Siegen-Wittgenstein/Erndtebrück. Viele Interessengemeinschaften haben ihre Meinung zu einem Nationalpark gesagt. Doch ein Blick auf die klaren Fakten zeigt, wie wichtig er wäre.

Seit Ende September scheinen die Stellungnahmen der verschiedensten Interessengemeinschaften und politischen Lager zum Thema „Nationalpark am Rothaarkamm“ auf uns einzuprasseln. Viele sind dagegen, andere dafür. Doch was genau macht einen Nationalpark aus, welche Ziele werden damit verfolgt und wie notwendig wären diese?

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Ein Blick auf die Fakten: Die NRW-Landesregierung wünscht sich einen zweiten Nationalpark neben dem in der Eifel und hat neben einigen anderen Regionen auch den Rothaarkamm in Siegen-Wittgenstein, mit einer konkreten Fläche zwischen Erndtebrück und Hilchenbach, als möglichen Kandidaten für eine Bewerbung vorgeschlagen. Die Verwaltung des Kreises hatte zunächst vorgeschlagen, die Bewerbung direkt abzulehnen, da dafür nicht genug Zeit sei. Die Politik hatte dann aber einen anderen Willen und entschied sich dafür, für eine Verlängerung der Bewerbungsfrist um drei Monate zu werben. Diese Fristverlängerung wurde vom zuständigen Ministerium laut Julian Maletz, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag, abgelehnt. Dennoch: Im Dezember stimmte der Kreistag erneut zum Thema ab. Ganz knapp fiel die Entscheidung für einen Fachtag oder ein Forum aus, bei dem das Für und Wider einer Nationalpark-Bewerbung Siegen-Wittgensteins erörtert werden solle.

16 Nationalparke, aber noch zu wenig geschützte Natur

Doch was ist eigentlich der Kerngedanke hinter einem Nationalpark? Laut dem Bundesamt für Naturschutz gibt es in Deutschland aktuell 16 Nationalparke mit einer Gesamtfläche von 1.050.442 Hektar (zieht man die marinen Gebiete ab, bleiben auf dem Land 0,6 Prozent des Bundesgebietes), auf der sich die die Natur auf großer Fläche ungestört entwickeln können soll. „Obwohl sich die Zahl der Nationalparke erhöht hat, ist ihr Anteil an der terrestrischen Landesfläche im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich.“ Heißt: Der Platz reicht nicht, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Die Bewirtschaftung der Landschaft in den vergangenen Jahrhunderten hat dazu geführt, dass dauerhaft ungenutzte Wildnisgebiete, in denen die Ökosysteme sich natürlich, ohne aktiven menschlichen Einfluss, entwickeln können, in Deutschland verschwunden sind.
Bundesamt für Naturschutz

Diese Ziele definiert das Bundesamt für Naturschutz sehr deutlich: Nationalparke repräsentieren in Deutschland ein nationales Naturerbe. Sie sind gemäß Bundesnaturschutzgesetz „einheitlich zu schützende Gebiete, die großräumig, weitgehend unzerschnitten und von besonderer Eigenart sind, in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets erfüllen und sich in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets in einem vom Menschen nicht oder wenig beeinflussten Zustand befinden oder geeignet sind, sich in einen Zustand zu entwickeln, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährleistet.“ Wirtschaftliche Nutzungen der natürlichen Ressourcen durch Land-, Forst-, Wasserwirtschaft, Jagd oder Fischerei sind folglich weitgehend auszuschließen bzw. nur unter strikten Vorgaben der Naturschutzbehörden möglich.

Bewirtschaftung hat Ökosysteme verschwinden lassen

Warum braucht es solche Gebiete, in denen der Mensch nicht eingreift? „Die Bewirtschaftung der Landschaft in den vergangenen Jahrhunderten hat dazu geführt, dass dauerhaft ungenutzte Wildnisgebiete, in denen die Ökosysteme sich natürlich, ohne aktiven menschlichen Einfluss, entwickeln können, in Deutschland verschwunden sind. Damit sind auch eine Reihe von Biotoptypen (wie alt- und totholzreiche Wälder, Pionierbiotope, intakte Auwälder etc.) mit ihren daran angepassten Arten in der heutigen Landschaft stark unterrepräsentiert“, macht das Bundesamt in einem Hintergrundpapier zum Thema deutlich: „Während in der Antike und im Mittelalter die kultivierte Landschaft mühsam der urwüchsigen Natur abgerungen wurde, sind inzwischen die letzten Refugien der Wildnis durch menschliche Einwirkungen bedroht.“

Und warum muss in einer Industrienation wie Deutschland ein solches Unterfangen umgesetzt werden? „Wir beklagen mit Recht den Verlust tropischer Regenwälder und fordern von den betreffenden Ländern, sich für ihren Schutz einzusetzen. Wollen wir Deutschen international glaubwürdig sein, müssen wir auch im eigenen Land unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen bzw. sollten hier mit gutem Beispiel voran gehen.“