Warstein. . Das letzte Mal, dass ich mich mit einer blonden Traumfrau im Wald verabredet habe, liegt dreißig Jahre zurück. Am Ende standen eine Hochzeit und vier Kinder. Dieser Spaziergang wird auch mit einer Hochzeit enden – und mit Kindern. Aber der Reihe nach.
Catharina Cramer (34) hat ihren goldfarbenen Range Rover fünf Minuten vor der verabredeten Zeit auf den Parkplatz Stimmstamm gesteuert, bleibt aber noch einen Moment im Auto sitzen. „Tut mir leid“, entschuldigt sie sich wenig später mit einem entwaffnenden Lächeln, „ich musste noch eine E-mail schreiben.“
Die Brauerei-Chefin hat sich für ein sportliches Outfit entschieden und in den Schrank mit der Wintergarderobe gegriffen. Es ist zwar ein strahlend schöner Frühlingstag, aber in der Luft hängt noch ein Hauch von Frost – ein letzter Gruß des Winters.
Sorgen, dass Catharina Cramer wie eine Jetset-Lady in High-Heels zu einem Waldspaziergang stöckelt, muss man sich nicht machen. „Wir sind gestern noch von Warstein nach Kallenhardt gewandert. Das Wetter war zwar nicht so schön wie heute, aber es war trotzdem traumhaft.“
Deutschlands Bier-Königin
Schon nach wenigen Schritten wird klar, dass die Frau, die von den Boulevard-Zeitungen zu Deutschlands Bier-Prinzessin oder (in vorwegeilendem Gehorsam) zu Deutschlands Bier-Königin gekrönt wurde, vor allem eines ist: bodenständig und heimatverbunden. Das liegt in erster Linie an ihrer Erziehung und der ebenso frühen wie tiefen Verbundenheit zu der Brauerei, der sie seit fast sieben Jahren nun gemeinsam mit ihrem Vater Albert Cramer vorsteht.
„Wir, also meine beiden älteren Schwestern Marie-Christina, Ann-Josephin und ich, hatten eine wunderschöne Kindheit. Wir sind völlig normal aufgewachsen, so wie andere Kinder auch in Warstein.“ Schon früh wurde die Brauerei zum Lieblingsspielplatz der Cramer-Kinder. „Dort haben wir Flohmärkte gemacht und allen möglichen Krimskrams verkauft oder in der Kantine mitgeholfen. Das war alles immer ein Riesenspaß.“
Dass die Warsteiner Brauerei dann in den 80er Jahren von einem Absatzrekord zum anderen gezapft ist und Deutschlands erfolgreichste Privatbrauerei wurde, hat Catharina Cramer nur am Rande mitbekommen. „Mein Vater hat ja auch schon vorher immer viel gearbeitet und war oft unterwegs.“
Mitbekommen hat sie dann aber sehr wohl, dass die beiden älteren Schwestern kein Interesse zeigten, dauerhaft ins Unternehmen einzusteigen. „Ich glaube, ich war dreizehn, als ich bei einem solchen Gespräch dabei war. Da war ich erst einmal ein wenig beleidigt, weil mich keiner gefragt hat, ob nicht ich Interesse habe.“
An der Spitze einer Bier-Dynastie
Sechs Jahre später wurde sie gefragt: „Wir waren im Ski-Urlaub. Als Papi gesagt hat, dass er sich mal mit mir unterhalten muss, wusste ich, jetzt wird es ernst.“ Das war kurz nach dem Abitur. Während ihre Mitschülerinnen vor so schwierigen Entscheidungen standen, ob sie Medizin oder doch lieber Jura studieren sollten, musste sich Catharina Cramer entscheiden, ob sie sich ein Leben an der Spitze einer der erfolgreichsten und bekanntesten Bier-Dynastien Deutschlands vorstellen könne: „Gib mir einen Tag Zeit, habe ich gesagt.“ Die Antwort, die sie ihrem Vater gegeben hat, ist inzwischen täglich gelebte Geschichte.
Der Wald auf dem Weg zum Stimmstamm scheint wie ein junges Fohlen mit den Hufen zu scharren, das nach der langen, dunklen Winterzeit auf die Frühlingswiese darf. Trotz der noch kühlen Luft weht uns ein hoffnungsvoller Wind um die Nase, der von Aufbruch und wieder erwachendem Leben kündet. Aber mir wird jetzt auch klar, warum es DER und nicht DIE Wald heißt: Weil DER Wald ein Mann ist, ein richtiger Macho. Jeder Schritt von Catharina Cramer wird von anzüglichem Pfeifen und Tirillieren begleitet. So etwas kenne ich eigentlich nur von den Stränden in Griechenland, wenn die Schönheiten aus Skandinavien, Holland oder Deutschland über den warmen Sand flanieren und griechische Gigolos das mit anerkennenden und einladenden Pfiffen begleiten…
Catharina Cramer glaubt, dass nicht DER Wald, sondern die Vögel ihr nachpfeifen. „Herrlich, die Vögel machen richtig Alarm. Auf diesen Spaziergang heute habe ich mich den ganzen Tag gefreut.“ Ich mich auch, Frau Cramer, aber wir sind hier, um zu arbeiten und müssen uns deshalb wieder ihrer beruflichen Laufbahn widmen: Nach dem Studium in England („International Business“) standen zunächst noch verschiedene Ausbildungsstationen in London (JP Morgan) und Paris (in einem Marktforschungsunternehmen) an – und anschließend die Frage, wo sie denn nun erste berufliche Erfahrung sammeln sollte. „Papa wollte, dass ich das bei einer großen Brauerei in Amerika mache. Aber ich habe gesagt, Papi, ganz ehrlich, unsere Firma ist in Deutschland und ich habe bisher noch nie in Deutschland gearbeitet, ich möchte auch nicht, dass Du Deine Connections spielen lässt. Ich suche mir selber etwas.“ Da war sie 24 Jahre jung.
Catharina Cramer und ein tschechischer Kräuterlikör
Die Wahl fiel auf Pernod-Ricard, ein Weltkonzern in Sachen Spirituosen (Pernod, Havanna-Club, Ramazotti, Chivas Regal) mit deutschem Sitz in Köln. „Da war ich dann im Marken-Management für Ramazotti und Becherovka zuständig.“ Ausgerechnet Bechervoka, denke ich – der tschechische Kräuterlikör hat mir einen der schlimmsten Abstürze meines Lebens beschert. Das war in Prag. Aber gehört jetzt nicht hierher und wird nur aus Chronistenpflicht erwähnt.
„Becherovka“, klärt Catharina Cramer auf, „schmeckt ein bisschen wie Weihnachten. Die Leute lieben oder hassen es.“ Da bin ich ja beruhigt, ich gehöre eher in die zweite Kategorie nach meinen Prag-Erfahrungen. „Köln war eine echt Superzeit, ich hatte einen Superchef und habe unheimlich viel gelernt.“
Zeit für etwas Anständiges
Nach so viel Schnaps wurde es dann für die Warsteinerin Zeit für etwas anderes; Zeit für etwas Anständiges – übrigens auch für uns: Vor uns liegt ein Stapel frisch gefällter Fichten. Ihre Rinde hat der Harvester abgeschabt, so dass die langen Bäume an Giraffenhälse erinnern. Wir nehmen auf einem dieser gigantischen Giraffenhälse Platz und ich zaubere aus meinem Rucksack zwei Fläschchen Bier – natürlich Warsteiner.
Eigentlich wollte ich sie mit Krombacher oder Veltins schocken, weil mich die Reaktion interessiert hätte. Aber das habe ich mir dann doch verkniffen. Verkniffen habe ich mir auch den Biertest, über den ich kurz nachgedacht hatte. Schmeckt Catharina Cramer das Premium Verum mit verbundenen Augen unter drei anderen Marken heraus? „Das wäre gar nicht so einfach“, antwortet sie und nimmt einen ersten Schluck, „die Bitterwerte der führenden Marken haben sich in den letzten Jahren immer mehr angenähert. Wir sind unserem Geschmack dabei immer treu geblieben und haben uns dadurch von den anderen differenziert. Wenn man uns also vorwirft, wir seien zu einem Mainstream-Bier geworden, dann ist das schlichtweg falsch. Die anderen haben sich eher unserem Geschmack angenähert.“
Arbeitszeugnis auf des Vaters Schreibisch
Der Geschmack, dem ich mich annähere, ist ein wenig zu warm. Das Bier ist frisch aus dem Supermarkt und die Stunde im Rucksack hatte auch nicht gerade Kühlschrank-Niveau. „Könnte kälter sein“, urteilt die Profi-Verkosterin. Richtig, aber wir sind ja nicht zum Spaß hier. Deshalb müssen wir auch der Versuchung widerstehen, schon an Feierabend zu denken und machen uns auf den restlichen Weg zum Turm.
Wie ging es denn dann nach Köln weiter? „Also, mein Vater hat zu keiner Zeit gedrängt. Vielmehr habe ich ihn irgendwann überrumpelt und gesagt: „Übrigens, Papi – dann und dann bin ich in der Firma.“ Das fällt auf beim Gespräch mit Catharina Cramer: Wenn sie über Albert Cramer spricht, wechselt sie ständig zwischen der respektvollen Bezeichnung Vater, dem liebevollen Papi und dem eher neutralen und doch so familiengeprägten Papa.
An den ersten Tag in der Brauerei kann sie sich gar nicht mehr erinnern: „Ich weiß nicht einmal mehr das Datum. Ich weiß aber noch, dass ich meinem Vater das Arbeitszeugnis von Pernod-Ricard auf den Tisch gelegt habe. ,Was soll ich denn damit?‘ hat er gefragt. ,Damit Du siehst, dass ich auch woanders anfangen kann.‘ Es war mir wichtig, gleich klar zu stellen, dass ich unabhängig bin und auf eigenen Füßen stehen kann.“
Catharina Cramer: Hochzeit in Warstein
Wir haben inzwischen den Lörmecke-Turm erreicht und hier – im Sonnenschein – gibt der Frühling eindrucksvoll seine Visitenkarte ab. Die Frage, ob wir auf den Aufstieg vielleicht verzichten sollen, schwebt unformuliert unterhalb des Turmes davon, denn Catharina Cramer eilt bereits mit aufmunternden Rufen – „los kommen Sie schon“ – die Treppen hoch; ich habe Mühe, ihrem Tempo zu folgen.
„Herrlich!!!“ ruft sie aus, während ich schwer pumpend die letzten der 204 Stufen nehme. „Dort drüben“, sagt sie und zeigt Richtung Norden, bin ich früher mit meinem Pony geritten – ohne Sattel. Drauf aufs Pony, dann zum Reitstall nach Suttrop und dort gab es dann Reitunterricht auf einem Großpferd.“ Ihre Augen strahlen. In dem unergründlichen Blau ihrer Augenfarbe scheint gerade ein Film aus der Kindheit abzulaufen: Hanni und Nanni in Warstein.
Wie ist das denn eigentlich, in dieser „Männerdomäne Bier“? Wird man da als Frau überhaupt ernst genommen? „Diese Frage bekomme ich ja nicht zum ersten Mal gestellt. Wenn man in einer Brauerei groß geworden ist und sich mit den Dingen auskennt, weiß man ja, womit man es zu tun hat. Also die meisten begegnen mir mit einem gewissen Respekt und finden es toll, dass eine Frau an der Spitze einer großen deutschen Brauerei steht. Und dann“, schmunzelt Catharina Cramer, „hilft es auch, wenn man einigermaßen trinkfest ist.“ Das wäre eigentlich ein Grund, ein zweites Fläschchen zu öffnen…
„Es heiraten doch jede Woche Menschen in Warstein“
Auf dem Weg zurück zum Parkplatz müssen wir privat werden. „Wir müssen noch über ihre Hochzeit reden“, taste ich mich vorsichtig vor. „MÜSSEN“, lacht sie laut. „Es heiraten doch jede Woche Menschen in Warstein.“ – „Ja, aber die sind nicht so prominent wie Sie.“ „Wenn Sie das sagen, was wollen Sie also wissen?“ „Am liebsten alles.“
Und dann erzählt sie – von der schwierigen Suche nach dem Hochzeitskleid, das aber inzwischen Gott sei Dank gefunden ist, von den Vorbereitungen und an was man nicht alles denken muss. „Dass wir in Warstein heiraten, war übrigens nie eine Frage. Meinem Vater und mir war es ein absolutes Bedürfnis, dass die Hochzeit in unserer Kirche in Warstein gefeiert wird.“
"Klar wollen wir Kinder"
Wir nähern uns dem Parkplatz, die 90 Minuten sind nur so verflogen. Abschließend bleibt noch die Frage nach Kindern. Und wieder eine Antwort in der typisch direkten und offenen Art, die Catherina Cramer auszeichnet. „Kinder? Klar wollen wir Kinder. Das gehört dazu. Ich bin doch in dieser Beziehung enorm privilegiert. Ich wohne ja praktisch direkt neben der Verwaltung. Dann schiebe ich mit dem Kinderwagen zur Arbeit.“ Man braucht nun wirklich keine Fantasie, um zu wissen, dass dieses Bild Realität werden wird.
Ich habe es eingangs ja versprochen: Am Ende gibt es eine Hochzeit und Kinder. Wenn auch mit anderen Hauptdarstellern. Und das ist auch gut so.