Siegen. Vor dem Schwurgericht in Siegen muss sich seit Donnerstagmorgen ein Mann aus Wilnsdorf (39) wegen versuchten Totschlags verantworten. Das Opfer, die ehemalige Schwiegermutter, erlitt schwere Kopfverletzungen, einen Armbruch und Abschürfungen. Die Frau verlor viel Blut und leidet bis heute an Schwindelattacken und Angstzuständen. Den Arm kann sie noch nicht normal bewegen.
Was brachte den Angeklagten dazu, am 3. Dezember 2012 über seine Ex-Schwiegermutter herzufallen, sie mit einem Schneidebrett krankenhausreif zu prügeln und ihr mit einem Tuch über Mund und Nase lebensgefährlich die Atemluft abzuschneiden?
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Siegerländer schwere Körperverletzung und Tötungsversuch im Zustand der stark verminderten Schuldfähigkeit vor. Das Schwurgericht muss sich mit abweichenden Schilderungen auseinandersetzen.
Der Angeklagte will an jenem Montagmorgen nach Freudenberg gefahren sein, um Hilfe zu finden. Er hatte mit seiner Ex-Frau vereinbart, erstmals seit der Trennung fünf Jahre zuvor die beiden Kinder am Heiligen Abend bei sich zu haben. Im Sommer änderte sie ihre Meinung, er stimmte widerwillig zu. Er sei zu ihrer Mutter gefahren, weil er hoffte, sie könne die Ex-Frau noch einmal umstimmen, sagte er im Gericht.
Der 39-Jährige klingelte unter dem Vorwand, eine Panne zu haben und ohne Mobiltelefon unterwegs zu sein. Das Verhältnis zur ehemaligen Schwiegermutter sei stets kühl gewesen, er habe auch nicht gewusst, wie er sein Problem vorbringen solle, erst belanglose Sachen gesagt und ihr dann beim Renovieren geholfen.
Die 69-Jährige schabte gerade alte Tapete von den Wänden. „Wäre es nicht schön, wenn die Kinder einmal bei mir wären“, will er beiläufig gesagt haben. „Du ,Hospes’, die sind doch bei ihrer Familie“, habe die Frau geantwortet, dann sei er ausgetickt. Die Schwiegermutter habe ihn schon früher Hospes genannt, für ihn ein abwertender Ausdruck aus dem Platt. Er erinnere sich, das Schneidebrett genommen zu haben, „dann saß ich auf einmal auf ihr“.
Angeklagter flüchtete mit Beruhigungstabletten in den Wald
Die Frau habe auf dem Boden gelegen und geblutet, er habe ihr den Mund zugehalten. Dann sei eine Nachbarin gekommen und habe durch das Küchenfenster gesehen. „Was mache ich hier eigentlich?“, will er gedacht haben, floh zu seinem Auto und fuhr nach Hause. Dort nahm er eine Handvoll Beruhigungstabletten, die er als Krankenpfleger immer zur Verfügung habe, fuhr in einen nahen Wald und versuchte, sich umzubringen. Vergeblich.
Opfer bekam vom Schwiegersohn einen Schlag auf den Kopf
Das Opfer erinnert sich nicht an ein Gespräch über die Kinder und Weihnachten. Sie habe aus heiterem Himmel einen Schlag auf den Kopf bekommen und gedacht, „etwas fällt von der Decke“. Dann habe sie den früheren Schwiegersohn mit dem Brett in der Hand gesehen: „Zwei oder drei Schläge habe ich gespürt“, dann kam auch sie zu Bewusstsein, als sie am Boden lag und der Mann auf ihr saß. Er habe gebrüllt, Geld zu wollen, sie habe ihm vorgeschlagen, „,mit ihm zur Volksbank zu fahren oder ihm dem Safe im Haus zu zeigen“.
Der Angeklagte habe gerufen, „ich bringe euch noch alle um“ und ihr Mund und Nase zugehalten. Gewürgt mit den Händen habe er sie allerdings nicht, antwortete sie auf eine Frage von Richter Wolfgang Münker. Das steht aber in der Anklage. „Für mich ist es auch würgen, wenn ich keine Luft bekomme“, erklärte die Frau.
Sie habe schon mit dem Leben abgeschlossen gehabt, als ihre Mieterin auftauchte und laut um Hilfe rief. Sie habe dem Ex-Schwiegersohn auch früher schon Geld geliehen, „sonst kam er ja nicht zu mir nach Freudenberg“. Als Hospes habe sie ihn in all den Jahren und auch an jenem Morgen nicht bezeichnet. Sie habe auch nie gesagt, der Angeklagte solle die Kinder nie wiedersehen.
Gegensätzliche Charaktere
Ihre Mutter und ihr Ex-Mann seien gegensätzliche Charaktere und nie harmonisch gewesen, berichtete zum Abschluss des ersten Verhandlungstages die frühere Ehefrau und Tochter. Sie beschrieb den Angeklagten als „Mann mit zwei Gesichtern. Er sei eigentlich nicht aggressiv, mitunter aber jähzornig und launisch. Sie habe die Tat als Mordversuch wahrgenommen, ihr Ex-Mann habe aber auch immer Geld gebraucht und „gern auf großem Fuß gelebt“.
Sie verstehe seine Aussage nicht, ihre Mutter habe nichts mit der Abmachung über die Kinder zu tun gehabt. Sie bestätigte allerdings, dass ihre Mutter direkt nach der Tat im Krankenhaus gewarnt habe, der Angeklagte sei zu allem fähig und sie solle die Kinder nie wieder zu ihm geben. „Meine Mutter erinnert sich aber nicht daran, sie weiß gar nicht mehr, dass ich damals bei ihr war“, fügte sie noch an. Das Verfahren wird am Freitag fortgesetzt. Unter anderem soll der Arzt zu Wort kommen, der das Opfer behandelt hat.