Bad Berleburg/Bielefeld. Erbrechts-Experte sieht Fall Sayn-Wittgenstein auf einer Stufe mit Hohenzollern und Leiningen und erläutert schwierige Rechtslage ganz einfach.
Es geht um nichts weniger als um Grundrechte. Die Freiheit, den Menschen zu heiraten, den man möchte. Es geht um Familien-Traditionen, blaues Blut, Grundbesitz, ein Schloss und mehrer hundert Millionen Euro Vermögen. Das, was sich nach Zutaten eines Rosamunde Pilcher-Romans anhört, ist in Bad Berleburg harte Realität geworden. Ludwig-Ferdinand Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (78) hat Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (51), dem Sohn seines 2017 verstorbenen Cousins Prinz Richard, das „Fürstenerbe“ streitig gemacht und damit deutsche Rechtsgeschichte geschrieben – auch, wenn er unterlegen ist.
Experte untersucht Richterspruch
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Das sagt Prof. Dr. Gerhard Otte, der sich seit 40 Jahren mit „Verfügungen von Todes wegen“ beschäftigt und in den maßgeblichen Schriften zum Erbrecht publiziert.
Laut Otte gab es in der deutschen Nachkriegsgeschichte – west wie ost – nur zwei vergleichbare Erbauseinandersetzungen: im Kaiserhaus Hohenzollern und dem Fürstenhaus zu Leiningen.
Otte ist emeritierter Juraprofessor aus Bielefeld und hat sich jetzt intensiv mit dem am 9. Oktober 2020 gefassten Beschluss des Oberlandesgerichtes Hamm befasst und kommt zu einem klaren Urteil: „Das ist ein Abgesang auf das Privatfürstenrecht, das in der Zeit der Monarchie Teil der Erbrechtspraxis war“, sagt Prof. Otte im Gespräch mit dieser Zeitung. Und er geht noch weiter und attestiert: „Das OLG hat sich in einer sehr vorbildlichen Gründlichkeit mit dem Fall beschäftigt.“ Immerhin umfasse die Begründung 46 Seiten. „Das ist sehr viel für eine Begründung“, sagt der 85-Jährige, der von 1973 bis 1995 selbst Richter am Oberlandesgericht war.
Das Problem mit der Adelsklausel
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In einem jetzt erschienenen sechs Seiten langen Aufsatz für eine Fachzeitschrift hatte sich der Lehrer für Rechtsgeschichte an der Uni Bielefeld intensiv sowohl mit dem Testament als auch mit dem Beschluss auseinandergesetzt und bewertet die einzelnen Punkte, die an dem 1943 von Gustav Albrecht Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg verfassten Testaments und auch die strittigen Punkte wie die „Adelsklausel oder Heiratsklausel.“
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Diese sei Bestandteil vieler Fürsten-Testamente gewesen und entstamme einem Rechtsempfinden aus monarchischen Zeiten vor der Weimarer Republik, so Otte. Im konkreten Fall hätte diese Klausel bestimmt, dass Prinz Gustav dann Nacherbe seines Vaters sein könne, wenn er eine adelig geborene, evangelische Frau heirate.
Grundgesetz spielt hier keine Rolle
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Dass diese rechtliche Regelung nicht mehr zur Anwendung kommt, ist eine der Lehren, die Otte aus dem Beschluss zieht. Mit der Sittenwidrigkeit nach dem heute geltenden Grundgesetz aber könne man nicht allein argumentieren. „Es ist zwischen Juristen immer noch umstritten, ob das heute geltende Recht, oder das zur Zeit der Errichtung des Testaments gültige zur Anwendung kommen müsse. Dieser Frage aber konnte das OLG Hamm ausweichen, weil Prinz Gustav nicht verheiratet ist“, so Otte.
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Gleichzeitig nimmt der Jurist die Einzelnen Bestandteile der Klausel mit Blick zurück und in die Zukunft auseinander: Zu allererst zählt, dass Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg noch nicht verheiratet ist und somit diese Klausel theoretisch noch erfüllen könnte. „Die Klausel gilt für die Eheschließung, nicht für das Unterlassen der Eheschließung“, so Otte. Immerhin habe es mit dem Großonkel Albrecht und dem Onkel August des Erblassers gleich zwei zeitlebens unverheiratete Männer in der Erbfolge vor dem Erblasser gegeben.
Der zweite Punkt ist hypothetisch aber nicht unwichtig: Man müsse im Zweifel dem in Russland vermissten und später für tot erklärten Erblasser Fürst Gustav Albrecht eine „gewisse Lernfähigkeit“ zuschreiben.
Die Bürgerlichen Ehepartner der Königshäuser
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Das heißt nichts anderes als, dass er heute möglicherweise eine Beziehung zu einer nichtadeligen Frau akzeptiert hätte. Otte blickt zu den skandinavischen Verwandten. Im dänischen und schwedischen Königshaus, sowie im englischen seien Eheschließungen mit Bürgerlichen inzwischen akzeptiert. „Wie sollten sich deren deutsche Vettern fühlen, wenn sie dies nicht dürfen“, bricht auch Otte eine Lanze für die Verbindung von Tradition und Modernität – auch mit Blick auf die Werte des Grundgesetzes, die heute weder Adelsprivilegien kennen, noch Einschränkungen in die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Und genau diese „Lernfähigkeit“ habe das OLG Hamm bei seinem Beschluss auch gesehen.
Rosinenpickerei vor Gericht ist falsch
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Wichtig ist dabei, dass die Klägerseite Prinz Gustav und dessen Freundin Carina Axelsson eine „eheähnliche Beziehung“ attestierte. Die Kläger betonten, dass eine wilde Ehe heute ja akzeptiert sei, gleichzeitig argumentierten sie aber mit den Bedingungen aus der Heiratsklausel, weil Axelsson katholisch und nicht adelig sei. „Das nennen wir Juristen Rosinentheorie, weil sich da jemand argumentativ nur die Dinge herauspickt, die für ihn nützlich sind, die anderen aber unter den Tisch fallen lässt.“
Otte bescheinigte dem OLG Hamm auch dabei eine gründliche und ausgewogene Arbeit, die vor allem einen freuen wird: Gustav-Prinz zu Sayn-Wittgenstein, der nun nach gut zwei Jahren endgültig das Erbe seines Vaters und Großvaters antreten konnte.