Siegen. Dorothee Zabel-Dangendorf ist Seelsorgerin an der DRK-Kinderklinik Siegen. Oft ist das sehr hart, doch ihr Beruf hat auch viele schöne Seiten.

Auf die Frage nach dem „Warum?“ hat auch Dorothee Zabel-Dangendorf keine Antwort. Die evangelische Pastorin ist Seelsorgerin in der DRK-Kinderklinik, und wenn Eltern sich mit der Frage quälen, warum ausgerechnet das eigene Kind eine schwere Krankheit hat, vielleicht sogar daran sterben muss, „dann sage ich, ich verstehe es auch nicht“. Aber die 54-Jährige ist da, sie hört zu. Wichtiger als das Bemühen, das Unfassbare zu verstehen, sei der Versuch, es „gemeinsam auszuhalten“; Wege zu finden, um mit der Situation umgehen und für das Kind da sein zu können.

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Seit 2006 ist Dorothee Zabel-Dangendorf Seelsorgerin in der Kinderklinik. Sie hat eine halbe Stelle, angestellt ist sie beim Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein. „Begleitung“ würde sie als Überschrift für ihre Tätigkeit wählen, sagt sie – auch „geistliche Begleitung“, das liegt in ihrem Beruf begründet. Doch „ob die Menschen diese Ressource in Anspruch nehmen wollen, entscheiden sie selbst. Mein Job ist nicht, zu missionieren.“ Die Pastorin macht unabhängig von Religiosität, Konfession oder Glaubensrichtung allen Patientinnen, Patienten und ihren Angehörigen ein Angebot, ins Gespräch zu kommen. Sie gehe durchs Haus, von Station zu Station, und stelle sich vor – „wie eine Staubsaugervertreterin“, scherzt sie. Die dreifache Mutter hat zwar ein höchst sensibles Aufgabengebiet, und wie ernst sie dieses nimmt, wird in jedem ihrer Worte klar. Aber ihre Sprache ist verständlich, präzise, auch mal locker, wenn sich Dinge so am Besten auf den Punkt bringen lassen und wenn es zum Gegenüber passt.

Es ist wichtig für Kinder und Eltern zu erzählen, wer sie unabhängig von der Krankheit sind.
Dorothee Zabel-Dangendorf - Seelsorgerin an der DRK-Kinderklinik

DRK-Kinderklinik Siegen: Seelsorgerin bietet jedem ein offenes Ohr

„Die allermeisten sind froh und dankbar, wenn sie einfach mal jemand fragt, wie es ihnen geht“, berichtet sie. „Es ist für jeden Menschen positiv, gesehen zu werden.“ Kinder und Eltern hätten gerade bei schlimmen Diagnosen oft existenzielle Fragen, Ängste, Sorgen über die sie reden wollen. Die Pastorin hat ein offenes Ohr, vermittelt den Betroffenen, dass sie wahrgenommen werden, reagiert, schafft damit auch einen Rahmen, in dem die Menschen ihre Gefühle und ihr Befinden reflektieren und in Worte kleiden können. Doch auch das, was man gemeinhin „Smalltalk“ nennt und für seicht halten könnte, könne in der Kinderklinik eine bedeutende Funktion haben. Bei Patientinnen und Patienten entstehe bewusst oder unbewusst ein Gefühl von „hier bin ich defizitär“, erläutert die Seelsorgerin – das liege auch nahe, denn wenn alles in Ordnung wäre, wären die Kinder und Jugendlichen schließlich nicht dort. „Es ist wichtig für Kinder und Eltern zu erzählen, wer sie unabhängig von der Krankheit sind.“ Dorothee Zabel-Dangendorf fragt nach Hobbys, spricht über die Bundesliga, das Wetter, Urlaubspläne. Es seien „locker-fluffige Gespräche“, aber den Familienmitgliedern „tun sie sehr gut“: Denn sie richten den Blick auf die Person in ihrer Gesamtheit und auf die Normalität jenseits der Klinikmauern.

Anderer Umgang

Das Thema „Sterben und Tod“ sei „gesamtgesellschaftlich nicht mehr so ein Tabu, wie es das einmal war“, sagt Seelsorgerin Dorothee Zabel-Dangendorf. Familien mit lebensbedrohlich erkrankten Kindern würden heute mehr Unterstützung erfahren als früher. Es gibt viele Menschen, die helfen. Es ist auch Teil meiner Aufgabe, dieses Positive zu verstärken.“

Einige Eltern würden unter Schuldgefühlen leiden, wenn ihre Kinder schwer erkrankt sind. Viele würden sich auch hilflos fühlen. „Aber so hilflos sind sie gar nicht“, sagt die Pastorin, denn sie würden Dinge regeln, sich kümmern, trotz der Belastung und der Sorgen weiter funktionieren. Es sei wichtig, den Blick darauf zu lenken, um aus dem frustrierenden Ohnmachtsgefühl herauszukommen.

Es gebe auch „viel Fröhliches“ in ihrem Beruf, betont die Pastorin, „weil die meisten Kinder ja wieder gesund werden.“ Früher hielt sie noch regelmäßig Gottesdienste, das gehe jetzt aus räumlichen Gründen aber nur noch in der Kinderinsel, also auf der Wohnstation für dauerbeatmete Kinder und Jugendliche. Andere Aktionen oder besondere Angebote stellt Dorothee Zabel-Dangendorf aber regelmäßig auf die Beine. Im Dezember („da ist es schließlich besonders frustig, wenn man im Krankenhaus ist“), holte sie für drei Weihnachtskonzerte Musikerinnen und Musiker ins Haus. Sie zogen über die Stationen und sangen Weihnachtslieder. Wer wollte, konnte mitsingen. Sie geht auch schon mal mit einem Bauchladen mit Bastelsachen durch die Zimmer. Manchen Kindern und ihren Angehörigen sei schlicht „sturzlangweilig“, da sei Beschäftigung sehr willkommen. Solche Ablenkung vom Klinikalltag sei ebenfalls Seelsorge. Und dabei ergäben sich oft auch Unterhaltungen, in denen Ängste oder Nöte zur Sprache kämen.

Kinder wollen ihre Eltern oft schützen.
Dorothee Zabel-Dangendorf - über die Schwierigkeiten, in der Familie über lebensbedrohliche Diagnosen der Kinder zu sprechen.

„Knifflig“ ist ein Begriff, mit dem Dorothee Zabel-Dangendorf die Herangehensweise in ihrem Job beschreibt. Die Pastorin hat ihre Überzeugungen, ihre persönlichen Wahrheiten. „Ich als Pfarrerin: Das bringt es mit sich, dass noch jemand im Raum ist“, sagt sie. Sie glaube daran, „dass Gott die Menschen begleitet, dass er bei ihnen ist“. Aber als Seelsorgerin stelle sie sich auf ihr Gegenüber ein. Die Kontrolle über das Gespräch hätten immer die Kinder und Eltern. Sie allein würden entscheiden, was und wie viel sie erzählen, worüber sie reden möchten. Fingerspitzengefühl ist also gefragt. Jemand habe dieses Vorantasten einmal mit einer Amöbe verglichen, sagt Dorothee Zabel-Dangendorf: Vorsichtig werden Arme ausgestreckt, um zu testen, wo es Andockpunkte gibt. Wenn man Amöben eins lassen muss: Ihre Art der Fortbewegung ist seit mehr als 200 Millionen Jahren ein Erfolgsmodell.

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Wie offen innerhalb einer Familie kommuniziert wird, sei individuell unterschiedlich, „wir können da nichts vorschreiben“. Wenn klar sei, dass das Kind sterben müsse, könne sich die Konstellation ergeben, dass dies zwar alle wissen – dass aber keiner darüber redet. „Kinder wollen ihre Eltern oft schützen“, sagt Dorothee Zabel-Dangendorf. Manche Väter oder Mütter wiederum wollten nicht, dass das Unausweichliche thematisiert wird. Die Erfahrung zeige, dass ein solcher Umgang sowohl in der Gegenwart als auch langfristig für gewöhnlich mehr Probleme schaffe, als Offenheit es getan hätte. Doch auch hier gilt: Die Entscheidung liegt in den Familien, „das muss ich respektieren und aushalten“. Den Betroffenen steht die 54-Jährige aber so oder so zur Seite. Wenn Kinder beispielsweise nicht wüssten, wie sie mit ihren Eltern das direkte Gespräch starten können, weil das wirklich schwerfallen kann: Vielleicht hilft es, ein Bild zu malen oder einen Brief zu schreiben, um einen Einstieg zu finden.

„Es kommt viel mehr darauf an, was man einander gibt.
Seelsorgerin Dorothee Zabel-Dangendorf - beobachtet bei vielen Familien mit schwerkranken Kindern eine Verschiebung der Prioritäten: weg von Materiellem und hin zum Miteinander

Seelsorgerin an der DRK-Kinderklinik Siegen: Was ist wirklich wichtig im Leben?

Oft habe sie beobachtet, dass sich aufgrund der schrecklichen Erfahrung, die eine lebensverkürzende Erkrankung des Kindes bedeutet, in Familien etwas Grundlegendes ändert. „Werte verschieben sich“, berichtet die Seelsorgerin. Der Fokus rücke auf die Frage, was eigentlich wirklich wichtig sei im Leben. Das Auto? Der teure Urlaub? Was die Nachbarn denken? „Es kommt viel mehr darauf an, was man einander gibt“, bringt Dorothee Zabel-Dangendorf die Erkenntnis auf den Punkt, die viele Menschen in der Extremsituation gewinnen würden.

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In den 18 Jahren, die sie den Job in der Kinderklinik bereits macht, habe ihr nur eine Handvoll Menschen zu verstehen gegeben, dass sie keine Gespräche mit ihr wünschen. Sie findet einen Draht zu Christen, Atheisten, hat viel Kontakt zu muslimischen Familien, entdeckt nahezu immer einen Zugang. Mit den Schicksalen umzugehen, ist oft nicht leicht. „Man nimmt Dinge mit nachhause“, räumt Dorothee Zabel-Dangendorf ein. „Manchmal ist ein Tag einfach hinüber.“ Was ihr helfe, sei das Gebet. „Und das Gefühl: Ich kann meinen Teil tun.“

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