Kreuztal. Manche Frauen aus Kreuztal sind prominent, von manchen bleiben sogar die Namen unbekannt. Eine Geschichtswerkstatt auf Schatzsuche.

Frauen in der Kreuztaler Geschichte? Nicht einmal eine einzige Ehrenbürgerin. Kein Denkmal. Kein Straßenname – jedenfalls kein vollständiger: Welche Anna ist mit dem Annaweg gemeint, welche Charlotte mit der Charlottenstraße? Frauen haben keine Namen? Natürlich doch: Manche sind noch unbekannt, manche erzählen aber sogar ihre Geschichte – um anschließend darum zu bitten, sie nicht öffentlich zu machen. Das alles passiert den Aktiven der Kreuztaler Frauen-Geschichtswerkstatt.

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Monika Molkentin-Syring, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, hat schon früh mit der Spurensuche begonnen. Seit etwa drei Jahren macht sie das nicht mehr allein: Gut eine Handvoll Mitstreiterinnen und Mitstreiter arbeiten sich durch Archivalien und Literatur, Erzählungen und Erinnerungen.

Die Bauhaus-Frau

Alma Siedhoff-Buscher, 1899 in Kreuztal geboren, ist die bisher Prominenteste. Sie studierte bei Paul Klee und Wassily Kandinsky am Bauhaus in Weimar, machte Karriere. Sie war Kunsthandwerkerin, Tischlerin, Möbeldesignerin und Spielzeugentwerferin. Ihr Schiffsbauspiel wurde berühmt und wird bis heute produziert. Ein Exemplar hat sich Heike Siebel gesichert, die ebenfalls in der Geschichtswerkstatt mitmacht. Dem Kredenbacher Stephan Hahn, der selbst Architektur und Städtebau studiert hat, war der Name bekannt: „Aber mit Kreuztal hätte ich sie nicht in Verbindung gebracht.“

Jugendliche haben in einem von Linda Donalies, der Leiterin der Stadtbibliothek, initiierten Projekt eine Graphic Novel über die Bauhaus-Frau aus Kreuztal gezeichnet. „Ein erster Aufschlag, der aufgrund der Corona-Einschränkungen relativ unbeachtet blieb“, berichtet Monika Molkentin-Syring. Erstes richtig großes Projekt wird eine Ausstellung mit Kulturamt, Archiv und Stadtbibliothek. „Vielleicht klappt das mit der Ausstellung noch dieses Jahr.“ Folgen sollen Veröffentlichungen zusammen mit dem Stadtarchiv.

Spatenforscherin

„Ich habe mal das Heimatregal in der Bibliothek durchforstet“, berichtet Monika Molkentin-Syring, „da bin ich ich zwangsläufig auf Gisela Achenbach gestoßen.“ Die Heimatforscherin war archäologisch aktiv, die „Spatenforscherin“ ist für ihre Funde aus der Eisenzeit in der Ferndorfer Zitzenbach und auf dem Altenberg auch den Profis der LWL-Archäologie noch ein Begriff. Sie war in den 1960er und 1970er Jahren aktiv. Stephan Hahn: „Wir sind auf der Suche nach Zeitzeugen, die mit ihr zusammengearbeitet haben.“ Vielleicht ehemalige Studenten, die von Gisela Achenbach zu durchaus anstrengender Arbeit angehalten wurden?

Über die Ausgrabungen kam die Frage nach Frauen auf, die zu Beginn des Bergbaus im Bergwerk gearbeitet haben, womöglich unter Tage. Wie war das zu Zeiten des keltischen Einflusses? Die Gleichstellungsbeauftragte aus Kreuztal hat die Novelle entdeckt, die die Herdorferin Maria Homscheid 1921 veröffentlicht hat. Unter der Überschrift „Glanzdam“ (Beschimpfung) hat das „Haldenmädchen“ – so bezeichnete die Autorin selbst ihren Beruf – auch über die schwere, in der Bevölkerung verachtete Arbeit und über sexuelle Belästigung unter Bergleuten berichtet. Der oftmals lange Heimweg wurde den Frauen schwergemacht, die so dringend auf das wenige Geld angewiesen waren, dass sie nicht fernbleiben konnten.

Brauende Hausfrauen

Bierbrauen war Frauensache: Über die Geschichte der Ausgraben konnte der Bogen zu den Germanen und keltischen Einflüssen ins Siegerland geschlagen werden. Bierbrauen war bei den Germanen (und Kelten?) Frauensache. Backen und Brauen gehörten zusammen. Bier war ein alltägliches Nahrungsmittel. Am Altenberg sind aber keine Hinweise auf Brauvorgänge gefunden worden. „Die regionale Braukunst ist fast so alt wie das Siegerland selber. Anfänglich war es vergorenes Brot, bis schließlich 1316 erstmals urkundlich belegt im Stift Keppel zu Hilchenbach das erste Bier im heutigen Sinn mit einer eigenen, unverwechselbaren Note hergestellt wurde“, sagt Monika Molkentin-Syring. Die in Stift Keppel lebenden Nonnen haben Bier gebraut. „Die genaue Kenntnis des Brauverfahrens als elementare Hausfrauenpflicht wie Spinnen, Weben und Kochen gehörte sogar amtlich zu den Lehrfächern der Internatsschule.“ Braukessel gehörten noch im 18. Jahrhundert in Westfalen zur Mitgift einer Frau. Gibt es auf den Ollern historischer Häuser noch Relikte? Monika Molkentin-Syring: „Das wird noch spannend.“

Augenärztin

Stephan Hahn hat die Lebensgeschichte der Augenärztin aus Kredenbach aufgeschrieben, die 1915 in Bochum geboren, 1947 in Bonn promoviert wurde und 1957 nach Kreuztal kam. Stephan Hahn hat das gemacht, was er für seine „Kredenbacher Fundstücke“ immer tut: herumgefragt, sich von einer Zeitzeugin zur nächsten reichen lassen, bis er, fast ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod, das Bild wieder herstellen kann. Denn, so leitet er seinen Text über Ursula Stoewer ein: „Kein Grabstein erinnert hier mehr an sie, keine Gedenktafel; entfernte Verwandte leben weit außerhalb ihres letzten Wirkungskreises.“

Tabakarbeiterin

Drei Frauen waren 1952 noch mit der Berufsbezeichnung „Tabakarbeiterin“ im Adressbuch verzeichnet. Eine vierte, Liselotte Mollenhauer, mittlerweile 97 Jahre alt, hat ihre Lebensgeschichte erzählt. Wie sie in Welschen Ennest in der Tabakfabrik arbeitete, später bei der Krombacher Brauerei. Und den allmählichen sozialen Aufstieg schaffte, vom Holzhaus in Burgholdinghausen bis zum Eigenheim in Eichen. Zu sichten gibt es auch noch den Koffer, den die Enkelin von Erna Steffens, der Tabak-Großhändlerin aus Buschhütten, der Geschichtswerkstatt überlassen hat.

Hebammen

Eine Buschhüttenerin, 1880 geboren, war 50 Jahre lang Hebamme in Kreuztal. Sie wurde für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, „dazu ist es aber nicht gekommen“, berichtet Monika Molkentin-Syring, die Unterlagen im Stadtarchiv gefunden hat. Warum? „Es wäre toll, wenn sich jemand darum kümmern könnte.“ Die Geschichtswerkstatt sucht Mitstreiterinnen wie Rosemarie Weickenmeier, die von Anfang an dabei ist und den Stoff liefert, aus dem die Geschichten werden – besonders gern über Frauen, die in Kreuztal – wie sie – Geschäfte geführt haben: Sie weiß sicher, da ist noch viel Potenzial vorhanden.

Die Geschichtswerkstatt braucht aber auch Leute, die Aufgaben übernehmen und ausführen. Im Falle der Hebammen jemanden, der Sütterlin-Handschrift entziffern kann. Die Geisweiderin Traute Fries wurde gewonnen, über die Schicksale von Johanna Rosenhelm und ihre Schwestern zu schreiben, an die in Krombach ein Stolperstein erinnert. Und der Hilchenbacher Christian Gerhard steuert einen Beitrag über die Frauen von Junkernhees bei – er ist im Verein zur Erhaltung des Schlosses aktiv und hat sich mit dessen Geschichte bereits intensiv befasst.

Tänzerin

Stephan Hahn nutzt Adressbücher als Quelle. In Kredenbach hat er eine Tänzerin gefunden, die mit ihrer Familie in der Bahnhofsgaststätte (des auf Kredenbacher Gemarkung stehenden Dahlbrucher Bahnhofs) wohnte. „Vielleicht Bombengeschädigte aus Berlin.“ Stephan Hahn würde gern mehr erfahren. „Da bleiben wir dran.“ Viele Frauen sind nach dem Krieg allein nach Kreuztal gekommen, geflüchtet, ausgebombt, vertrieben. Haben sich in Kreuztal eine neue Existenz aufgebaut, oft aber keine neue Familie. „Sie wurden nie wirklich gewürdigt“, sagt Stephan Hahn, der die Suche nach den Spuren dieser vergessenen Frauen auf dem Friedhof aufnimmt: bei den fremd klingenden Namen auf den Grabsteinen. Erste Ansprechpartnerin war seine Mutter, Lotti Hahn, die bei Bäcker Fischer in Kredenbach gelernt hat: „Sie kannte jeden.“

Hexen

Eines der neueren Themen, denen Monika Molkentin-Syring nachgeht. 1653 wurde die Kredenbacherin Barbara Stoever, „Guckucksche“ genannt, als Hexe verbrannt, „ihr Haus steht noch.“ Insgesamt wurden drei Kreuztaler Frauen und ein Mann, alle namentlich bekannt, auf dem Scheiterhaufen umgebracht. In der Regel unter Vorwänden, tatsächlich ging es nämlich immer um Geld und Macht.

Zwangsarbeiterinnen

Heike Siebel hat Fotos von Stadtarchivarin Ria Siewert erhalten – die Geschichten dazu wollen erforscht und festgehalten werden.

Demnächst erste große Ausstellung

Eine ganze Reihe von Kreuztalerinnen hat Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Viele, vorerst nur für den Familiengebrauch, sind in Schubladen verborgen. Manche liegen aber auch schon gebunden auf dem Tisch der Kreuztaler Frauen-Geschichtswerkstatt. „Marianne, du musst“ von Marianne Zimmermann zum Beispiel, „100 Gramm Gänseblümchen“ von Lotti Hahn, die Bändchen von Dora Salzmann aus Kredenbach. Davon muss es noch mehr geben, glaubt Monika Molkentin-Syring.

„Hoch spannend“, sagt Stephan Hahn wäre auch die Beschäftigung mit Frauen in der Landwirtschaft – denen, die Höfe selbst geführt haben. So geht das in der Frauen-Geschichtswerkstatt: Die Ideen fliegen über den Tisch, „das ergibt sich so“, sagt Stephan Hahn, „die Arbeit soll ja auch Spaß machen.“ Dem pflichtet Rosemarie Weickenmeier lachend bei: „Ich liefere – und ihr schreibt.“

So wird das Mitmachen ganz unkompliziert. „Und man lernt nette Leute kennen“, sagt Stephan Hahn. Monika Molkentin-Syring freut sich auf die erste Ausstellung. Denn das wird auch eine Gelegenheit sein, weitere Mitstreitende zu werben. Für ein aufregendes Projekt: „Das ist wie Schatzsuche. Denn die männlich dominierte Geschichtsschreibung hat die Frauen zu oft bewusst ausgeblendet oder vergessen.“

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