Kreuztal/Siegen. Mit Eisen und Stahl lebt die Siegen-Kreuztaler Familie. Rubens, der Kindelsberg und eine unerfüllte Liebe gehören auch zu ihrer Geschichte.
Mit einer Geschichte über 17 Generationen ist die TCC, The Coatinc Company, das älteste Familienunternehmen Deutschlands. Was die mit Dreslers Park und den Geisweider Stahlwerken, mit Peter Paul Rubens und Leonhard Gläser, mit der Siebau und der SMS group zu tun hat? Der Historiker Peter Vitt durfte eine außergewöhnliche Siegerländer Familiengeschichte aufschreiben, die durch die Jahrhunderte immer mit Eisen und Stahl verbunden ist.
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Wie die Familie Geschichte macht
Paul Niederstein ist heute geschäftsführender Gesellschafter der TCC, die in Kreuztal einen ihrer 22 Standorte hat. Der 49-Jährige ist nicht der Erste in der Familie, den außer Wirtschaft und Technologie auch die Geschichte seiner Vorfahren interessiert. Emmy Dresler, eine Tochter seines Ururgroßvaters Heinrich Adolf Dresler, hat nach dem ersten Weltkrieg eine erste Familiengeschichte herausgegeben. Klaus Niederstein, Paul Niedersteins Vater, ließ 2008 und 2018 Bücher veröffentlichen, die sich vor allem auf die Entwicklung der Verzinkereien vom 19. bis ins 21. Jahrhundert konzentrierten. Paul Niederstein legte 2020 zwei sehr persönliche Bände vor: die Tagebücher von Luise Dresler, die 1896 Alfred Niederstein, seinen Urgroßvater, geheiratet hatte. Und nun das wohl umfassendste Werk: Zwei Bände „Über die Zeiten hinweg“, die die Geschichte der Unternehmerfamilien von Beginn an dokumentieren.
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Der Saal in der Weißen Villa in Dreslers Park (Niederstein: „Das Wohnzimmer meines Ururgroßvaters“) ist rappelvoll. IHK- und Sparkassenspitzen und der Siegener Bürgerneister Steffen Mues sitzen in der ersten Reihe, Unternehmerkollegen, ehemalige Mitarbeiter, Archivare und Geschichtsinteressierte sind in Scharen gekommen. Paul Niederstein, der für die 17. Dresler-Generation steht, bekommt Beifall für klare Worte: Natürlich wird die Rolle der SAG im Dritten Reich, mit Zwangsarbeitern und Waffenproduktion, nicht ausgespart. „Das war mir wichtig, alles andere wäre Geschichtsklitterung.“ Und ja, die TCC nimmt seit dem Afghanistan-Krieg keine Rüstungsaufträge mehr an. „Unser Unternehmen hat in ausreichendem Maße zu Krieg und Aufrüstung beigetragen. Wir haben unser Soll erfüllt.“
Wie die Chronik entsteht
Dr. Peter Vitt durfte den gewaltigen Stoff recherchieren und aufbereiten. Der studierte Betriebswirt hat in einer zweiten Laufbahn nach den aktiven Berufsleben Geschichte studiert; mit 65 wurde er 2014 mit seiner Arbeit zur „Industrialisierung des Siegerländer Amtsbezirks Netphen in der preußischen Zeit 1815/16 bis 1946“ promoviert. Zu Paul Niederstein kommt Peter Vitt auf einem Umweg. „Er wusste gar nicht, dass ich bei der SAG war.“ Damals 1973 bis 1979, nach dem Studium als erster Vorstandsassistent von Werner Niederstein und späterer Verkaufsleiter der Siegener Verzinkerei. Aber der „BMV-Kreis“ erinnert sich, die Herren aus den „Besprechungen mit dem Vorstand“. Vor vier Jahren bekommt Peter Vitt den Auftrag und beginnt, das Material zu sichten. Neben dem Archiv der Familie ist das Stadtarchiv Kreuztal eine wichtige Quelle – nicht, weil es in der Gelben Villa in Dreslers Park sitzt, aber wohl, weil die Villen und der Park für den Beginn der Kreuztaler Dresler-Geschichte stehen. „Der zweite große Teil des Nachlasses befindet sich im Wirtschaftsarchiv Dortmund“, berichtet Peter Vitt. Auch das Hilchenbacher Stadtarchiv sucht er auf, und das Firmenarchiv des SMS group in Dahlbruch: „Die Dreslers waren eng verbandelt mit den Kleins.“ Die wiederum ihre Maschinenfabrik an Carl Weiss verkauften. Weshalb die SMS group gerade 150-Jähriges feiert. Die Villa Klein am Hohler Weg in Siegen wurde in den 1980er und 1990er Jahren als „Villa Waldrich“ ein wichtiger Ort für Kunstausstellungen.
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Wie Dreslers groß werden
TCC, The Coating Company, gibt 1502 als ihr Entstehungsjahr an. Da war Heylmann Dresseler Meister der Stahlschmiedezunft in Siegen. Sohn Godhard baut Kanonen, Enkel Johann hat einen Eisen- und Reckhammer und besitzt bereits eine Reihe von Häusern in der Oberstadt. Auf einem Gemälde, das bis zum 2. Weltkrieg im Ratssaal hing, ist Hermann Dressler (der Name wird immer wieder mal anders geschrieben) verewigt, wie er 1658 Fürst Johann Moritz verabschiedet, der nach einem Besuch in Siegen zur Kaiserwahl nach Frankfurt aufbricht. Hermann war, wie die meisten Dreslers, Ratsherr und, wie viele Dreslers, auch Bürgermeister. „Sozusagen die älteste bildliche Darstellung eines Dreslers“, sagt Peter Vitt.
Die Dreslers haben Bergwerke und Stahlhütten, sind eine Zeitlang auch im Textilgewerbe engagiert betreiben eine Wolltuchmacherei, eine Färberei, eine Baumwollspinnerei. Hier unternimmt Peter Vitt einen Ausflug zu Johann Heinrich Gläser, mit den konkurrierenden Dreslers „in inniger Feindschaft“ verbunden, bis der Konflikt auf die übliche Weise aufgelöst wurde: „Man hat geheiratet.“ Marie Gertrud, die Tochter von Johann Heinrich Gläser, ist die Mutter von Heinrich Adolf und Wilhelm Dresler. Enkel Leonhard Gläser war übrigens Stifter der Eintracht und ist Namenspatron des Gläsersaals der Siegerlandhalle. Bei dieser Gelegenheit erwähnt werden könnte auch, dass das Geburtshaus von Peter Paul Rubens in der Burgstraße den Dreslers gehörte, ebenso das Zeughaus und das Jesuitenkolleg, in dem heute der evangelische Kirchenkreis residiert - die Geschichte der Dreslers, ein weites Feld.
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1769 wird die Firma Johann Heinrich Dresler gegründet. Sie ist der Kern des weiteren Entwicklung, zu der 1854 der Kauf des Walzwerks in Kreuztal gehört, das Heinrich Adolf Dresler, auch Landtags- und Reichstagsabgeordneter, zum Draht- und Puddelwerk umbaute. Der Kreuztaler Zeit der Familie ist der zweite Band gewidmet. Mit ihr einher geht der Bau der Villen, zunächst 1860 der Bau der Weißen Villa, in der zunächst beide Brüder, Heinrich Adolf und Wilhelm, mit ihren Familien lebten, bevor Wilhelm 1884 nach nebenan in die neu erbaute Gelbe Villa umzog – Heinrich Adolf und Clementine, Tochter von Wilhelm Klein (Maschinenfabrik Klein, heute SMS group Dahlbruch) hatten mittlerweile elf Kinder.
Und auch hier fallen wieder Namen, weitet sich das Feld: Nach Hilchenbach reichen die Verbindungen zu den Lederfabrikanten-Familien Krämer, Hüttenhain und von Stosch, Wilhelm Krämer war Aufsichtsratsvorsitzender der von Werner Niederstein geleiteten SAG. Von Heinrich Adolf Dresler überliefert ist sein handgeschriebenes Tagebuch als 18-jähriger Bergpraktikant im Müsener Stahlberg, an den Dresler ebenfalls Anteile hatte und das Peter Vitt demnächst als selbstständiges Werk kommentiert herausgeben wird. Sohn Adolf wurde derweil Oberförster im sauerländischen Bilstein. „Sag dem Adolf, er soll sich einen Strick kaufen und an der nächsten Hausbergseiche aufhängen, bevor er noch Olpe geht“, soll der Siegener Oberforstmeister Sorg dazu gesagt haben.
Wussten Sie eigentlich...
…. dass Emilien- und Friedrichstraße in Siegen nach den Eheleuten Emilie und Friedrich Dresler benannt sind, die der Stadt Siegen in diesem Viertel Bauplätze für 20 Häuser gestiftet haben, in die arme Leute einziehen sollten? Die Stadt hat diese Häuser nie gebaut.
… dass Wilhelm Dresler dem SGV den Bauplatz für den Kindelsbergturm geschenkt hat? Ohne ihn hätte die Krombacher Brauerei ihr Markenzeichen nicht, stellt Dr. Peter Vitt fest: „Eigentlich müsste man Wilhelmsbräu sagen.“
… dass Adolf Stoecker, der judenhassende Hofprediger, sein Reichstagsmandat von 1893 bis 1898 an Heinrich Adolf Dresler verlor? Und dass Stoecker den Kreuztaler rüffelte, er kenne die „Judenfrage“ nicht?
… dass Charlotte Dresler Karl Friedrich Diesterweg geheiratet hat und somit die Mutter des 1790 in Siegen geborenen Pädagogen Adolph Diesterweg ist?
… dass Dr. Albrecht Niederstein, Bruder des SAG-Vorstands Werner Niederstein, aus Nazi-Deutschland emigrierte? Der Kunsthändler lebte zuletzt in Frankreich, wo er 1987 als Staatenloser starb,
Wo die Liebe hinfällt
1896 heiratet Luise Dresler den Bochumer Pfarrer und Superintendenten Alfred Niederstein. Wie die beiden zusammengefunden haben, ist einer der wenigen weißen Flecken in Peter Vitts Werk. Dafür enthüllt er „Luises Geheimnis“, die Romanze mit Robert von Erdberg, der in jungen Jahren als Schauspieler in Siegen Station machte, später vor allen als Pionier des Volksbildungswesens und damit der Volkshochschulen bekannt wurde. In ihren Tagebüchern spart sie diese unerfüllte Liebe aus, im Kreuztaler Stadtarchiv entdeckt Peter Vitt den Briefwechsel.
Ihr Sohn Werner fängt 1923 bei der SAG an, der 1885 von Heinrich Adolf Dresler gegründeten „Siegener Aktiengesellschaft für Eisenkonstruktion, Brückenbau und Verzinkerei“ an, wird 1945 Chef des Vorstands. Die große Zeit des Neubaus und Wiederaufbaus von Eisenbahn- und Straßenbrücken beginnt. Auf dem ehemaligen Gelände des Kreuztaler Drahtwerks eröffnet die Siebau, die Stahlhallen und Garagen baut, als Handelsgesellschaft kommt die Kreuztaler Eisenhandlung hinzu, 1964 wird in Ferndorf die erste, 1976 die zweite Bandverzinkungsanlage eröffnet.
Zum 1. Januar 1979 wird die SAG an den Hoesch-Konzern verkauft, der wiederum von Krupp geschluckt wird und im heutigen Thyssen-Krupp-Konzern aufgeht – da, wo auch die 1846 von Johann Heinrich Dresler senior gegründeten an Thyssen und Klöckner verkauften Geisweider Eisenwerke landen, die heute Teil der Deutschen Edelstahlwerke (in Schweizer Besitz) sind.
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Wie alles wieder neu beginnt
Auf dem SAG-Gelände in Geisweid steht heute das Technologiezentrum. Klaus Niederstein, dem Sohn von Werner Niederstein, gelingt indes der Aufbau eines neuen Unternehmens. Die Verzinkerei Becker in Saarlouis war bei der Familie geblieben, diesen einen Betrieb sollte Hoesch nach dem Willen des Bundeskartellamtes nicht auch noch bekommen. 1990 bietet Hoesch den Rückkauf der anderen Verzinkereien an, es entsteht die Siegener Verzinkerei Holding, die seit 2014 als TCC, The Coatinc Company, mit 1500 Mitarbeitern firmiert – mit weltweit 24 Standorten, darunter dem Siegerländer Standort in Kreuztal, wo, bereits unter Hoesch-Regie, neben der Blefa die Siegener Verzinkerei errichtet wurde. Paul Niedersteins Mutter ist übrigens Tochter von Eugen Röller, Kreuztals erstem Stadtdirektor. Irgendwie gehört immer noch alles zusammen.
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