Siegen. Das perfekte Krankenhaus in Siegen finden? Mit dem neuen Bundes-Klinik-Atlas soll das ganz einfach gehen. Leider hat die Sache noch ihre Tücken.

Der digitale Bundes-Klinik-Atlas, online gegangen am vergangenen Freitag (17. Mai), kommt bei den Siegener Krankenhäusern unterschiedlich schlecht an. Zustimmung erntet die vom Bundesgesundheitsministerium lancierte Webseite, die Patientinnen und Patienten Informationen für die fundierte Auswahl eines Behandlungsorts liefern soll, in den betroffenen Einrichtungen jedenfalls nicht. Und Suchanfragen führen – zumindest bisher – teilweise zu nicht ganz nachvollziehbaren Ergebnislisten.

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Hintergrund des Bundes-Klinik-Atlasses ist das von der Bundesregierung initiierte Krankenhaustransparenz-Gesetz. Das Online-Portal soll einen „übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ bieten, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Mitteilung der Bundesregierung zitiert wird. Kernpunkt ist die Information, wie oft ein bestimmter Eingriff oder eine bestimmte Behandlung in einem Krankenhaus pro Jahr vorgenommen wird. „Hohe Fallzahlen sind keine Garantie für gute Qualität“, ist dazu im Bundes-Klinik-Atlas erläutert. „Dennoch gehen sie häufig – insbesondere bei spezialisierten Eingriffen oder Behandlungen – mit einem geringeren Risiko für Komplikationen und einer höheren Patientensicherheit einher. Mehr Erfahrung und Routine kann zu einem besseren Behandlungsergebnis führen.“ Weitere prominent platzierte Informationen sind Zertifikate und der sogenannte Pflegepersonalquotient. Letzterer gibt an, ob sich im Vergleich zu anderen Krankenhäusern viele oder wenige Pflegekräfte um Patientinnen und Patienten kümmern.

Das dürfte wenig hilfreich sein.
Dr. Christian Stoffers, Pressesprecher des St. Marien-Krankenhauses Siegen, über die für den Bundes-Klinik-Atlas erforderliche Fachsprache

Siegener Krankenhäuser sehen beim Bundes-Klinik-Atlas wenig Mehrwert

Was in der Theorie pragmatisch klingt, hat in der Praxis Tücken. Wer beispielsweise den Suchbegriff „Operatives Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks“ ins Suchfenster eingibt und in einem Umkreis von 18 Kilometern um 57072 Siegen herum schaut, bekommt mal Trefferlisten, auf denen das St. Marien-Krankenhaus nicht auftaucht, mal solche, wo es an erster Stelle steht. „Bei Endoprothetik gehören wir nach Anzahl sogar zu den Top 20 in Deutschland“, merkt Kliniksprecher Dr. Christian Stoffers an. Problematisch sei außerdem die vom System genutzte Sprache, „die für medizinische Laien nicht eingängig ist“. Gebe man etwa „Darmoperationen“ ein, „so erhält der Suchende ,Anastomoseninsuffizienz nach Operation am Darm‘. Das dürfte wenig hilfreich sein.“

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Vom Grundsatz her sei der Klinik-Atlas allerdings sowieso „nicht Neues unter der Sonne. Es gibt bereits viele Kliniklotsen“. Diese stützten sich in der Regel auf die Qualitätsberichte, die Krankenhäuser seit 2004 veröffentlichen müssen. Ob das zusätzliche Angebot des Bundesgesundheitsministeriums – erstellt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) und dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) – sich da behaupten könne, werde sich zeigen. Christian Stoffers: „Ohne Not ist da ein ,Bürokratiemonster‘ entstanden.“ Doch „etwas Gelassenheit tut da Not“. Spannend werde der Atlas, „wenn Komplikationen aufgeführt sind. Bis dahin sollte man mit einer abschließenden Bewertung warten.“

Klinikum Siegen: Zum Bundes-Klinik-Atlas gibt es schon seit Jahren Alternativen

Ähnlich ist die Einschätzung am Klinikum Siegen. „Wir vertreten zum Thema Klinik-Atlas zu 100 Prozent die Auffassung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)“, heißt es von dort auf Anfrage. Diese hatte bereits am Freitag auf ihren eigenen Klinik-Atlas hingewiesen, in dem sich die relevanten Informationen zu den einzelnen Krankenhäusern „laienverständlich online finden lassen“. Dieses Angebot werde von mehr als einer halben Million Menschen pro Monat genutzt und sei vom Bundesgesundheitsministerium bis vor kurzem „als geeignetes Transparenztool auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht und den Bürgerinnen und Bürgern zur Krankenhaussuche empfohlen“ worden. Angesichts dessen stelle sich „die Frage nach dem Sinn eines weiteren und diesmal steuerfinanzierten Verzeichnisses“, das aus Sicht der DKG zwar keinen Mehrwert generiere, aber mehr bürokratischen Aufwand verursache.

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Die mit Einführung des Atlas‘ „angekündigte Transparenz“ basiere zudem „auf einem ministeriellen Ranking der Krankenhäuser in Level“. Dieser Ansatz des Bundes im Zuge der Krankenhausreform war am Widerspruch der Länder gescheitert und damit eigentlich vom Tisch, könnte nun aber – so die Befürchtung – nun doch noch kommen: Eine Leveleinstufung ist ab dem vierten Quartal 2024 vorgesehen.

Der Klinik-Atlas ist eine Erfindung der Bundesregierung, die es in dieser Form nicht gebraucht hätte.
Stefan Nitz, Pressesprecher der Diakonie in Südwestfalen

Kinderklinik Siegen: Laut Bundes-Klinik-Atlas nur drei Fachabteilungen

Klare Kritik kommt auch seitens des Diakonie Klinikums Jung-Stilling. „Der Klinik-Atlas ist eine Erfindung der Bundesregierung, die es in dieser Form nicht gebraucht hätte“, sagt Stefan Nitz, Pressesprecher der Diakonie in Südwestfalen. „Er ist unübersichtlich, hilft den Patienten kaum, arbeitet mit veralteten Daten, hat einen äußerst fragwürdigen Mehrwert und sorgt bei den Menschen in der Summe für mehr Verwirrung als Klarheit.“ Auch die Diakonie sehe das Tool „im Kern so wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft“.

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Etwas mehr Handlungsbedarf sieht die DRK-Kinderklinik. „Da gibt es noch viel Diskussionsbedarf“, sagt Pressesprecher Arnd Dickel. Der Klinik-Atlas gibt drei Fachabteilungen für die Siegener Kinderklinik an – laut deren jüngstem Qualitätsbericht aus dem Jahr 2022 sind es hingegen sieben. Die Zahl der stationären Behandlungsfälle beträgt laut Atlas 5571, die Kinderklinik selbst kommt auf 5778 plus 96 teilstationäre Fälle. Die Kinderinsel – eine Wohnstation für dauerbeatmete Patientinnen und Patienten – sowie die Kinder- und Jugendpsychiatrie werden nicht berücksichtigt. Mit solchen Angaben könne sich ferner ein Problem verschärfen, mit dem die Gesundheitsbranche insgesamt konfrontiert ist: Potenzielle zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien zwar nicht die primäre Atlas-Zielgruppe, könnten diesen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz aber dennoch in Augenschein nehmen. Da könne eine geringe Zahl an Abteilungen – und damit an Möglichkeiten – ein Haus durchaus weniger attraktiv wirken lassen als eine höhere: In Zeiten des Fachkräftemangels nicht wünschenswert.

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