Wittgenstein. Wittgensteiner Apothekerinnen schlagen Alarm und erklären die Gründe für die sich verschärfende Knappheit. Für Eltern gibt es nur einen Ausweg
Bundesweit gibt es momentan einen Engpass bei Kinder-Fiebersäften mit den Wirkstoffen Ibuprofen oder Paracetamol in den Apotheken (wir berichteten). Auch in Wittgenstein werden die fiebersenkenden Präparate langsam knapp. Die Lage in den Apotheken verschärft sich weiter. Woran das liegt und welche Alternative es für die Wittgensteiner Kinder gibt, hat unsere Redaktion zwei lokale Apothekerinnen gefragt.
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„Wir haben nichts mehr“, berichtet Elke Koch, Apothekerin & Inhaberin der „Hof Apotheke“ in Bad Berleburg. „Bei uns gibt es keine Paracetamol-Säfte mehr und Zäpfchen haben wir auch nicht mehr in allen Stärken vorrätig. Ein paar wenige Ibuprofen-Säfte sind bei uns zwar noch vorhanden, aber die sind nur für echte Notfälle gedacht“, erzählt die Apothekerin weiter.
Eine Vorratshaltung sei im Moment für sie nicht umzusetzen. „Wir haben letztens erst wieder einige wenige Paracetamol-Präparate rein bekommen“, sagt Andrea Wohlert, Apothekerin und Inhaberin der „Arkaden Apotheke“ in Erndtebrück und der „Center Apotheke“ in Bad Laasphe. Aktuell erhalte die Apothekerin aber leider nur kleine Mengen der Arzneien. „Wir bestellen beispielsweise 100 Stück und kriegen dann zwei nur Packungen.“ Ibuprofen-Säfte für Kinder seien aber auch bei ihr kaum noch vorhanden.
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„Im Moment ist es so, wenn solche Präparate verordnet werden, halten wir häufig Rücksprache mit den Kinderärzten und empfehlen in den meisten Fällen, auf Zäpfchen umzusteigen“, schildert Wohlert. Bei den Zäpfchen mit Paracetamol Dosierungen seien ihre Apotheken momentan noch relativ gut aufgestellt. „Wir haben unser Lager extra aufgestockt. So dass wir, solange keine Epidemie über uns hereinbricht, aktuell erstmal das was früher mit Säften versorgt wurde mit den Zäpfchen adäquat ersetzt können“, erklärt Wohlert.
Wittgenstein: Herstellung von Medikamenten vor Ort
Wenn gewünscht, könne die Apothekerin die fiebersenkenden Präparate aber auch vor Ort als Rezeptur herstellen. „Wir haben in unserem Lager einen Vorrat des Wirkstoffs Ibuprofen angelegt, damit können wir auch eine gewisse Menge an Fieber-Sätzen selbst herstellen, wenn das erforderlich wird.“ Denn momentan bekommen die Apotheken nicht mehr die einzelnen Wirkstoffe, da Ibuprofen und Paracetamol in der erforderlichen Dosierung schon seit längerem nicht lieferbar sind.
Ihr Vorgänger sei schon so klug gewesen, bei der letzten Ibuprofen-Knappheit einen Vorrat anzulegen. „Das ist etwas, wo wir sagen können: Im Notfall haben wir Reserven und können Medikamente herstellen.“ Auch Elke Koch möchte das den Eltern anbieten: „Wir werden jetzt selber Fieber-Säfte herstellen.“ Die Sachen, die man dafür benötige, habe die Apothekerin alle da. „Wir haben mit den Kinderärzten vor Ort gesprochen, die das dann für Notfälle rezeptieren können.“
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Dabei zu bedenken sei aber: „Das die Rezeptur sehr viel teurer ist, weil es individuell in kleinen Mengen einzeln in Handarbeit von uns hergestellt wird“, merkt Wohlert an. Das lasse sich preislich nicht mit einem industriell produzierten Präparat vergleichen. „Für die Eltern werden die Mittel dann leider eine ganze Ecke teurer“, bedauert Koch.
Wittgenstein: Die Auslöser für den Medikamenten-Engpass
Mit dem Vertreter der Firma „Ratiopharm“ habe die Apothekerin vor kurzem erst Rücksprache gehalten: „Der hat mir gesagt, dass der Hersteller für dieses Jahr bereits die gesamten Erkältungsmittel für Kinder ausproduziert hat. In dieses Jahr wird es also kaum noch etwas geben.“ Der aktuelle Engpass besorgt die Apothekerin vor allem im Hinblick auf den kommenden Herbst und die sich nährende Erkältungszeit. Die Firma habe auch die Produktion von Kinder-Nasensprays für dieses Jahr eingestellt, so Wohlert. In der Winterzeit könne es daher auch hier zu Engpässen in den Apotheken kommen.
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Die Gründe für die sich aktuell weiter verschärfende Knappheit sind vielfältig. „Viele Medikamente und Wirkstoffe kommen aus dem chinesischen Raum und die lange Blockade in der Corona-Zeit, während der auch der Hafen in Shanghai über Wochen hinweg lahmgelegt wurde und die Container-Schiffe nicht ablegen konnten, macht sich jetzt so langsam hier bei uns bemerkbar“, erklärt Wohlert. Die Lieferketten seien deshalb nach wie gestört.
Die beiden Apothekerinnen aus Wittgenstein gehen aber auch davon aus, dass der aktuelle Engpass mit der großen Spendenbereitschaft am Jahresanfang zusammenhängen könnte. Es habe viele Spenden an Medikamenten für kranke Kinder in der Ukraine gegeben. „Gerade Präparate für Kinder wurden in großen Mengen abgegeben, als dort der Krieg ausgebrochen ist“, berichtet Wohlert. Die Apothekerin habe mitbekommen, dass in dieser Zeit besonders viele Kinder-Fiebersäfte gekauft wurden. Leider sei das gut gemeinte Helfen ein wenig unkoordiniert gewesen und so seien sehr viel Ibuprofen- und Paracetamol-Säfte in Privattransporten in die Ukraine gebracht worden.
Wittgenstein: Die Herstellung der Medikamente
So schnell können die großen industriellen Hersteller aber nicht darauf reagieren. Denn solch eine große Produktion müsse im Vorfeld geplant und technisch wie auch logistisch vorbereitet werden. Zumal auch die großen Firmen kaum noch an Wirkstoffe kommen, so Koch. „Die großen Hersteller produzieren ihre Ware im Frühling für den Herbst vor, und wenn die im Frühling keinen Nachschub herstellen können, haben die Apotheken im Herbst nicht genügend Arzneimittel“, erklärt Wohlert.
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Die Hersteller planen bestimmte Produktionsmengen, die sich daran orientieren, was ein Land im Durchschnitt jährlich an Medikamenten benötige, um keine unnötige Übermengen zu produzieren. „Wenn dann aber auf einmal mehr gebraucht wird, dann ist das für den Hersteller ein echtes Problem, weil die Produktion so schnell nicht wieder hochgefahren werden kann. Insbesondere wenn, wie wir jetzt merkten, die vorproduzierten Präparate langsam eng werden, aber die Nachfrage weiterhin hoch bleibt“, so Wohlert. Das sei nicht vorhersehbar gewesen, als am Anfang des Jahres so viele Medikamente für Kinder gespendet wurden.
„Es sind so ganz viele Dinge, die blöd gelaufen sind und die kommen nun alle zusammen“, erklärt Koch. Wann die Präparate wieder lieferbar sind, sei momentan noch nicht absehbar. Für die medizinischen Erwachsenen-Präparate können die Apothekerinnen aber Entwarnung geben: „Bei den Medikamenten für Erwachsene gibt es keinen Grund zur Sorge, es sind ausreichend Mittel vorhanden, sei es nun Ibuprofen und Paracetamol in Tablettenform oder Nasensprays.“
Ratschläge für die Eltern
Elke Koch gibt Tipps, was sie machen könne, wenn das Kind erkrankt. So wie es früher war, dass man einfach so in die Apotheken geht und für den Fall einer Erkrankung provisorisch ein Medikament kauft, das geht momentan leider nicht, weil wir auch nichts mehr da haben“, sagt Koch. „Das ist schon ziemlich schlimm und schwer für uns, weil wir keine Alternative haben.“ Die Apothekerin muss momentan viele Eltern abweisen.
In die Apotheke zu stürmen, sei aktuell auch keine gute Idee, da es vor Ort kaum noch Präparate gebe. „Die Eltern müssen sich jetzt darauf besinnen, dass es auch andere gute alte fiebersenkende Hausmittel gibt wie kalte Wickel, die man mit seinem Kind machen kann. Das ging ja früher auch“, so Koch. Nach der Apothekerin sollten solche Hausmittelchen generell immer erst einmal die erste Wahl sein. Denn wo nichts ist, müsse man sich irgendwie andere Möglichkeiten suchen. „Das ist wirklich eine ganz schwierige Situation für uns Apotheker.“
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Die Eltern könnten in den Apotheken auch immer mal wieder versuchen, ob diese gerade genügend Mittel vorrätig haben, dann würden die Apotheken diese auch gerne abgeben, aber aktuell seien die wenigen noch vorhandenen Präparate den Notfällen vorbehalten. „Vielleicht können sich die Eltern auch untereinander helfen, wenn zum Beispiel noch jemand einen Ibuprofen-Saft vorrätig hat und das Nachbarkind schwer erkrankt, könnte man sich da gegenseitig aushelfen“, schlägt Koch vor.
„Wenn das Fieber aber wirklich richtig hoch geht und die Eltern dann an nichts dran kommen, bleibt nur noch der Weg ins Krankenhaus, gerade mit den ganz kleinen Kindern“, betont Koch. Denn die könnten durch die hohe Körpertemperatur schnell dehydrieren und Kreislaufprobleme bekommen. „Das kann dann schnell sehr gefährlich werden“, warnt die Apothekerin.