Kreuztal. Damit hatte niemand gerechnet: In einer geheimen Abstimmung folgt der Kreuztaler Rat dem Bürgerbegehren. Jetzt wird die Kombi-Lösung realisiert.
Das kommt selten vor, dass im Publikum einer Ratssitzung nach einer Abstimmung Jubelstürme ausbrechen. In der Otto-Flick-Halle brandet unter den rund 100 Zuschauerinnen und Zuschauern Applaus auf, als Bürgermeister Walter Kiß das Ergebnis der geheimen Abstimmung verkündet: 23 gegen 17 Stimmen, bei einer Stimmenthaltung, für das Bürgerbegehren „Kombi-Lösung – für Bildung & Kultur“. Damit ist der Ratsbeschluss, an der Stelle der Stadthallen-Brandruine einen Erweiterungsbau für Gymnasium und Gesamtschule zu errichten, aufgehoben, ohne dass noch ein Bürgerentscheid erforderlich wäre. „Ab morgen beginnt die Planung für die Kombi-Lösung“, sagte Bürgermeister Walter Kiß .
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Von einer „teilweise sehr ausufernden Diskussion“ und „unschönen Begleiterscheinungen“ über den Stadthallen-Standort sprach Bürgermeister Walter Kiß zu Beginn und erinnerte an den Sommer 2023, als die vier Fraktionen von CDU, Grünen, UWG und FDP eine Konzeptstudie durchsetzten, um die Stählerwiese als alternativen Standort für ein neues Bürgerforum mitzuuntersuchen – SPD und Bürgermeister wollten sich schon zu diesem Zeitpunkt auf den Wiederaufbau an der Stelle festlegen, wo die gerade zum Bürgerforum erweiterte Stadthalle am 16. Mai 2022 abgebrannt ist.
Die Positionen
Kiß kritisierte die „fundamentale Blockbildung“, die im März im Antrag zum Schulerweiterungsbau an der Stelle der Stadthalle mündete: „Wir haben bisher anders zusammengearbeitet.“ Vorher hatten die vier Fraktionen ihren Antrag zum Neubau des Bürgerforums in der Stählerwiese bereits wieder zurückgezogen – nach einer Online-Petition, aus der sich das Bürgerbegehren entwickelte. „Ich hatte den Eindruck, dass der Initiative die Unterschriften nur so zugeflogen sind“, sagte Kiß. In „atemberaubender Geschwindigkeit“ seien 3080 Unterschriften vorgelegt worden, von denen nach Prüfung durch die Verwaltung 2985 anerkannt wurden. Gebraucht worden wären 1720.
CDU-Fraktionschef Philipp Krause stieg, wie alle Redner nach ihm auch, mit einem „ehrlich gemeinten Danke“ an die Unterstützer des Bürgerbegehrens in die Debatte ein. „Wir brauchen Menschen, die ihre Meinung sagen und sich einbringen.“ Das sei „in vorbildlicher Weise geschehen“. Das Bürgerbegehren lehne seine Fraktion ab, damit es zu einem Bürgerentscheid komme. „Wir sind optimistisch, dass wir in den nächsten Wochen noch Alternativen aufzeigen können.“ Krause räumte ein, dass die Auseinandersetzung „unglücklich“ verlaufen sei. „Wir hätten das von Anfang an auf andere Füße stellen müssen. Wir haben unterschätzt, welche Dynamik hier entsteht.“ Bürgermeister Kiß widersprach: „Das war absehbar, was ihr anrichtet.“
Frank W. Frisch (FDP) gab den offiziellen Ausstieg seiner Fraktion aus dem Vier-Fraktionen-“Block“ bekannt – er selbst hatte schon in der März-Sitzung nicht mitgestimmt. „Man darf visionär denken, muss aber abwägen, was realistisch ist.“ Und das sei eine Schulaula, „auch Stadthalle genannt“, als die das Gebäude ursprünglich konzipiert war. Zuletzt hatte auch die Schulpflegschaft des Gymnasiums darauf hingewiesen, dass die Schule wieder einen Versammlungsraum für 200 Personen benötige, wenn die Stadthalle nicht wiederaufgebaut werde. Frisch: „Ich bin mir sicher, dass die Kombi-Lösung die kostengünstigste Lösung ist.“ Außerdem sei da die „beachtliche Unterschriftensammlung: Daran kommt man nicht vorbei.“
Die Konfrontation
Jürgen Roth (Grüne) war der Erste, der die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens infrage stellte. „Der Rat hat ein Prüfungsrecht.“ Treffe die dort verwendete Kostenschätzung für die Kombi-Lösung zu? Werde der Ratsbeschluss vom März damit tatsächlich aufgehoben? Reinhard Lange (UWG) legte nach: Wie viele einzelne Unterschriftenlisten abgegeben worden seien, wollte er wissen, und ob diese auch korrekt kopiert worden seien. Dieter Gebauer (Grüne) störte sich an dem Begriff „kurzfristig“ im Zusammenhang mit der Kombi-Lösung: „Das suggeriert, alles geht ganz flott.“ Harald Görnig (CDU) teilte mit, „kurzfristig“ werde unter Architekten „mit Wohlwollen“ ein Zeitraum von bis zu drei Jahren verstanden. Er hielt der Initiative vor, das Begehren falsch zu begründen: Ihr gehe es tatsächlich um den Erhalt der Parkplätze in der Stählerwiese. Frank Weber (FDP) fand, die Kostenschätzung müsse auch den geplanten neuen Haupteingang zum Gymnasium von Erbstollen aus einbeziehen. Arno Seiffarth (UWG) fand, in die Baukosten einer Stadthalle in der Stählerwiese dürfte eine neue Tiefgarage (die die wegfallenden Parkplätze ersetzen sollte) nicht eingerechnet werden.
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Die Missfallensäußerungen aus dem Publikum wurden lauter, dem Bürgermeister platzte der Kragen. „Durchschaubar und erbärmlich“ sei diese Art der Argumentation, sagte Walter Kiß. Er sei „befremdet, dass dem Bürgerbegehren die Legitimität abgesprochen wird“, sagte Andreas Müller (SPD), „unsere Bürger halte ich für durchaus mündig, eine Entscheidung zu treffen, deren Folgen sie überblicken.“ SPD-Fraktionschef Michael Kolodzig sprach von „Basisdemokratie in Reinform“. CDU, Grünen und UWG warf er vor, ihr Votum gegen die Kombi-Lösung nicht zu begründen und keine „echten Alternativen“ aufzuzeigen. Das Warten auf die Konzeptstudie habe allerdings auch bewirkt, dass die schon 2019 beschlossene Aufstockung des Schulzentrums aufgegeben wird, weil sie nicht mehr ausreicht – sonst wäre damit nach der Fertigstellung des Bürgerforums begonnen worden. Wenn es denn nicht abgebrannt wäre.
Philipp Krause (CDU) mochte nicht ausschließen, dass eine Lösung mit „schulnaher Aula, am liebsten im Schulzentrum selbst“ gefunden werden könne, die „eventuell doch schneller und günstiger“ zu verwirklichen wäre. „Dann muss aber irgendwann eine Alternative genannt werden“, forderte Bürgermeister Kiß, „man kann hier nicht dauernd im Nebel stochern.“
Noch lauter wurde es im Saal, als Jürgen Roth (Grüne) die Beobachtung mitteilte, Bürger hätten das Begehren ohne genaues Hinsehen „im Vorbeigehen“ unterschrieben. Gelächter kam auf, als CDU-Fraktionschef Krause für die „schulnahe Aula“ plädierte, die, nicht nur in den Augen des Bürgermeisters, mit der Kombi-Lösung verwirklicht würde – von CDU, Grünen und UWG aber abgelehnt wurde. Robin Fortagne bekam als Vertreter des Bürgerbegehrens das letzte Wort. Er warf der März-Mehrheit vor, den Wiederaufbau der Stadthalle „auf unbestimmte Zeit verschoben“ zu haben. Und er wies den Vorwurf an das Bürgerbegehren zurück, die Fraktionen bei der Standortsuche unter Druck gesetzt zu haben. „Sie hatten Zeit genug“, sagte Fortagne, der bereits schon die Online-Petition gegen die Stählerwiesen-Alternative initiiert hatte: „Machen Sie den Weg frei und berücksichtigen Sie den Willen der Kreuztaler Bürger. Die Zeit drängt.“
Das Finale
Und dann wurde abgestimmt. Zunächst offen, das Bürgerbegehren zuzulassen. Und dann geheim über den Vorschlag, dem Bürgerbegehren auch inhaltlich zu folgen. Im Vorfeld konnte man rechnen: Die Befürworter des Bürgerbegehrens hätten 20 Stimmen zusammengebracht (17 SPD-, 2 von 3 FDP-Ratsmitgliedern und der Bürgermeister). Die Vertreter des März-Ratsbeschlusses waren mit 21 Stadtverordneten vertreten, weil zwei Grünen-Ratsmitglieder fehlten (13 CDU-, 4 Grünen-, 3 UWG- und 1 von 3 FDP-Stadtverordneten). Es kam aber anders: 23 Stimmen für das Bürgerbegehren, 17 dagegen, eine Stimmenthaltung. Demnach haben sich mindestens drei Ratsmitglieder in der Wahlkabine umentschieden. Die Konsequenz: Ein Bürgerentscheid, der für den 9. Juni, den Tag der Europawahl, anberaumt worden wäre, ist nicht mehr erforderlich. Und, so Bürgermeister Walter Kiß: „Ab morgen beginnt die Planung für die Kombi-Lösung“.
Im Sommer 2030 ist der Neubau fertig, so sieht es der Zeitplan des Büros Stoppacher vor, dessen Konzept für die Kombi-Lösung der Rat nun beschlossen hat. Den Schulen stehen jetzt einige Jahre mit Container-Provisorium bevor. Und dem Rat anscheinend die Rückkehr zu kooperativen Zeiten. Die CDU werde das Abstimmungsergebnis „nicht als Fundamentalopposition beschießen“, sagte Philipp Krause später in der Haushaltsdebatte, und eine „bestmögliche Umsetzung unterstützen“. Viele aus dem Publikum bekamen das nicht mehr mit. Sie waren der Bitte des Bürgermeisters gefolgt. „Wenn Sie sich vielleicht draußen freuen wollen …“ Denn drinnen ging der Rat zur Tagesordnung über. Die Harmonie war wieder da, und aus mancher Wortmeldung klang Erleichterung darüber durch.
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