Warstein. . Erst seit wenigen Monaten ist André Dostal als Präsident der Großen Warsteiner Karnevalsgesellschaft (GWK) in Amt und Würden. Beim Talk am Turm hat der 34-jährige verraten, warum die fünfte Jahreszeit für ihn die schönste ist und wie er zu dem ehrenvollen Amt gekommen ist.
Was ist kalt? Was ist wirklich kalt? Die Antwort auf diese Frage fällt in der Regel höchst subjektiv aus. Frauen zum Beispiel haben ständig kalte Füße, so kalte Füße, dass sie die Sahara in ein Eismeer verwandeln können, wenn sie die Wüste durchschreiten würden.
Frostige Backpfeifen
Objektiv kalt aber ist es an diesem Morgen am Stimmstamm-Parkplatz. Im ganzen Land sind Rekordtemperaturen gemessen worden. Morgens um 11 Uhr zeigt das Thermometer am Auto noch stattliche minus 16 Grad. Dazu kommt ein eisiger Wind, der uns schon beim Aussteigen die ersten frostigen Backpfeifen verpasst.
André Dostal raucht noch rasch eine Zigarette, vielleicht in der Hoffnung, seinen körpereigenen Wärmespeicher für die nächsten 90 Minuten ein wenig aufzufüllen. Wir ziehen uns die Mützen tief ins Gesicht und stülpen die Handschuhe über. Auf geht’s, wir machen uns auf den Weg zum Lörmecke-Turm und wollen uns warmreden – warmreden über Karneval. Das sollte eigentlich klappen.
Wenn man Präsident der Großen Warsteiner Karnevalsgesellschaft wird, dann hat man das Konfetti doch wahrscheinlich schon mit der Muttermilch aufgesogen? André Dostal schmunzelt und überrascht mit seiner Antwort: „Nee, ganz und gar nicht. Ich hatte mit Karneval lange nichts am Hut. Auch meine Eltern nicht. Die gehen zwar zu den Kappensitzungen und zum Umzug. Mehr aber auch nicht.“
16 Jahre ohne Karneval
Den Versuch, die Antworten in meinen Notizblock zu schreiben, gebe ich schon nach wenigen Minuten auf. Mit den dicken Handschuhen kann ich zwar den Bleistift halten und übers Papier führen. Aber selbst promovierte Graphologen dürften daran scheitern, diese wirren Linien zu entschlüsseln. Und ohne Handschuhe geht’s gar nicht, da wird die Hand zum Eisklumpen.
Bis zu seinem 16. Geburtstag war das Leben für den gebürtigen Warsteiner weitgehend karnevalsfrei. „Dann sind drei meiner besten Freunde zur Prinzengarde gegangen und haben ständig genervt, dass ich doch mal mitkommen soll.“ Das hat er dann getan und ist dabeigeblieben. Zunächst in der Prinzengarde, dann im Elferrat. Als er zum Vizepräsidenten der GWK gewählt wurde, stand der nächste Schritt eigentlich schon fest: „Zusammen mit meinem Vorgänger Horst Wieskemper, der lange Zeit Präsident war, habe ich schon konkret darauf hingearbeitet.“
André Dostal ist im wirklichen Leben Produktmanager und Teamleiter
Da André Dostal, der im wirklichen Leben als Produktmanager und Teamleiter beim Soester Computer Großhändler Also-Actebis arbeitet, ein eher nüchterner und rational denkender Mensch ist, brauchte er vor der Zusage, an der Spitze der Warsteiner Narren zu stehen, eine (kurze) Bedenkzeit: „Das muss wohlüberlegt sein. Man muss das Amt schließlich in Einklang mit Beruf und Familie bringen.“
In der Familie fiel das nicht sonderlich schwer. Freundin Sandra Thon hat selber den Bazillus Karnevalitis, wenn auch die Belecker Variante. Und die ist bekanntlich nicht minder intensiv wie die Warsteiner. Als es auch vom Arbeitgeber in der Karnevals-Diaspora Soest das Signal wohlwollender Duldung gab, stand der Zusage nichts mehr im Wege.
Unsere Schritte knirschen auf dem verharschten Schnee. Wenn sich nicht sowieso ein latentes Frösteln unter meiner dicken Jacke breit gemacht hätte, würde dieses Geräusch vermutlich für ein Dauer-Schaudern sorgen. Irgendwie erinnert es an das Reiben von Styropor-Flächen. Brrrhhh. Schauderlich. Sorgenvoll schaue ich immer wieder auf das kleine Sony-Aufnahmegerät, das an einer Sicherheitsnadel befestigt am Riemen meines Rucksacks baumelt. Doch trotz sibirischer Kälte dreht die kleine Kassette tapfer ihre Runden und zeichnet unser Gespräch (hoffentlich) zuverlässig auf.
Zwei Bierchen gegen die leichte Aufregung
André Dostal, der bei Actebis beruflich ständig mit den neuesten Errungenschaften der Technik zu tun hat, schaut ein wenig mitleidig auf meine ständigen Kontrollen: „So etwas gibt es doch inzwischen auch digital.“ Ja, gibt es Herr Dostal. Aber so ein bisschen Nostalgie muss sein. Schließlich leistet das Kassettengerät seit sieben Jahre treue Dienste.
Vor zwei Wochen hatte André Dostal seinen ersten Auftritt als Präsi der GWK-Kappensitzung. Volle Hütte. Schon an der Garderobe wird einem die Stimmung wie eine zweite Haut übergestülpt. Kein Platz frei in der ebenso proppen- wie erwartungsvollen Sauerlandhalle. Und erst recht kein Platz für Miesepeter und Karnevalsmuffel. Sogar sein älterer Bruder Marc war da. Eine Premiere für ihn: „Der hat mit Karneval nun eigentlich gar nichts im Sinn.“
Zwei Bierchen hat sich Dostal vor dem Beginn mit seinem Vize Thomas Müller gegönnt. Zwei Bierchen gegen die leichte Aufregung. Danach gab es nur noch Wasser: „Ein lallender Präsident – das passt nicht.“ Das Reden vor so vielen Menschen macht André Dostal eigentlich keine Probleme. Das kann er. Eher die Sorge, dass auch alles wie am Schnürchen klappt und dass er seine Souveränität beim Leiten der Sitzung behält, sorgen für leicht gesteigerten Blutdruck. „Am Ende aber hat alles bestens gepasst. Wir haben nur positive Stimmen zum Programm gehört.“
Mit eisiger Faust mitten ins Gesicht
Es geht leicht bergan auf dem Weg zum Lörmecke-Turm. Der bitterkalte Wind scheint dies wie die Sprungschanze von Willingen zu nutzen und springt uns mit eisiger Faust mitten ins Gesicht. Windchill-Effekt nennt man das, wenn zu der gefühlten Temperatur noch der Wind-Effekt hinzukommt. In unserem Fall scheint das Thermometer auf minus 50 Grad durchzurauschen. Wir erreichen eine kleine Wanderhütte und nehmen den Schutz dankbar an. Zeit für eine kurze Teepause. Im Rucksack habe ich eine Kanne Tee mit Rum und Honig. Das wärmt die Lebensgeister. Fotograf Florian Hückelheim ist besonders dankbar. Er muss für die Fotos immer wieder die Handschuhe ausziehen. Jetzt umklammert er die heiße Tasse und genießt den belebenden Trunk.
Wir nutzen die Gelegenheit, um ein wenig tiefer in die Systematik eines Karnevalsvereins einzusteigen. „So ein Karnevalsverein“, sagt André Dostal und nimmt einen heißen Schluck, „so ein Karnevalsverein unserer Größe – das ist vergleichbar mit einer mittelständischen Firma.“ 600 Mitarbeiter hat die „Firma GWK“. Der Aufsichtsrat, das ist praktisch der Elferrat. Der Vorstand das Präsidium. Geld muss besorgt, Steuererklärungen gemacht werden. „Wir bewegen ja eine sechsstellige Summe im Jahr. Das alles schüttelt man nicht mal so eben aus dem Ärmel. Wenn man da nicht auf ein tolles Team bauen kann, kann man es vergessen. Dann würde es nicht funktionieren.“
Dostal kann sich auf sein Team verlassen
André Dostal hat ein Team, auf das er sich verlassen kann. Die gehen gemeinsam durch dick dünn. Und nicht nur an den fünf tollen Tagen. „Eigentlich haben wir das ganze Jahr über Karneval.“ Na also, wusste ich es doch: Man muss schon ziemlich verrückt sein, um bei der GWK an vorderster Front mitzumischen. Positiv verrückt. Einmal im Quartal trifft man sich zur Vorstandssitzung. Und was macht man dann zum Beispiel bei einer Vorstandssitzung mitten im Juni, gefühlte drei Millionen Jahre entfernt von der nächsten Session? „Dann planen wir das Oktoberfest, das wir zur Brauerkirmes organisieren, haben die ersten Verhandlungen mit dem Festwirt oder diskutieren über neue Elferratsmitglieder.“
Wir sind inzwischen am Turm angekommen. Auf den Aufstieg verzichten wir. Wenn schon hier unten Temperaturen wie in einer Tiefkühltruhe herrschen, wird es dort oben pfeifen und ziehen wie Hechtsuppe. Und eine Fernsicht gibt es an diesem trüben Februartag auch nicht.
André Dostal und der Elferrat mit 32 Männern
Elferrat – darüber müssen wir reden. Und es gibt Erstaunliches zu erfahren. Der Karnevalist an sich ist zwar der Grundrechenarten kundig, nimmt es aber in Warstein damit nicht so genau. Und deshalb ist 11 nicht gleich 11. Aus gutem Grund: Der Elferrat besteht in Warstein nämlich aus 32 Männern. Meistens. Es kann auch mal einer mehr oder einer weniger sein. „Die ganze Arbeit, die über das Jahr anfällt, und erst recht in der Hauptzeit des Karnevals, könnten elf Leute gar nicht mehr bewältigen.“ Früher war das vielleicht noch möglich. Aber inzwischen hat der Karneval eine Dimension in Warstein erreicht, dass man um jede helfende Hand dankbar ist.
Bazillus Karnevalitis
Dass daran kein Mangel herrscht, liegt am Bazillus Karnevalitis, der in der Wästerstadt von Generation zu Generation vererbt wird. Wahrscheinlich wird es direkt in die Hillenbergquelle eingefüllt. Denn wie anders ist es zu erklären, dass ein sonst so beschauliches Städtchen sich für einige Tage im Jahr dem kollektiven Wahnsinn verschreibt.
Was ist es zum Beispiel, was den Teamleiter und Produktmanager Dostal daran so fasziniert. „Das sind so unendlich verschiedene Faktoren. Zum Beispiel, dass so viele Menschen für ein gemeinsames Ziel arbeiten, dass Jung und Alt an einem Strang ziehen. Dass alle so ausgelassen und doch meistens friedlich feiern. Dass man den Alltag ganz einfach mal für ein paar Stunden oder sogar Tage ausblenden kann. Es ist einfach eine große Herausforderung, an dem Phänomen Karneval mitarbeiten zu dürfen.“
Jahresurlaub in der Karnevalszeit
Eine Herausforderung, für die André Dostal einige Opfer bringt. Einen Großteil seines Jahresurlaubs legt er bewusst in die Karnevalszeit. Ab Aschermittwoch ist erst einmal Herunterfahren angesagt. Der PC-Einkäufer von Actebis muss seine eigene Festplatte neu booten und von all dem Konfetti und den ungezählten Helau!!!-Rufen befreien.
Aber auch hier gilt die alte (Narren)Weisheit: Nach dem Karneval ist vor dem Karneval. Es dauert in der Regel nicht allzu lange, dann hocken die Dostals dieser Welt wieder zusammen und machen sich erste Gedanken, was man in der neuen Session anders, was man besser machen kann. „So geht es immer wieder weiter.“ Gut, dass es Menschen wie André Dostal gibt. Ohne sie wäre unsere Welt ein Stückchen grauer.