Siegen-Wittgenstein. Die Kreis-Politik gibt auf: Die Wisente sollen so schnell wie möglich verschwinden, fordern zumindest SPD und CDU. Die Entscheidung fällt im Juni.
Am Ende wird Landrat Andreas Müller massiv: Sollte der Kreisausschuss zum Umgang mit den Wisenten gar nichts beschließen, „dann ziehe ich Herrn Belke morgen ab“.
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In der Konsequenz: Der Leiter des Veterinäramts muss sich um die Herde nicht mehr kümmern, zumal mit dem Ende der Winterzeit kein tierschutzrechtlicher Anlass mehr dazu besteht. Was dann passiert, hatte Dr. Ludger Belke selbst vorher plastisch beschrieben: Die Herde wird weiter wachsen, bis sie sich teilt. Und wenn dann auch das Gatter wieder offen ist (Landrat Müller: „Das entscheidet sowieso das Verwaltungsgericht“), ist jede Chance dahin, die Wisente für einen Transport in eine neue Heimat zu greifen.
Kreisverwaltung Siegen darf sich noch weiter um Wisente kümmern
Zähneknirschend gibt der Kreisausschuss dem Landrat daraufhin den geforderten Auftrag, „die laufenden Bemühungen zur Reduzierung der Herdengröße und zu einer den Anforderungen gerecht werdenden Betreuung der Tiere in gemeinsamer Verantwortung fortzusetzen (…) und durch den Abschluss von Vereinbarungen mit den Trägern anderer Projekte im In- und Ausland, die Tiere aus der Herde (…) übernehmen könnten“. Mit dem von der CDU-Fraktion gewünschten Zusatz: „Unbenommen der Gattersituation.“
Seine Durchlaucht
Zwei Buchstaben bringen FDP-Fraktionschef Guido Müller auf die Palme: Auch in der aktuellen Vorlage der Verwaltung wird dem Namen des Eigentümers der Rentkammer Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg der Zusatz „S.D.“ vorangestellt, „Seine Durchlaucht“. Diese „Bücklings- und Höflingshaltung“ gegenüber dem Vertragspartner sei „peinlich“. Der Adel sei in Deutschland seit 1919 abgeschafft.
„Das Gleiche gilt auch in Sitzungen, wo die Verwaltung immer noch von Fürsten und Prinzen spricht“, schreibt Müller in einer Mail an den Landrat. „Auch darauf haben wir hingewiesen und es wurde zugesichert, das zukünftig zu unterlassen.“
Die Entscheidung fällt bei zwei Gegenstimmen und drei Stimmenthaltungen. Denn in zwei Punkten herrscht dann doch Konsens in der Kreispolitik: Alles zu vermeiden, das den Anschein erweckt, der Kreis übernehme das Eigentum an den Tieren – die der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein in die „Herrenlosigkeit“ entlassen hat. Und, wie es CDU-Fraktionschef Hermann-Josef Droege formuliert, „die Tiere loszuwerden“.
Niemand wagt sich an „Trägerstruktur“ für Wisent-Projekt
Die Wisent-Welt-Wittgenstein ist insolvent. Die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer hat die öffentlich-rechtliche Vereinbarung, den „Freisetzungsvertrag“, mit Kreis, Landesbetrieb Wald und Holz, Bezirksregierung und Wisent-Welt gekündigt und damit die sechsmonatige Frist zur Abwicklung des Wisent-Projekts angepfiffen. Die Naturschutzverbände verklagen den Kreis wegen des „Managementgatters“. Das Land NRW denkt nicht daran, eine führende Rolle in der ersehnten neuen „Trägerstruktur“ anzunehmen – weshalb alle anderen umworbenen neuen Partner, vom Kölner Zoo bis zur Loki-Schmidt-Stiftung, sich vornehm zurückhalten. Und ob die Tiere überhaupt irgendwem, und wenn ja: wem, gehören, wird vor Gericht geklärt.
Vor diesem Hintergrund wage niemand, vom Land bereitgestellte Fördermittel überhaupt erst zu beantragen, berichtet Umweltdezernent Arno Wied: Der Antragsteller könnte auf einmal als Eigentümer dastehen. Es geht um eine halbe Million Euro pro Jahr, die für die Fortsetzung des Projekts aufzubringen wäre, sagt Landrat Andreas Müller. Dafür einen Träger zu finden, „solange das Land sich nicht bewegt, ist schier unmöglich.“
Hans Günter Bertelmann (UWG) hat die Nase voll: „Ich habe keine Lust, mich alle zwei Monate mit dem Thema auseinanderzusetzen und keinen Schritt weiterzukommen. Wir haben noch andere wichtige Aufgaben.“ Sein Antrag allerdings, das Thema von vornherein von der Tagesordnung zu nehmen, wird zu Beginn der Sitzung denkbar knapp mit acht gegen acht Stimmen abgelehnt.
Veterinär: Wisent-Herde im Gatter ist „tiefenentspannt“
Guido Müller (FDP) will offensichtlich noch nicht aufgeben und fordert, „ein bisschen mehr Gas zu geben“. Das Gatter müsse „schnellstmöglich“ geöffnet werden. Folgen der Inzucht seien nicht zu beobachten. Dass jedes Jahr um die 15 Tiere hinzukämen, spreche für eine „starke Herde“. Die Auseinandersetzung um Herren- oder Nicht-Herrenlosigkeit Eigentum betrachtet Müller gelassen: „Irgendwann wird das Eigentum dem Land zufallen.“
Veterinär Dr. Ludger Belke berichtet derweil, dass es der eingegatterten Herde „sehr gut“ geht: „Die Tiere waren tiefenentspannt“, berichtet er von seinem Eindruck. 39 sind es mittlerweile auf 25 Hektar, bis zu 20 Kälber werden in diesem Jahr erwartet. Die Blauzungenkrankheit in Deutschland hindere war daran, die Tiere ohne weiteres in nicht betroffene Länder wie Polen zu befördern; dies sei jedoch durch eine Quarantäne überwindbar.
Für „geregelte Beendigung“ des Wisent-Projekts
Ullrich Georgi (Linke) wirbt für die „geregelte Beendigung dieses bedauerlicherweise gescheiterten Projekts“. „Wir stehen an einem Punkt, wo wir eine Entscheidung treffen müssen“, findet Julian Maletz (SPD), „die Lage hat sich sehr verschärft.“ Seinen Antrag, dem Kreistag die Beendigung des Kreis-Engagements zu empfehlen und sich auch nicht mehr für eine Mitwirkung bei einem Neuanfang bereitzuhalten, will der Kreisausschuss allerdings nicht folgen. Das Thema kommt auf die Juni-Tagesordnung des Kreistags.
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