San Antonio de los Cobres/Bad Laasphe. Die Bad Laaspherin radelt für SOS-Kinderdörfer durch Südamerika. Eine Reise zwischen Aufständen und Gastfreundlichkeit.
Proteste gegen Regierungen sind in Südamerika kein neues Phänomen. Mal wehrt sich die Bevölkerung des einen Landes gegen Armut, mal geht die eines anderen gegen Korruption auf die Straße. Doch was sich zurzeit an Protesten zwischen Pazifik und Atlantik abspielt, hat es so in der Wucht noch nicht gegeben. Mittendrin sitzt Lisa Achatzi auf ihrem Fahrrad in Richtung Feuerland, dem südlichsten Teil Südamerikas. Mal ist sie einfach nur froh, aus dem einen Ausnahmezustand herauszukommen, da wartet im Nachbarland der nächste Generalstreik.
Pläne werden über Board geworfen
Die Lage ist unübersichtlicher geworden, das wird schon an der Kommunikation mit Lisa Achatzi deutlich. Viele Sätze in ihren Kurzberichten beginnen mit dem Wort „eigentlich“. Denn eigentlich wollte sie dies und jenes machen und wollte eigentlich da und dort sein. Doch ihre Wege lassen sich derzeit schwer planen, die politische Lage zwingt sie über Nacht zu unerwünschten Entscheidungen: „Ich habe einige Routen mehrmals umgeschmissen, weil ich mir wegen Bolivien unsicher war. Dann habe mich generell gegen Bolivien entschieden, da die Lage dort nicht kalkulierbar ist.“
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Dabei geht es nicht nur um ihre eigene Sicherheit. Angst habe sie keine, vor allem nicht vor den Demonstranten. Es sind vielmehr die widrigen Umstände, die sie bereits bei den Flüchtlingsströmen der Venezolaner nach Kolumbien und den Straßenblockaden in Ecuador erlebte. Viele Straßenblockaden hätten sich ihr in Bolivien in den Weg gestellt, unvorhersehbare Umleitungen wären keine Seltenheit gewesen. Dabei muss man sich immer wieder die Infrastruktur vor Augen halten.
Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas, die hiesigen Straßennetze sind mit modernen, wie in Ecuador zum Beispiel, nicht zu vergleichen. Wer hier Umwege fahren muss, ist schon hinter dem Steuer eines Pkws gestresst – mit dem Fahrrad kann das aber zur reinsten Odyssee werden. Damit Achatzi nicht das gleiche Schicksal wie Odysseus ereilt, dessen Irrfahrt zwanzig Jahre dauerte und ihn danach nur sein eigener Hund wiedererkannte, entschied sich die Laaspherin dagegen. Auf dem Weg in den südlichsten Teil Südamerikas liegen so schon noch genug Proteste vor ihr, besonders in Chile eskaliert die Situation derzeit.
Musik und Tanz statt Gewalt
Über 20 Menschen sind bereits bei den Protesten in Chile gestorben, mehr als 2300 Fälle von Menschenrechtsverstößen wurden gemeldet. Wie niederträchtig die Polizei zum Teil vorgeht, wird an 200 Menschen klar, die eines ihrer Augen durch gezielte Gummigeschosse verloren. Als sich Achatzi aus Chile meldet, ist sie gerade im nördlichen Calama. Von Straßenschlachten, wie sie besonders in der Hauptstadt Santiago de Chile zu beobachten sind, berichtet sie nicht: „Die Proteste hier sind sehr friedlich. Es ist immer mit Musik und Tanz verbunden. Nachmittags geht es los, getrommelt wird bis spät am Abend. Viele Geschäfte und Banken sind geschlossen, an jeder Häuserwand sind Graffitis der Proteste zu sehen.“ Letztere seien laut Achatzi nicht wegen ihres bunten und zahlreichen Daseins besonders auffällig, sondern aufgrund ihrer gleichen Inhalte. „Wir führen kein Krieg, sondern stehen zusammen“ steht gesprayt an einer Fassade und fasse die Stimmung innerhalb der Demonstrationen sehr gut zusammen. Die Parolen machen klar, dass hier keine Schlacht zwischen radikalen Gruppierungen, sondern ein kollektiver Aufschrei nach sozialer Gerechtigkeit stattfindet.
Grün vor lauter Freude
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In Calama bekommt Achatzi die Berichte über Ausschreitungen aus dem Rest des Landes mit. Sie entschließt sich nach Osten aufzubrechen und über einen Pass Argentinien zu erreichen. Als sie die Grenze überquert, wartet auf sie eine Überraschung: „Ich bin innerlich ein wenig ausgerastet, weil ich einfach Grün gesehen habe. Auf einmal waren da Bäume. Etwas, dass ich in den Wüsten Perus und Chiles seit Wochen nicht mehr gesehen habe.“ Nach 450 Kilometer erreicht sie San Antonio de los Cobres, eine Kleinstadt auf 3775 Metern Höhe. Als sie bei einem Restaurant pausiert, kommt sie mit dem Besitzer ins Gespräch. Und wieder zeigt sich die Gastfreundlichkeit Südamerikas: Achatzi kann kostenlos übernachten und „darf“ für das Essen nicht bezahlen. Am nächsten Tag bekommt sie als Geschenk einen Sack mit frisch gebackenem Brot mit auf den Weg. Auf zu neuen Protesten.