Siegen. Kommentar: Wer Politik für eine 100.000-Einwohner-Stadt macht, muss akzeptieren, dass es viele Lebensentwürfe gibt - und entsprechend entscheiden

Immer öfter kommt es vor, dass ich mir denke: Diese Idee könnte Siegen echt nach vorne bringen. Das ist neu und anders, unkonventionell, aber nicht zu unkonventionell – das könnte funktionieren.

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Und dann kommen die ewiggestrigen Oberbedenkenträger und verhindern es schon im Ansatz. Versuchen es zumindest. Oft genug klappt es. Vielleicht bleibt von der ungewöhnlichen Idee noch biederer Durchschnitt übrig. Und Siegen bleibt piefige Provinz.

„Brooche mer net“: So wird Siegen keine attraktive Stadt

Als politischer Beobachter und Bürger dieser Stadt muss ich mich immer öfter wundern. Und meistens auch ärgern. Die Geisteshaltung, die einige politische Entscheidungsträger offensichtlich haben, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Mein Eindruck: Es fehlt da offenbar ganz eklatant die Fähigkeit, anzuerkennen, dass es da draußen andere Lebensmodelle gibt als die eigenen. Nicht so, wie man es selber kennt und aus dem eigenen Umfeld hört, das wiederum so ähnlich lebt wie man selber. Brooche mer net.

Das ist fatal. In Siegen leben mehr als 100.000 Menschen, darunter viele Zugezogene. Siegen wächst – noch – und will weiter wachsen. Damit Fachkräfte herziehen, braucht es attraktive Arbeitsplätze und ein lebenswertes Umfeld; eine Stadt, die ganz verschiedene Lebensentwürfe ermöglicht. Junge Menschen, Familien, haben nicht nur beim Job oft die Wahl: Sie überlegen sich auch genau, in welcher Stadt sie leben wollen.

Siegen: Das sind auch viele junge und nicht mehr so junge Menschen, die Neues wollen

Über viele Dinge, die die gesamte Bevölkerung in ihrem Lebensalltag betreffen, entscheiden ein paar Dutzend gewählte Personen. Das ist richtig so. 65 Ratsmitglieder können nicht die ganze Bandbreite der Stadtgesellschaft abbilden – aber man kann von ihnen erwarten, dass sie über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Dass sie zur Kenntnis nehmen, anerkennen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen: Meine Mitbürger haben andere Bedürfnisse als ich und die Menschen, die ich kenne.

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Ich habe leider den Eindruck, dass eine nicht unerhebliche Zahl mehrheitlich in Ehren ergrauender Herrschaften im Rat so nicht denkt. Wobei das keine Frage des Alters ist. Aber ob bargeldlos bezahlen, lästige Bürgerbürotermine digital wahrnehmen oder in einem Mehrfamilienhaus leben, vor dem die Kinder gefahrlos auf der Straße spielen können, weil da so gut wie keine Autos fahren: Nehmen Sie, liebe Volksvertreter, bitte zur Kenntnis, dass es in dieser Stadt auch junge und nicht mehr so junge Menschen gibt, die sich Veränderungen wünschen, die Neues ausprobieren möchten, die das Internet als Hilfsmittel nutzen, das den Alltag leichter macht. Und die nicht jede Fahrt mit dem Auto unternehmen wollen.

Vielen Dank.