Warstein. . Neun Jahre muss der Mann aus Warstein hinter Gitter, der im Streit um einen Hund, einen anderen Mann vom Balkon gestoßen haben soll. So hat das Schöffengericht in Arnsberg geurteilt. Der Promillegehalt der vernommenen Zeugen lag nahezu ausnahmslos bei 3 Promille und mehr.
Es gibt eine Warsteiner Welt, vor der man gerne die Augen verschließen möchte, weil sie gar nicht zu dem beschaulichen Städtchen im Sauerland passt. Ein Welt, die verdrängt wird, um die sich so recht keiner kümmert. Das ist die Welt der Hartz-IV-Empfänger. Die Welt der Szene am Marktplatz, in der es vor allem um eines geht: Wer holt die nächste Kiste Bier, wer die nächste Flasche Schnaps?
In dieser Welt war auch Bernd zu Hause. Und zu dieser Warsteiner Welt gehört auch der Angeklagte, den sie alle nur Theo nennen. Zu dieser Welt gehört es, dass man sich zunächst mit Billigbier und Billigschnaps vom Discounter die nötigen Startvoraussetzungen für den Tag verschafft. Anschließend geht es dann zu Saufgelagen in unterschiedliche Wohnungen. In dieser Beziehung war der 30. November 2011 ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, der mit einem Toten endete. Und deshalb war der 30. November eben doch kein ganz normaler Tag.
Zeugen waren zum Tatzeitpunkt alle volltrunken
In insgesamt drei Verhandlungstagen hat das erweiterte Schöffengericht in Arnsberg unter der sensiblen und behutsamen Leitung von Richter Willi Erdmann versucht, ein wenig Licht in den Alkoholnebel jenes verhängnisvollen Abends zu bringen. Eine äußerst mühselige Aufgabe, weil alle Teilnehmer an dem Trinkgelage in der Heinrich-Heine-Straße zum Tatzeitpunkt einen Zustand erreicht hatten, der mit „volltrunken“ äußerst defensiv umschrieben ist. Der Promillegehalt der Zeugen lag nahezu ausnahmslos bei 3 Promille und mehr.
Auch die beiden am Mittwoch final vernommenen Zeugen, die Gastgeberin und ihr Lebensgefährte, konnten nur bedingt zur Aufklärung beitragen. Dass Mittwoch bereits am frühen Morgen ein deutlich wahrnehmbarer Alkoholgeruch durch den Sitzungssaal 3 des Landgerichts waberte, unterstrich die Schwere der Aufgabe für Richter Erdmann, aus den Aussagen Glaubwürdiges herauszufiltern. Vieles von jenem Novemberabend blieb folgerichtig im Dunkeln.
„Festplatte war komplett gelöscht“
Der Angeklagte selbst leistete keinen Beitrag zur Aufklärung. Er blieb auch am Mittwoch weitgehend stumm. Immerhin ließ er von seiner Verteidigerin eine Erklärung verlesen: Er sei nicht in der Lage, sich an irgendetwas zu erinnern; seine Festplatte sei komplett gelöscht. Dass der Bernd nun tot sei, tue ihm leid. Schließlich seien sie gute Freunde gewesen.
Zum Abschluss der Verhandlung nutzte er dann doch die Gelegenheit: „Schade, dass der Bernd nicht da ist. Er würde bestätigen, dass ich nichts gemacht habe.“
Zumindest Staatsanwältin Dr. Sandra Müller-Steinhauer war da ganz anderer Ansicht. Sie plädierte auf Totschlag und forderte 9 Jahre und 10 Monate Haft. Der Vertreter der Nebenklägerin, ging in seinen Ausführungen einen deutlichen Schritt weiter. Für ihn waren die Mordmerkmale – in diesem Fall: Heimtücke – erfüllt. Er forderte daher: „Mord kennt nur eine lebenslange Freiheitsstrafe.“
Verminderte Schuldfähigkeit
Allenfalls über „Körperverletzung mit Todesfolge“ oder „fahrlässige Tötung“ wollte die Verteidigerin mit sich diskutieren lassen. Aber auch für diese Straftatbestände reichten ihrer Meinung nach die Zeugenaussagen nicht aus. Sie plädierte auf Freispruch für ihren wegen Körperverletzung vorbestraften Mandaten.
Dem entsprach Richter Erdmann nicht und verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, attestierte ihm aber eine verminderte Schuldfähigkeit, da er zum Tatzeitpunkt stark alkoholisiert war. Wegen seiner Alkoholabhängigkeit ordnete der Richter die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.