Erndtebrück. Wenn sich Menschen streiten, muss nicht gleich ein Gericht eingeschaltet werden. Schiedsmänner wie Dieter Beck in Erndtebrück schlichten Streit.
Streit zwischen erwachsenen Menschen – der muss nicht immer gleich vor Gericht landen. Oft hilft auch schon der Schiedsmann. Doch leider sei dieses Ehrenamt in der Öffentlichkeit oft gar nicht bekannt, sagt Dieter Beck, amtierender Schiedsmann in Erndtebrück. Im Interview mit unserer Redaktion erläutert er, wann eine Schlichtung Sinn macht.
Warum bewirbt man sich für so ein Ehrenamt auf Zeit?
Dieter Beck: Das Ehrenamt, in welcher Form auch immer, ist eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft. Die Feuerwehr, die Vereine und viele andere, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, funktionieren nur mit dem Ehrenamt. Ich hatte mir vorgenommen, hierzu einen Teil beizutragen und bin auf die Ausschreibung der Gemeinde in der Zeitung gestoßen, da der damalige Schiedsmann, Helmut Hanses, aus dem Schiedsamtsbezirk weggezogen war. Ich bin ganz fest der Meinung, dass mit einem ruhigen und sachlichen Gespräch viele Konflikte vermeidbar oder lösbar sind. Das Amt hatte mich schon immer interessiert. Also habe ich mich hingesetzt und meine Bewerbung geschrieben. Nach der Bestätigung durch den Gemeinderat wurde ich am 19. Juli 2019 durch den Leiter des Amtsgerichts Bad Berleburg vereidigt.
Muss man dafür nicht auch starke Nerven mitbringen?
Nein, auch wenn eine Schlichtungsverhandlung schon mal sehr mühsam und eine Annäherung schwierig sein kann. Statt Nerven ist eher Geduld angesagt. Man muss das aber auch verstehen: Manchmal haben die „Streithähne“ schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen oder womöglich nur in einem unangemessenen Ton, sind sich bestenfalls aus dem Weg gegangen, da können die Gräben schon sehr tief sein. Da ist das Ziel einer Verständigung, ein Nachgeben und ein „aufeinander Zugehen“ schon recht viel verlangt.
Seit Sommer 2019 sind Sie als Schiedsmann im Einsatz. Mit welchen Streitigkeiten sind die Erndtebrücker seitdem zu Ihnen gekommen?
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Die Menschen, die sich an den Schiedsmann wenden, vertrauen mit Fug und Recht auf die zugesagte Verschwiegenheit. Es ist ja eines der wesentlichen Merkmale der Schlichtung, dass sie eben nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Und da man sich in Erndtebrück ja kennt, könnte selbst eine sorgfältig anonymisierte Darstellung von Streitigkeiten zu Mutmaßungen und falschen Parallelen zu Auseinandersetzungen in der eigenen Nachbarschaft führen. Lassen Sie mich nur so viel sagen: Es besteht kein Grund zur Annahme, die Erndtebrücker würden sich in ihrem Streitverhalten von anderen Gemeinden oder Städten wesentlich unterscheiden. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die dazu führen, dass man nicht mehr miteinander spricht. Dennoch ist in Erndtebrück die Lage viel ruhiger, als ich es mir vorgestellt hatte. Es wäre wohl sehr optimistisch zu glauben, es würden hier weniger Konflikte als anderswo auftreten. Vielleicht ist die Möglichkeit einer ruhigen und sachlichen Aussprache mit der Unterstützung durch eine neutrale Person einfach noch nicht bekannt genug.
Unabhängig von Erndtebrück: Was sind typische Fälle?
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Beispielsweise Streitigkeiten zwischen Nachbarn, weil sich die Natur im Wachstum mal wieder nicht an Grundstücksgrenzen hält. Auch Zäune, Hecken und Bäume, Lärm und Gerüche, die die gute Nachbarschaft belasten, sind sehr häufig Grund für eine Schlichtung. Auch in Privatklage-Delikten ist der Schiedsmann ein Ansprechpartner. Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, einfache Körperverletzung oder Hausfriedensbruch sind hierfür häufige Ursachen. Mit einigen der genannten Probleme ist eine Klage vor Gericht ohne vorherigen Schlichtungsversuch gar nicht zulässig.
Kann man sich auf die Gespräche mit den Streitenden eigentlich vorbereiten?
Die Schiedsleute sind im „Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen“ (BDS) organisiert. Der BDS bietet eine Reihe von Aus- und Weiterbildungsseminaren, die enorm weiterhelfen, die das notwendige Rüstzeug vermitteln und gute Ratschläge und Hinweise für eine gute Schlichtung geben. Neben juristischen Themen wie zum Beispiel Nachbarrecht oder Strafrecht werden auch Mediationskurse angeboten, die ich unbedingt bald, aber zumindest im Verlauf meiner Amtszeit in Anspruch nehmen möchte. Bisher hatte ich nur die Gelegenheit, den Einführungskurs zu besuchen.
Bringen Sie auch Erfahrungen aus Ihrem Berufsleben mit?
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Es spielen natürlich die allgemeine Lebenserfahrung und Erfahrungen aus dem früheren beruflichen Umfeld eine große Rolle. In meinem Beruf hat die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessenlagen immer einen breiten Raum eingenommen. Die Arbeit mit Menschen hat mir schon immer Freude gemacht. Ich denke auch, dass ich die Kenntnisse, die ich nach meiner Zur-Ruhe-Setzung in einem zweijährigen Fernstudium der „Praktischen Psychologie“, erlangt habe, in den Schlichtungen gut einbringen und nutzen kann.
„Keiner verlässt als Verlierer den Raum“ – das ist Ihre Maxime. Bekommt man das wirklich immer hin?
Wenn eine Seite nach dem Schlichtungsgespräch das Gefühl hat, „verloren“ zu haben, weil seine Interessen oder Forderungen keine Berücksichtigung gefunden haben, ist die Schlichtung nicht erfolgreich gewesen. Ziel ist es, dass beide Seiten aufeinander zu gehen und einen Vergleich schließen, mit dem jede Seite zufrieden sein kann. Dieser Vergleich wird protokolliert, von beiden Seiten und dem Schiedsmann unterschrieben und ist von nun an 30 Jahre gültig und durchsetzbar. Bisher waren wir – der stellvertretende Schiedsmann Roland Scholz und ich – in unseren Bemühungen erfolgreich. Wir geben uns allerdings nicht der Illusion hin, dass das in jedem Fall so bleiben wird.
Verhandelt wird in einem Besprechungsraum des Erndtebrücker Rathauses. Hat das einen besonderen Hintergrund?
Außer dem Schiedsmann sollte keine Partei einen Heimvorteil haben, deshalb wird eine Schlichtung grundsätzlich auf neutralem Boden durchgeführt. Für mich habe ich grundsätzlich entschieden, mein privates Umfeld von meiner Tätigkeit als Schiedsmann strikt zu trennen und daher den Besprechungsraum im Rathaus zu nutzen.
Unsere Zeitung im August 2017: „Fünf Jahre hatte Oberst a. D. Beck das Kommando über damals rund 750 Soldaten am Hachenberg. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Karl-Ludwig Völkel festigte sich in dieser Zeit das Miteinander mit der Kommune. Ein Ergebnis: Der erstmals mit der Gemeinde Erndtebrück durchgeführte Neujahrsempfang im Offiziersheim 2010 – eine Idee von Oberst Beck.“ Wollen Sie der Gemeinde mit dem Ehrenamt etwas Gutes zurückgeben?
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Mit dieser Annahme liegen Sie nicht ganz falsch. Ich habe während meiner Dienstzeit in der Kaserne eine so tolle, freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem damaligen Bürgermeister Karl-Ludwig Völkel und der Gemeindeverwaltung erleben können, dass ich froh bin, auf diese Art als Erndtebrücker Bürger etwas zurückgeben zu können. Und das Beste ist, dass sich das auch mit Henning Gronau und bereits mehrfachem Wechsel in der Kaserne nicht verändert hat.
Derzeit ist viel von einem Trend in der Bevölkerung hin zu mehr Aggressivität in Auseinandersetzungen zu hören. Spüren Sie das als Schiedsperson in den Gesprächen?
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Ein ganz schwieriges Feld, das mir auch sehr große Sorgen bereitet. Ich bin fassungslos, wenn irgendwelche Chaoten unsere Rettungskräfte und Feuerwehrleute beschimpfen und angehen, ausgerechnet diejenigen, die immer einsatzbereit sind und für andere Menschen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen. Entgegensteuern sollten wir alle und geschlossen, indem wir in unserem eigenen Umfeld die Verdienste dieser Menschen noch mehr als vorher herausstellen und würdigen. Wir sind mehr! In den Schlichtungsgesprächen spielt diese Entwicklung eher keine Rolle. Manchmal ist es hilfreich, wenn mal die Luft rausgelassen wird – allerdings ohne beleidigend oder herabwürdigend zu sein. Richtig aggressiv darf es in einer Schlichtung nicht zugehen, sonst müsste ich mir ein Versagen in der Moderation vorwerfen.
Unter den Ehrensenatoren des Erndtebrücker Carnevals Clubs (ECC), zu denen auch Sie gehören, befinden sich viele militärische Vertreter der Luftwaffe auf dem Hachenberg. Hat das eine besondere Tradition?
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Hierzu muss man wissen: Der erste Erndtebrücker Karnevalsclub ist 1983 in der Hachenberg-Kaserne von Soldaten und Zivilangestellten gegründet worden. Die Kaserne ist also der Geburtsort des Erndtebrücker Karnevals. Der ECC und die Bundeswehr haben seitdem eine enge Verbindung, die unter anderem auch in jedem Jahr mit der Kasernen-Stürmung und der Altweiberparty an Weiberfastnacht gefeiert wird. Ist es nicht schön, dass diese Initiative dazu geführt hat, dass auch nach beinahe 40 Jahren die beiden Erndtebrücker Karnevalsvereine in zwei Veranstaltungen die Schützenhalle zum Bersten bringen? Nicht zu vergessen das
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große Engagement der vielen Kinder und Jugendlichen, die monatelang für diese wenigen Tage üben und große Teile ihrer Freizeit hierfür opfern! Man kann zum Karneval stehen wie man will, aber das sind schon tolle Leistungen. Da mich die Bundeswehr schon früh aus meiner rheinischen Geburtsstadt Bingen geholt und in manch eine Gegend versetzt hat, in der Karneval nur aus dem Fernsehen bekannt ist, ist es schön, dass sich der Kreis in meiner neuen Heimat Erndtebrück nun schließt. Helau!
Mit Dieter Beck sprach Eberhard Demtröder