Kreuztal. Frauen-Geschichtswerkstatt legt Buch über Kreuztalerinnen vor, die Stadtgeschichte geschrieben haben - aber meist vergessen werden. Ein Hit.

Die Bücher werden Monika Molkentin gerade aus den Händen gerissen, auch bei Ria Siewert im Stadtarchiv ist die Nachfrage groß. Die Stadtarchivarin hatte für den siebten Band der „Kreuztaler Rückblicke“ zu einer überschaubaren Produktion von 150 Exemplaren geraten – Geschichte trifft eigentlich auf ein eher speziell interessiertes Publikum. Bei den „Frauen in Kreuztals Stadtgeschichte“ ist das ganz anders. „Wir müssen schon über eine zweite Auflage reden“, berichtet Monika Molkentin.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Die städtische Gleichstellungsbeauftragte ahnt, dass sie und ihre Frauen-Geschichtswerkstatt einen Nerv getroffen haben. Frauen habe bisher kaum einen Platz in der Kreuztaler Stadtgeschichte, sie werden selten geehrt und ausgezeichnet, nicht mit dem Verdienstkreuz (bis auf 14) und schon gar nicht mit der Ehrenbürgerwürde, und auf ein Straßennamenschild hat es bisher erst eine Frau geschafft, nämlich die Malerin Hanna Achenbach (aber 57 Männer). Das druckfrische Buch kommt also völlig ohne Altbekanntes aus: „Es sind viele Überraschungseier drin.“

2018 hatte Monika Molkentin die Idee, 2019 kam die Frauen-Geschichtswerkstatt erstmals zusammen. „Ich hatte so drei Jahre geplant …“, erzählt sie. Nicht nur die Pandemie kam dazwischen. Auch die Fülle der Themen übertraf die ersten Vorstellungen bei weitem. Viele haben erzählt, die meisten haben das schriftlich Festgehaltene bestätigt, nur ein Interview wurde zurückgezogen. Dass es jetzt über 370 Seiten geworden sind, liegt nur an dem selbst gesetzten Redaktionsschluss. Es kann weiter gehen, dann allerdings mit Monika Molkentin im Ehrenamt. Ende August geht die Gleichstellungsbeauftragte nach 20 Jahren Dienstzeit in Rente.

Außerdem

Weitere Kapitel in „Frauen in Kreuztals Stadtgeschichte“ sind Sportlerinnen, Künstlerinnen, Autorinnen und Kommunalpolitikerinnen gewidmet. Berichtet wird über Hebammen, brauende Frauen und Engagierte in Frauenverbänden, über die Kreuztalerin Gundula Roßbach, die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, und über Kreuztals erste Stadtbaurätin Christian Eckstein.

Die Siegenerin Traute Fries, Ehrenvorsitzende des Aktiven Museums, steuert einen Beitrag über die von den Nazis ermordeten Schwestern Rosenhelm aus Krombach bei, in einem weiteren Aufsatz geht es um Zwangsarbeiterinnen. In einem eigenen Kapitel wird über Kreuztaler Frauen in Sagen und Legenden berichtet, begonnen beim „Fräulein vom Kindelsberg“.

Zur Geschichtswerkstatt gehören Monika Molkentin, Stephan Hahn, Heike Siebel, Rosemarie Weickenmeier und Adele von Bünau. Unterstützt haben Stadtarchivarin Ria Siewert und Linda Donalies, die Leiterin der Stadtbibliothek.

Das Buch kann im Rathaus und im Stadtarchiv gekauft und im Buchhandel bestellt werden.

Allein drei Ausstellungen in der Stadtbibliothek und eine Broschüre über Alma Siedhoff-Buscher, die in Kreuztal geborene Bauhaus-Designerin, liegen auf dem Weg, Die Frau, Spezialistin für Spielzeug und Kindermöbel, kämpft bei Walter Gropius in Dessau vergeblich um eine Festanstellung. Ohre Prominenz, berichtet Monika Molkentin, „bleibt hier ohne Nachhall.“ Was sie mit vielen anderen Frauen gemein hat.

Wer bekannt ist

Berta Isselmann (1899-1997), Predigerin, Klavierlehrerin, Autorin, Sozialarbeiterin
Berta Isselmann (1899-1997), Predigerin, Klavierlehrerin, Autorin, Sozialarbeiterin © privat | Privat

Doch, es gibt außer Alma Siedhoff-Buscher weitere Frauen, die in der Kreuztaler Stadtgeschichte einen Platz haben. Die Kredenbacherin Berta Isselmann zum Beispiel, 1997 im Alter von 99 Jahren verstorbene Missionarin der Süd-Ost-Europa-Mission, als Predigerin in einem Männerberuf, zugleich Sozialarbeiterin und Klavierlehrerin.

Gisela Achenbach (1929-1978), Spatenforscherin und SPD-Ratsfrau
Gisela Achenbach (1929-1978), Spatenforscherin und SPD-Ratsfrau © Archiv Ulrich Achenbach | Archiv Ulrich Achenbach

Oder Gisela Achenbach, „Spatenforscherin“ und SPD-Ratsfrau aus Ferndorf, die zunächst im Zitzenbachtal und später auf dem Altenberg archäologische Arbeit leistete - die erst lange nach ihrem Tod auch von den akademischen Profis gewürdigt wird. Ihr Sohn Ulrich Achenbach ist im Gespräch mit Monika Molkentin sehr offen: Bevor seine Mutter mit 48 Jahren 1978 an Brustkrebs starb, suchte sie für ihren Mann eine neue Frau, ihre „Nachfolgerin“ .

Dr. Ursula Stoewer (1915-1997), Augenärztin
Dr. Ursula Stoewer (1915-1997), Augenärztin © privat | Privat

Schließlich die Papageien züchtende Augenärztin Ursula Stoewer, die die erste Augenarztpraxis im nördlichen Siegerland führte, 1997 gestorben. „Kein Grabstein erinnert hier mehr an sie, keine Gedenktafel“, bedauert Stephan Hahn.

Charlotte Wilhelmine Dresler (1875-1969, Mitte) und Mitglieder des Frauenvereins.
Charlotte Wilhelmine Dresler (1875-1969, Mitte) und Mitglieder des Frauenvereins. © Stadtarchiv Kreuztal | Stadtarchiv Kreuztal

Und Charlotte Wilhelmine Dresler, 1969 gestorben, eine der sechs Töchter von Clementine und Wilhelm Adolf Dresler, war Gründerin der Kreuztaler Frauenhilfe und vielfältig sozial engagiert: „Ich würde mich freuen, wenn irgendwann ein Straßenname oder eine Skulptur an sie erinnern würde“, sagt Monika Molkentin.

... und wer nicht

Lieselotte Mollenhauer, heute 100 Jahre alt, ist nicht prominent. Heike Siebel, inzwischen pensionierte Lehrerin, hat sie kennen gelernt, als sie in den Semesterferien in Eichen bei der Post jobbte: „Sie war schon alt, als ich noch studierte.“ Jetzt hat sie erzählt: Wie sie aus der DDR geflüchtet ist, in Littfeld zunächst mit ihrer Familie in dem Barackenlager bei der Grube Victoria wohnte, eine Stellung in der Küche der Dahlbrucher Privatklinik von Dr. Stelbrink fand – und schließlich Tabakarbeiterin in Welschen Ennest wurde. Bei der weiteren Recherche fand Monika Molkentin zwar Tabakarbeiterinnen, aber keine Tabakfabrik in Kreuztal, dafür jedoch Erna Steffen. Tabakwaren-Großhändlerin aus Buschhütten, die ihr Geschäft in den 1920er Jahren begründete. Ihre Enkelin Ingrid Stähler hat diese Lebensgeschichte aufgeschrieben.

Ich würde mich freuen, wenn irgendwann ein Straßenname oder eine Skulptur an sie erinnern würde.
Monika Molkentin über Charlotte Wilhelmine Dresler

Rosemarie Weickenmeier ist auch Geschäftsfrau, gebürtig aus Karlsruhe, kommt 1973 mit ihren Mann nach Kreuztal, will nicht nur Hausfrau und Mutter sein. Sie arbeitet als Verkäuferin in Modegeschäft, macht sich schließlich 1997 mit ihrem „Wäschestudio Rose“ selbstständig. Überall, wo es naheliegt, ist sie auch ehrenamtlich aktiv: erst im Fußballverein von Ehemann und Söhnen, dann im Werbering, bei der Organisation von Weindorf und Weihnachtsmarkt. Das eigene Geschäft hat sie aufgegeben, das Arbeiten nicht: Beim „Lichterglanz“ im Advent in Dreslers Park hat sie einen Glühweinstand, im Buschhüttener Freibad sitzt sie seit zwölf Jahren Sommer für Sommer an der Kasse. „Und vielleicht eröffne ich mit 80 Jahren nochmal ein Wäschestudio“, sagt die 79-Jährige, „dann aber online.“ Sie ist die einzige Mitautorin der Geschichtswerkstatt, die mit dem Buch zugleich selbst Teil der Stadtgeschichte wird.

Hanife Bilge (*1956), Sozialraumexpertin in der Fritz-Erler-Siedlung
Hanife Bilge (*1956), Sozialraumexpertin in der Fritz-Erler-Siedlung © Monika Molkentin | Monika Molkentin

Schließlich Hanife Bilge, 1956 in Kutuhaya in der Türkei geboren, 1970 zu Vater und Bruder nach Kreuztal nachgezogen, 1972 folgen Mutter und ein jüngerer Bruder. Sie ziehen 1971 in eine Neubauwohnung in der Erlersiedlung. Hanife führt den Haushalt, arbeitet in den Hilchenbacher Lederwerken, später als Verkäuferin und in Putzstellen. Sie heiratet 1976, bringt eine Tochter und einen Sohn zur Welt. Sie wird Stewardess, er Fachinformatiker bei BMW. Die stolze Mutter engagiert sich im Stadtteilbüro, baut die deutsch-türkische Frauengruppe auf, pflegt den kranken Ehemann und ist bei der Uni gefragte Sozialraumexpertin. Auf ihre Siedlung lässt sie nichts kommen – obwohl: „Früher lebten die Menschen in der internationalen Siedlung ohne Hass miteinander, es gab viele freundliche Leute, die sich gegenseitig unterstützten. Heute sind viele Zugezogene aus unterschiedlichen Herkunftsländern so kalt. Der Zusammenhalt fehlt immer mehr.“

Wie Frauen Schule machen

Neben ihr gehören die Eichenerin Heike Siebel und der Kredenbacher Stephan Hahn zum Autorenteam von Monika Molkentin, die von Lektorin Adele von Bünau unterstützt wurde. Ein „spannendes Kapitel“, so findet die pensionierte Lehrerin Heike Siebel, ist auch das über ihre Berufskolleginnen. „Weil junge Menschen sehr individuelle Erfahrungen machen.“ Sophie Neuköther war Konrektorin an der evangelischen Volksschule in Eichen, „streng, aber gerecht“, heißt es in dem Buch. Und „Fräulein“: „Aufgrund des bis in die 50er Jahre hinein geltenden ‚Lehrerinnenzölibats‘ durften nur Frauen unterrichten, die nicht verheiratet waren.“

Mehr zum Thema

Evelyn Bever, gebürtige Berlinerin, wurde 1967 erste weibliche Schulleiterin in Kreuztal, in der katholischen Volksschule in Kreuztal und später an der katholischen Grundschule auf dem Dörnberg; ihr wichtiges Ehrenamt war das der „Chronistin“ im Siegerländer Weinkonvent. Schließlich Hanne Lore Hartmann, Rektorin an der neuen Eichener Grundschule und schließlich in der Schulaufsicht Schulamtsdirektorin: „Sie konnte auch mal laut werden … Körperstrafen mit dem Rohrstock gab es eher von ihren männlichen Kollegen.“

Wo Männer gescheitert sind, sollten Frauen es retten.
Monika Molkentin

Wer das Geld verdient

Dass die Geschichtswerkstatt auf eine ganze Reihe Geschäftsfrauen und Unternehmerinnen gestoßen sind, wundert die Autorinnen nicht. Dr. Gabriele Barten berichtete über ihre Arbeit an der Spitze von Achenbach Buschhütten, Anne Katrin Schreiber gab Auskunft über ihre Großmutter Lieselotte Bub, die ein eigenes Farbengeschäft an der Kreuztaler Kreuzung hatte und nach dem Tod ihres Mannes Ernst auch die Lackfabrik in Ferndorf leitete. Heike Siebel erinnert sich an viele kleine Einzelhandelsgeschäfte, die von Frauen geführt wurden. „50 sind mir spontan eingefallen“, bestätigt Rosemarie Weickenmeier. Darunter ist auch der eine oder andere Betrieb, bei dem die Geschäftsführung erst später auf die Ehefrauen übergegangen ist. Monika Molkentin: „Wo Männer gescheitert sind, sollten Frauen es retten.“ „Zum Teil sind sie auch freiwillig hinter ihre Männer zurückgetreten“, weiß Heike Siebel. Manchmal gab es dann Überraschungen, dass der Hauberg gar nicht dem Mann, sondern der Frau gehörte.

Ebenfalls mit im Team: Stephan Hahn.
Ebenfalls mit im Team: Stephan Hahn. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Was offen bleibt

Offene Themen? „Wir würden uns sehr gern noch mit Prostitution befassen“, sagt Monika Molkentin, „aber da werden einem die Türen nicht so ohne weiteres geöffnet.“ Ob die „Tänzerin“, die Stephan Hahn als Bewohnerin des auf Kreuztaler Gebiet stehenden Dahlbrucher Bahnhofs entdeckt hat, da weiterführt, ist ungewiss. „Das bleibt abenteuerlich.“ Vier Frauen wurden 1653 in Kreuztal bei lebendigem Leib als Hexen verbrannt. Anders als in Hilchenbach und Freudenberg wurden sie bis heute nicht rehabilitiert. „Die Politik könnte das Thema aufgreifen.“

Zwangsarbeiterinnen in Eichen
Zwangsarbeiterinnen in Eichen © Stadtarchiv Kreuztal | Stadtarchiv Kreuztal

Weil das Buch irgendwann voll war, hat Monika Molkentin die Rückseite des Einbads entdeckt. Den ziert nun die Urkatasterkarte von Krombach aus dem Jahr 1835. Da gab es die „Herrenwiese“. Und die „Frauenwiese“. Die Frauenwiese ist von der Landkarte verschwunden. Warum? Fortsetzung folgt. Muss einfach.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++