Villa O’Higgins/ Bad Laasphe. Die Bad Laaspherin radelt für SOS-Kinderdörfer durch Südamerika. In der patagonischen „Hölle“ kommt sie an ihre Grenzen.

Als sich Lisa Achatzi das erste Mal auf ihrer 13. Etappe meldet, schreibt sie einen Satz, der sich in regelmäßigen Abständen wiederholt: „Ich will niemanden neidisch machen, aber…!“ Im Anschluss sendet sie dann Bilder eines Naturschauspiels. Und genau das ist Patagonien: ein Schauspiel. Als schlüpfe Mutter Erde in ihre schönsten Kleider und unterschiedlichsten Rollen. Diese Vielfalt unterscheidet Patagonien vom Rest Südamerikas. Denn ob die Wüsten Perus oder die Berge Kolumbiens: Bisher war es so, dass es in jedem Land eine bestimmte Art von Landschaft gab, die sich über große Distanzen erstreckte. In Patagonien sei das anders, sagt Achatzi: „Hier ändert sich alles schlagartig. Dort hinten schneebedeckte Berge, hier vorne ein See mit türkisem Wasser, kurze Zeit später sind es wieder grüne Hügel oder grasbewachsene Felsen. In Patagonien hast du alle südamerikanischen Länder in einem.“

Täglich vier Jahreszeiten

Hinzu kommt, dass Achatzi immer wieder extremen Wetterumschwüngen ausgesetzt ist. Auf Sonne und Wind folgen monsunartige Regenfälle – mal kurz, mal stundenlang. Ohne ihre Wetter-App wäre sie aufgeschmissen, da „an einem einzigen Tag jede Jahreszeit vorkommen kann“. Auf Dauer stellt das nicht nur Achatzi, sondern auch ihr Material auf die Probe. Als sie an einem kleinen Campingplatz ihr Lager aufschlägt, bemerkt sie, dass eine der beiden Zeltstangen gebrochen ist. War solch ein Missgeschick bisher eine nervige Kleinigkeit, kann so etwas jetzt, fernab von Einkaufszentren oder Baumärkten, zum Super-GAU werden.

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Doch Achatzi hat Glück im Unglück. Der Campingplatzbesitzer hat zufällig eine alte, ebenfalls kaputte Zeltstange übrig. In seinem Schuppen sägt und feilt er solange, bis schließlich etwas passt, das eigentlich nicht zusammengehört. In Patagonien ist Hilfe zwar schwer, aber offenbar auch selbstverständlich zu finden.

Aufgespannte Kälber

Und weil die Gegend so menschenleer ist, sind auch die Straßenverhältnisse dementsprechend: „Ich habe hier das Gefühl, als ob meine Reifen nicht rund, sondern dreieckig sind. So fühlt es sich zumindest an, wenn man die ganze Zeit auf Schotterwegen fährt.“ Da ist es nur logisch, dass jeder noch so kleine Ort genutzt wird, um die geistigen und körperlichen Akkus wieder aufzuladen.

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Und wie der Zufall so will, trifft Achatzi genau in dem Moment in einer Kleinstadt namens Cochrane ein, als die 3000 Einwohner ihr alljährliches Fest feiern: „Es ist eine Mischung aus Stünzel und Schützenfest“, schildert Achatzi das Treiben. Zu sehen sind Paraden, Rodeo-Veranstaltungen und jede Menge Gauchos, die traditionellen Viehzüchter der Pampas. An Ständen gibt es handgemachte Textilien, Marmelade und natürlich jede Menge Fleisch – zum Beispiel aufgespannte Kälber über offenem Feuer.

Nerven liegen blank

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Das Fest in Cochrane muss sich für Achatzi wie eine Abschiedsfeier angefühlt haben. Denn von da aus geht es ins 250 Kilometer entfernte Dorf Villa O’Higgins, dem südlichsten Endpunkt der Fernstraße Carretera Austral. Dort wartet dann neben 400 Einwohnern eine Sackgasse, die endgültig Schluss macht mit gängiger Infrastruktur. Wer hier einkehrt, kommt in Richtung Süden nur mit der Fähre weiter. „Dann noch ein bisschen radeln, bis ich mich durch Flüsse, Büsche, Hänge und enge Trampelpfade nach El Chaltén aufmache“, sagt Achatzi gut gelaunt.

Doch die Laune hält nur kurz. Denn auf dem Weg nach Villa O’Higgins geht alles schief, was nur schiefgehen kann: Weil eine Schraube abfällt, löst sich eine Gepäcktasche. Die Bremsen funktionieren nicht reibungslos. Moskitos und bissfreudige Fliegen „sind die Hölle“. Eine Petroleumflasche geht kaputt, die austretende Flüssigkeit fehlt Achatzi fortan nicht nur beim Kochen, sondern verteilt sich auch noch über ihre geschmierten Brote – die einzige Tagesmahlzeit.

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Zu guter Letzt versperrt eine Kuhherde die Straße, stolze Bullen mit langen Hörnern machen ein Durchkommen unmöglich. Kurz gesagt: „Meine Nerven liegen blank! Ich habe seit drei Tagen nicht geduscht, kaum etwas gegessen und bin gerade einfach nur durch. Wenn ich wieder Asphalt unter den Reifen habe, schlage ich drei Kreuze!“ Dann schaut sie auf den Kilometerstand: 9118. Für einen kurzen Moment wirkt Achatzi wieder beruhigt.