die Verfügbarkeit von Wirkstoffen dar: „Wenn ein Kollege eine Wirkstoff in ausreichender Menge hat, darf der Kollegen diesen aber nicht an mich weitergeben.“
QR-Code statt Beipackzettel
Speziell zum Thema Bürokratie und Dokumentationspflichten äußerte sich auch Dr. Peter Liese: Er spricht von Bürokratieabbau und betont, dass es nicht sein könne, dass Genehmigungsverfahren zehn Jahre dauern, egal ob für eine Medikamentenfabrik oder andere Bauvorhaben. Außerdem wirbt Liese für ein Umdenken bei der Preispolitik. Medikamente seien in Deutschland produzierbar, wenn zumindest die Kosten gedeckt seien. „Bei dieser Frage geht es um einen oder 1,5 Cent.“ Außerdem will er den Import von ausländischen Medikamenten vereinfachen und auch den Beipackzettel durch QR-Codes ersetzen.