Kreuztal. Kreuztaler Rat beschließt einen Schulbau an der Stelle der abgebrannten Stadthalle. Ob der kommt, bleibt aber ungewiss. Und wenn, nicht vor 2030.
Kurz nach 20 Uhr ist der Katzenjammer groß. „Ein verantwortungsloses und ignorantes Machtspiel. Und das bringt mich auf die Palme, weil ich vielleicht dachte, dass es sowas nur woanders gibt“, schreibt jemand in einem Kreuztaler Facebook-Forum. „Hochgradig verantwortungslos“, sagt Katrin Stein, Vorsitzende des Ferndorfer Museumsvereins, als sie den Ratssaal verlässt. Bürgermeister Walter Kiß hat gerade die Konsequenz aus den beiden Beschlüssen genannt, die der Rat in geheimen Abstimmungen gefasst hat: „Damit ist der Wiederaufbau der Stadthalle nicht möglich. Zunächst.“
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Das ist die Lage
Mit 22 gegen 19 Stimmen hatte der Rat die von der Verwaltung empfohlene „Kombinationslösung“ abgelehnt, Stadthalle beziehungsweise Bürgerforum und Schulneubau in einem gemeinsamen Gebäude am Standort der Stadthallen-Ruine aufgebaut. Dafür gestimmt hatten - so die Ankündigungen vor der geheimen Abstimmung - SPD, Bürgermeister und Frank W. Frisch (FDP). Abschließend folgte die Mehrheit mit 23 gegen 18 Stimmen dem Antrag von CDU, Grünen, FDP und UWG, an der Stelle der Stadthallen-Ruine „mit Priorisierung“ einen Erweiterungsbau für Gesamtschule und Gymnasium zu errichten.
Zu Beginn der Sitzung hatte Robin Fortagne, Initiator der Online-Petition „Nein zum Bürgerforum Stählerwiese“, Unterschriften an Bürgermeister Walter Kiß überreicht. Robin Fortagne und Katrin Stein ließen keinen Zweifel daran, dass sie nun ein Bürgerbegehren für die Kombinationslösung initiieren werden. Dafür würden sie etwa 1700 Unterschriften von Kreuztaler Einwohnerinnen und Einwohner benötigen. Die Petition wird aktuell von über 1700 Unterzeichnern unterstützt, hinzu kommen rund 500 Unterschriften, die der TuS Ferndorf bei seinem letzten Heimspiel gesammelt hat.
So funktioniert ein Bürgerbegehren
Erster Schritt: Drei Vertretungsberechtigte kündigen ihr Bürgerbegehren formell im Rathaus an. Damit ist die Sechs-Wochen-Frist nach dem Ratsbeschluss gestoppt. Die Verwaltung muss eine Kostenschätzung vorlegen, wieviel die Verwirklichung des Begehrens (in Kreuztal: die Kombinationslösung Stadthalle/Schulanbau) kostet.
Zweiter Schritt: Die Vertretungsberechtigten beantragen, dass der Rat die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens vorab prüft. Dazu brauchen sie 25 Mitunterzeichner. Der Rat muss darüber innerhalb von acht Wochen entscheiden.
Dritter Schritt: Die Unterschriftensammlung beginnt. In Kreuztal werden sieben Prozent der bei der Kommunalwahl Wahlberechtigten dazu gebraucht, also etwa 1700 Unterschriften. Weil das Ziel die Aufhebung eines Ratsbeschlusses ist, gilt dafür eine Frist von drei Monaten.
Vierter Schritt: Der Rat beschließt „unverzüglich“, so die Gemeindeordnung, über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens. Weil die Inhalte bereits vorab geprüft wurden, kann er jetzt nur noch ablehnen, wenn nicht genügend gültige Unterschriften gesammelt wurden. Der Rat kann dann dem Bürgerbegehren entsprechen, also seinen Beschluss aufheben. Tut er das nicht, muss innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid stattfinden.
Fünfter Schritt: Beim Bürgerentscheid muss die Frage von der Mehrheit der Abstimmenden mit Ja beantwortet werden. Diese Mehrheit muss aus mindestens 20 Prozent der abstimmungsberechtigten Bürger bestehen. Das wären in Kreuztal rund 4900 Stimmen.
Vor diesem Hintergrund zu verstehen sein dürfte die Feststellung des Bürgermeisters, dass der Wiederaufbau der Stadthalle „zunächst“ nicht möglich sein werde. „Wir werden die Planung vorantreiben, sofern sich nichts anderes ergeben sollte, und zu gegebener Zeit auf Sie zukommen.“ Tatsächlich „ergeben“ könnte sich ein Bürgerbegehren, das vom Rat zugelassen wird. Ab dann gilt bis zum Bürgerentscheid eine Entscheidungssperre, Planungsaufträge für den Schulneubau dürften dann nicht mehr vergeben werden.
Das sind die Konsequenzen
„Sie nehmen ganz bewusst Abschied von Kreuztalkultur und nehmen das Ende in Kauf“, sagt Kulturausschussvorsitzender Jochen Schreiber (SPD) an die Adresse der sich abzeichnenden Ratsmehrheit. Im Februar 2019 habe die letzte Veranstaltung in der Stadthalle vor Beginn der Renovierung und Erweiterung stattgefunden. Elf Jahre würden bis 2030 vergangen sein, dem frühestmöglichen Termin für eine Wiedereröffnung, wenn die Kombinationslösung beschlossen würde. Die von den anderen Fraktionen bevorzugte „Solitärlösung“ würde „deutlich länger“ brauchen. Das Publikum, das sich jetzt mit Provisorien arrangiere, werde „nicht ewig“ treu bleiben. Angesichts der Diskussion über die Zukunft von Thyssenkrupp Steel sei auch ungewiss, wie lange das Interim im Eichener Hamer noch nutzbar sei. „Und die guten Leute, die bei uns arbeiten, haben das auch nicht nötig.“ Allein zu den städtischen Kulturveranstaltungen seien jährlich 12.000 Gäste gekommen, die Halle sei an 200 Tagen im Jahr belegt. „Für uns in Kreuztal war die Halle ausreichend“, sagt Jochen Schreiber denen, lieber ein großzügigeres, unabhängig vom Schulbetrieb nutzbares Veranstaltungsforum wünschen.
„Bürgerbeteiligung von Anfang an“ fordert CDU-Fraktionschef Philipp Krause für die nun beginnende neue Standortsuche für ein Bürgerforum, „wir brauchen breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir möchten uns jetzt zurücknehmen.“ Frank Weber (FDP) schließt ausdrücklich nicht aus, dass dann auch wieder die Stählerwiese in die Auswahl kommt, wo eine Stadthalle den Dreslerschen Park erweitern würde. „Der älteste Kulturstandort, den wir haben“, sagt Weber, „ich werde nicht müde, für Dreslers Park zu kämpfen.“
So verläuft die Debatte
Rund 100 Menschen drängeln sich auf den Publikumsplätzen im Saal des Feuerwehrhauses Leystraße. Die Verwaltung hat offenkundig mit mehr Zustrom gerechnet - womöglich ist das Interesse zumindest bei denen nun kleiner, die sicher sein können, dass die Stadthalle zumindest nicht auf dem Parkplatz Stählerwiese gebaut wird. Das Ordnungsamt ist präsent, Lautsprecher sind draußen und auf der Terrasse aufgestellt. Es bleibt ruhig - abgesehen von der Aufregung um SPD-Fraktionschef Michael Kolodzig, der vor Sitzungsbeginn auf der Toilette eingesperrt ist. Zur Wiederholung von Tätlichkeiten, über die Heike zur Nieden (SPD) berichtet („ein tätlicher Angriff auf zwei SPD-Mitglieder von einem Mitglied der CDU-Fraktion“) kommt es nicht.
Philipp Krause (CDU) eröffnet die Debatte. Die vier Fraktionen hätten ihren Antrag frühzeitig veröffentlicht, „damit die Bürger eine Gelegenheit haben, sich zu äußern.“ Deren Ablehnung eines Neubaus auf dem Parkplatz Stählerwiese „haben wir zur Kenntnis genommen“. „Bürgerbeteiligung damit zu beginnen, dass man die Kommentarfunktion abstellt, spricht eine eigene Sprache“, merkt Bürgermeister Walter Kiß an und kritisiert die im vorigen Sommer begonnene „Blockbildung“ im Rat zu diesem Thema. „Bis jetzt sind wir im Rat sehr kooperativ miteinander umgegangen.“
Michael Kolodzig (SPD) erinnert daran, dass es beim Beschluss für eine Erweiterung der Stadthalle „einen großen Konsens“ gegeben habe. Seit dem Brand im Mai 2022 sei es „Bürgerwille, die Stadthalle wieder aufzubauen“. Für die „Mehrausgaben in Millionenhöhe“, die der Neubau von zwei Gebäuden (Schule und Stadthalle) bedeute, „haben wir bisher keine Begründung gehört.“ Dass eine von den Schulen gelöste Stadthalle auch tagsüber für Kongresse und Messen nutzbar sei, überzeuge nicht. „So ein Verlustgeschäft brauchen wir nicht.“ Heike zur Nieden (SPD) weist den Vorwurf zurück, die 2019 beschlossene Aufstockung der Schulen sei verschleppt worden. Die Stadt habe zuerst die Stadthallen-Erweiterung fertig stellen wollen. Die war bekanntlich fast abgeschlossen, als das Feuer ausbrach. Andreas Müller (SPD) stellt fest, dass die Bauzeiten zwischen den Varianten sich nicht unterscheiden und dass es zu Stählerwiese oder Wiederaufbau keine Alternativen gibt. „Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit hier im Raum gar keine Stadthalle will.“
Anna Wetz (Grüne) erinnert daran, dass die Stählerwiese zuerst in einem Papier der Verwaltung als Standortalternative genannt wurde. „Wir hätten gern ein Moratorium für das Bürgerforum gefordert“, schon aus finanziellen Gründen. Bei der Kombinationslösung bestehe die „Gefahr, dass sich der Schulbau weiter verzögert.“ „Kritisch waren wir von Beginn an“, betont Philipp Krause (CDU), dass auch seine Fraktion ursprünglich nicht die Stählerwiese, sondern eine Alternative, zum Beispiel den Parkplatz Roonstraße, als Standort für eine neue Stadthalle gewünscht habe. Durch die im Februar vorgestellte Konzeptstudie sei aber klar geworden, dass das ursprüngliche Vorhaben (Wiederaufbau der Stadthalle und Aufstockung der Schulen) „die schlechteste aller Varianten gewesen wäre“. Jetzt gehe es um den „schnellstmöglichen Anbau für die Schule“. Die auch ohne eigene Aula auskomme, als die die alte Stadthalle gedient hat. „Mit ein bisschen architektonischem Sachverstand“ könnten Schulveranstaltungen auch in der Dreifachhalle ermöglicht werden; zudem habe die Gesamtschule die ebenfalls nutzbare Mensa. Frank Weber (FDP) vergleicht die von der SPD favorisierte Kombinationslösung mit der Elbphilharmonie: „Sehr komplex.“
Und so endet sie
Die Diskussion nimmt ihren Lauf. Es geht um die Vorteile eines neuen Bürgerforums, um die Nachteile für die Sportvereine, die während des Abiturs tagelang nicht in die Hallen können, immer noch um Parkplätze. Bis Heike zur Nieden (SPD) merkt, dass „hier nur noch Schaulaufen“ ist. Und FDP-Fraktionschef Frank W. Frisch ausschwenkt. „Ich male mir gerade aus, wie das weitergehen soll“, sagt er, „ich kann das nicht vertreten. Ich habe das Bauchgefühl, dass wir uns ein Bein stellen.“ Frisch fragt, „ob nicht doch jeder noch mal in sich gehen sollte“. Darauf bekommt er keine Antwort. „Ich sehe keine Bereitschaft, dass einer der Blöcke einen Rückzieher macht“, sagt Bürgermeister Walter Kiß. Dann beantragt Michael Kolodzig (SPD) die geheimen Abstimmungen.
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