Warstein. . Eigentlich gehört er in Quarantäne und nicht in den Wald. Dieser Mann ist nämlich infiziert. Hochgradig. Er hat den Macher-Virus. Michael „Mike“ Römer wird mich auch damit anstecken. Er wird 100 Minuten brauchen.

„Eine Sache vorab“, sagt Römer am Stimm-Stamm-Parkplatz, „ich bin der Mike und finde Du schöner als Sie.“ Klasse. Ich auch. Ach, und ganz nebenbei. Ich bin übrigens auch der Mike.

Eduard Mörike muss einen Talk am Turm gemacht haben, als er sein Frühlingsgedicht „Er ist’s“ verfasste. Da muss er durch die malerische Stimm-Stamm-Landschaft flaniert sein. Die Vögel müssen ihm - genau wie uns - die Melodie des erwachenden Lebens gepfiffen haben und die Sonne hatte einen Heidenspaß dabei, durch die langsam ergrünenden Baumkronen Spaziergänger unten auf dem Schotterweg zu küssen.

Auszeit vom Alltag

Das ist ein Wetterchen wie Mike und Mike es lieben. „Das ist eine andere Welt“, sagt Römer. Und deshalb ist unser Spaziergang heute auch kein Termin für ihn, sondern eine Auszeit vom Alltag.

Wir brauchen 500 Meter, um Römers wichtigste Frage zu klären: „Warum ich?“ Nachdem unsere Anfrage zum Spaziergang bei ihm eingegangen war, hatte er verdattert mit der Familie am Essenstisch gesessen und gerätselt. „Mike, du bewegst nicht nur etwas. Du bewegst auch andere Menschen“, erkläre ich ihm. Ein verlegenes, nahezu demütiges Lächeln huscht über sein Gesicht. „Das ist ein Wahnsinns-Kompliment“, sagt er. Recht hat er.

Wer die Verhaltensmuster und Handlungsprinzipien des Ur-Beleckers verstehen will, muss die Geschichte von Römers verstorbenen Vater Bruno kennen. „Ich will älter als er werden“, sagt Römer. In vier Jahren wäre das soweit. Dann wird Römer 57.

Ein Herzinfarkt beendete das Leben von Bruno Römer viel zu früh. „Er hat gerackert und geschafft, er hat gelebt und leider konnte er nur selten Nein sagen“, sagt Römer. Er selbst ist auch ein Rackerer, ein Schaffer, hat aber an die Spitze der Prioritätenliste seines Lebens nicht den Erfolg und die Verpflichtung um jeden Preis gesetzt. „Erst kommt die Familie, dann kommt der Job“, sagt der 53-Jährige.

Immer in der zweiten Reihe

In den Mitgliederlisten der Belecker Vereine taucht der Name Römer fast überall auf. „Aber“, sagt er, „da stehe ich immer in der zweiten Reihe. Er entwirft zwar Orden und Urkunden. Aber ein Amt? „Nein, definitiv nein.“

Ich bin völlig falsch angezogen. Der Mantel gehört in den Dezember, nicht in den Frühling. Mir rinnt Schweiß den Rücken runter. Römer, der in guten Wochen drei, vier Mal etwa zwölf Kilometer joggen geht, trägt eine schwarze Lederjacke. Eine Hand hat er in der Hosentasche. Die andere gestikuliert, erklärt und fuchtelt.

Römer ist Werbefachmann und Grafiker, seit über zehn Jahren selbstständig. Ein Job, der ihm jeden Tag eine besondere Fähigkeit abverlangt: Das Alte neu zu sehen. Kreativ zu sein. „Am Anfang liegt da immer ein leeres Blatt Papier“, sagt er, „und am Ende hat man immer etwas völlig Neues geschaffen.“

Dazwischen liegt die Varianz des Scheiterns, des Lieferdrucks und Gedanken-Blockaden. „Wie am Schnürchen läuft es nur in den wenigsten Fällen, aber wenn es drauf ankommt, dann schaffe ich es auch“, sagt Römer.

An Ideen mangelt es ihm wahrlich nicht. Der eigenen Anatomie ist es geschuldet, dass er sie noch nicht alle angreifen konnte. Zwei Hände hat er nur. Die sieht man jetzt auch. Denn die andere hat sich langsam aus der Hosentasche an die Frühlingsluft getraut. Sie hilft beim Gestikulieren.

Michael Römer liebt die Bühne 

Dass sein Körper mehr spricht als die vieler anderer, ist ein nützliches Relikt seiner größten Leidenschaft; der Schauspielerei.

Vater Bruno hatte noch zu Lebzeiten die Laienspielgruppe in Belecke aufgebaut. Sohn Michael trat ein und fing Feuer. „Ich liebe die Bühne“, sagt er, schränkt aber gleich mit erhobenem Zeigefinger ein, dass das nur für Rollen zutreffe. „Als Person, die ich bin, im Vordergrund zu stehen, ist etwas, das mir nicht gefällt. Ich kann mich bis heute nicht daran gewöhnen.“

Dass er bei der Selbstdarstellung innerlich ein bisschen schwächelt, will man ihm eigentlich nicht so richtig abkaufen, wenn man seinen fesselnden Auftritt beim Jahresempfang der Warsteiner Presse in der Theateraula am Jahresbeginn gehört und gesehen hat. „Ach, ja. Das lag am Sinn dieser Ansprache“, sagt er.

Ein emotionaler Weckruf

Wie auch immer, dieser Römer-Auftritt in der Aula war ein emotionaler Weckruf. Emotional deshalb, weil er echt war. Michael Römer trug damals die gleiche Lederjacke wie heute. Auch heute ist er echt. Ein echter Römer eben. Er wählt klare Worte, spricht keine verkanteten Sätze. Wenn er eine Meinung hat, sagt er sie geradlinig heraus.

„Das ist vielleicht auch so eine Schwäche von mir. Irgendwie bin ich kein guter Vorsitzender. Ich rede immer erst, bevor ich denke.“ Ein Vorsitzender, wie man ihn oft in Zusammenhang mit der Kulturinitiative nennt, will er auch gar nicht sein. „Ich finde das furchtbar. Wir sind ein Team, in dem alle brennen. Da ist wirklich jeder wichtig.“

Mit der Kulturinitiative crashte Römer von null auf 400 in die Öffentlichkeit. Er gibt ehrlich zu, die Tragweite dieses Projektes unterschätzt zu haben. „Guck doch mal, wo wir gelandet sind“, sagt er mir. Ja, ich gucke. Und ich sehe die KI ganz oben angekommen auf der politischen Tagesordnung. „Wir haben es geschafft, dass man eigentlich gar nicht mehr gegen die Theateraula entscheiden kann“, ist Römer stolz.

Das ist der noch wichtigere Verdienst als eine pickepackevolle Aula bei Rio, TKKG oder dem Poetry-Slam. Eine Idee hat es in die Köpfe der Menschen geschafft. Ein Gebäude soll weiter leben. „Und dafür“, sagt Römer, „kämpfen wir bis zum Umfallen.“

Verrückte Macher im positiven Sinne

Das tun sie wirklich. Unterhalten Sie sich mal mit einem Menschen, der zur Kulturinitiative gehört. Mit Martin Kwoka, mit Werner Braukmann, mit Uwe Nutsch. Das sind im positivsten Sinne verrückte Macher, die allesamt von der gleichen Idee beseelt, vom gleichen Virus befallen sind. Kulturitis. Dann fuchteln die Arme, glänzen die Augen und überschlagen sich die Ideen, wenn sie anfangen zu erzählen, was sie noch alles vor der Brust haben.

Apropos Brust. Die ist jetzt auch nass. Der Mantel muss weg. Und später daheim am besten gleich in den Müll. Im Winter war er nämlich zu kalt. Nichts Halbes, nichts Ganzes.

Wir stehen vor dem Lörmecke-Turm. „Ja, wollen wir?“, fragt Römer, „wir sind ja nicht zum Spaß hier.“

Na gut, soll sich der vorschnelle Mittfünfziger ruhig mal die Hörner an den ersten 100 von insgesamt 204 Stufen abhauen. Auf der Hälfte wird er bestimmt wie die meisten den raschen Aufstieg bereuen.

Hobby-Jogger

Aber Pustekuchen. Römer stratzt durch. Zack, zack, zack, ist der Hobby-Jogger oben. Der 23-jährige Fotograf und der 28-jährige Redakteur prusten hinterher. Oben angekommen genießt Römer den Blick auf seine Heimat, auf Belecke.

Aus der Vogelperspektive liegen Belecke und Warstein nur eine Daumenlänge auseinander. In der Realität aber liegt dazwischen ein Mentalitätsunterschied, der so groß ist wie 1000 Daumen. Darauf angesprochen, kann sich Römer ein Lachen nicht verkneifen. „Ja es gibt ein Ungleichgewicht zwischen den Ortschaften. Ich frage mich, warum das so ist, ich arbeite mit Warsteinern nämlich eigentlich sehr gut zusammen. Andererseits werde ich häufig gefragt, wie wir das in Belecke eigentlich machen, dass wir, wenn es darauf ankommt, immer alle an einem Strang ziehen.“

Römer atmet tief durch. Es ist eine kleine, willkommene Abwechslung vom aktuell stressigen Alltag. Um 6 Uhr steht der Werbefachmann morgens auf, macht Frühstück für die ganze Familie. Wenn die Kinder - Sohn Mark (18) und Tochter Nina (16) - und Ehefrau Rita sich auf den Weg zur Schule und zur Arbeit machen, beginnt der Arbeitstag für Römer, der hin und wieder auch erst abends um 23 Uhr endet. „Auch durch die KI ist natürlich noch mal viel dazu gekommen.“

Michael Römer: Unehrlichkeit bringt ihn auf die Palme 

Die letzten Meter. Was bringt einen so positiven und charismatischen Kerl wie Michael Römer eigentlich richtig auf die Palme? „Unehrlichkeit“, schießt es aus ihm heraus, „das ist der schlimmste Charakterzug, den Menschen zeigen können.“

Ein klares Wort zur rechten Zeit, sei immer möglich, sagt Römer. Das sei auch sein Problem an der Politik. „Alles zu verlogen. Den Job könnte ich nie machen, weil ich immer gleich raushaue, was mich bewegt.“ Stimmt. Das lassen wir gerne so stehen.

Doch auch Römer bohrt noch mal nach. Natürlich aus kultureller Perspektive. „Du kommst doch gebürtig aus Hagen“, fragt er mich. Jawoll. Und Hagen ist Grobschnitt-Land. Bester westfälischer Krautrock. „Die würde ich ja auch gerne mal holen“, funkelt es schon wieder in Römers Augen. Eine Anfrage sei es ja mal wert. Immerhin seien in jüngerer Vergangenheit ja schon ganz andere Projekte völlig unerwartet durchgestartet.

Zurück an den Schreibtisch

Nach unserem Spaziergang wird es Römer daheim wieder an den Schreibtisch ziehen. Die Auftragslage sei aktuell ordentlich. Überhaupt nicht zu vergleichen mit der Zeit, „in der ich richtig kämpfen musste, als ich nicht mehr wusste, ob und wie es weitergehen kann.“

Römer kennt beide Seiten der Medaille. Er hat den Staub seiner Branche schlucken müssen und sich doch immer wieder an sich selbst aufgerichtet. „Man muss auch unten gewesen sein“, sagt er, „viele junge Leute studieren ja heute gleich mit dem Ziel, sofort in die Chefetage zu springen. Aber man muss wissen wie Schweiß riecht, sonst bringt man es zu wenig.“

Zurück am Auto gibt es ein für mich wichtiges Kompliment. „Es hat mir Spaß gemacht“, sagt Römer. Vielleicht kann er sich heute, wenn er diese Zeilen gelesen hat, seine Frage ein bisschen besser beantworten - warum ich?

Wir wissen es. Und wir wissen auch, dass nur ein Mike Römer, der noch nicht all seine Ziele und Ideen verwirklicht hat, ein guter Mike Römer ist. Gut für ganz Warstein.