Siegen. Siegen will Verwaltung optimieren: Mehr Service, mehr Kundenperspektive, weniger Warten. Geht schneller, besser, günstiger mit weniger Personal?

Die Stadt will – muss – effizienter arbeiten, moderner, transparenter. Da ist Nachholbedarf, die Herausforderungen werden nicht weniger und nicht kleiner: Demografischer Wandel, Digitalisierung, Personalmangel, Haushaltskonsolidierung, multiple Krisen sind zu Daueraufgaben geworden. Die Gesellschaft ist im Wandel und das merken auch öffentliche Verwaltungen. Siegen strebt nun ein strukturiertes Prozessmanagement an, um diesen Herausforderungen besser begegnen zu können. Was in Unternehmen an der Tagesordnung ist, fehlt der staatlichen Bürokratie vielfach noch: Einheitliche, messbare Standards, wie Abläufe funktionieren und ineinandergreifen.

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Das soll sich nun ändern: Mit ineffizienten Abläufen kurzen Prozess machen, ist das Motto. Der Servicegedanke soll in den Fokus rücken, die „Kundenperspektive“. Da, gibt die verwaltungsinterne Organisationsberatung zu, müsse man ganz anders denken. Betriebswirtschaftlicher: Wie lange dauert etwas, was braucht es dafür, wer macht das? Das kann man berechnen. Und hat am Ende des Jahres vielleicht 10.000 Euro bei einem Prozess gespart. Insgesamt gibt es in Siegen mehrere tausend davon.

Der Status Quo in den Siegener Rathäusern: Was läuft da eigentlich ab?

„Es geht um nichts weniger als die DNA des Verwaltungshandelns“, sagt Dirk Helmes, Leiter der Personalabteilung im Haupt- und Finanzausschuss. Prozesse, das seien die Träger von Informationen, gleichsam die Muskeln eines Organismus, erläutert der städtische Organisationsberater Marius Heinemann. Die müsse man trainieren, ihre Leistungsfähigkeit steigern, sie dafür zunächst genau unter die Lupe nehmen. 2021 ist die Stadtverwaltung ins Thema eingestiegen, bislang mit überschaubaren personellen Ressourcen. Das soll nun intensiver werden. Erster Schritt: Ein vollständiges „Prozessregister“ – was läuft da eigentlich ab in den Rathäusern und Dienststellen?

Ein Prozess ist demnach eine Abfolge von Aktivitäten, für die man Ressourcen wie Geld, Personal, Wissen, Sachmittel einsetzen muss: Ein Bauantrag beispielsweise. Der wird bei der Stadt gestellt, löst einen Prozess aus – in diesem Fall die Prüfung. Am Ende steht ein Ergebnis, das zurück an den Empfänger geht. Solche Prozesse sind Massengeschäft; sie kommen immer wieder vor. Und das ist es, was optimiert werden soll, von Anfang bis Ende. Ziele: Die von Politik, Bevölkerung und Gesetzgeber gestellten Aufgaben bestmöglich erfüllen. Indem Effizienz und Effektivität gesteigert, Wartezeit für die Bevölkerung und Arbeitsbelastung für die Beschäftigten reduziert, Zeit und Kosten gespart werden. Und, auch das gehört zur Wahrheit dazu, mittelfristig auch Personal. Nicht weil man Menschen kündigen möchte, sondern weil es nicht mehr genug gibt. Wenn dank schlankerer Prozesse weniger Stellen erforderlich sind, kann man die Menschen da einsetzen, wo sie wirklich sinnvoll arbeiten können.

Gerade Behörden arbeiten ja oft gerne so, wie sie immer gearbeitet haben.
Samuel Wittenburg - Volt

Bislang gebe es diesen systematischen Ansatz nicht in der gesamten Organisation. Die einzelnen Abteilungen beschäftigen sich damit, aber aber alle unterschiedlich. Und: Der Prozess des Prozessoptimierens ist nie fertig. Es gelte, kontinuierlich zu überprüfen, zu verbessern. „Einmal optimiert reicht nicht“, sagt Heinemann, „wenn sich etwas ändert, müssen wir es uns wieder angucken“.

Die Herausforderungen für die Stadt Siegen: Immer mehr in Rente, immer weniger Nachwuchs

Demografie: Personal ist knapp, „wir werden noch viel mehr Fachwissen verlieren“, sagt Marius Heinemann mit Blick auf bevorstehende Renteneintritte. Immer mehr Stellen könnten nicht besetzt werden; gleichwohl müsse Wissen dokumentiert und gesichert werden, damit die Lücke nicht noch größer wird. „Die Verwaltung muss wissen, was die Menschen in ihren Köpfen haben.“ Und in der starken Konkurrenz um sehr wenig Leute herausstechen.

Wir gehen lieber einen Schritt zurück und holen einmal mehr ab, als die Brechstange anzusetzen.
Marius Heinemann - Organisationsberater Stadtverwaltung Siegen

Krisen: Als in der Corona-Pandemie die direkten Kontakte drastisch reduziert wurden, hätten viele Dienstleistungen sehr viel schneller wieder angeboten werden können, wenn alle Prozesse dokumentiert gewesen wären, so der Organisationsberater. Das Wissen blieb quasi mit den Beschäftigten im Homeoffice. Auch nach der Cyberattacke wäre die Verwaltung schneller wieder arbeitsfähig gewesen, wenn irgendwo schwarz auf weiß gestanden hätte, wie die Dinge ablaufen.

Siegen: In öffentlichen Verwaltungen wird oft nicht vom Ergebnis her gedacht

Digitalisierung: Kein Selbstzweck. Es mache keinen Sinn, einfach so einen schlechten Prozess zu digitalisieren, sagt der Heinemann. „Digitalisierter Unsinn bleibt Unsinn.“ Vorher müsse optimiert werden, vom Anfang (der Erreichbarkeit der Stadt) über die internen Abläufe bis zum Ende, der abgewickelten Dienstleistung.

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Menschen: Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten anhand einheitlicher Strukturen schneller eingearbeitet werden, um bestimmte Aufgaben danach zu erfüllen, so die Idee. Denn letztlich lassen sie die Prozesse ablaufen. In öffentlichen Verwaltungen werde indes vielfach noch eher vom Aufbau her gedacht, von der Verwaltungshierarchie. Ziel müsse es sein, „dass das Ergebnis im Mittelpunkt steht: es ist dem Bürger egal, welche Funktion eine Dienstleistung erbringt“. Solche Änderungen brauchen Akzeptanz. Er wisse von Verwaltungen, in denen derlei Gedanken auf „absoluten Widerstand“ in der Belegschaft gestoßen seien, sagt Samuel Wittenburg (Volt). „Gerade Behörden arbeiten ja oft gerne so, wie sie immer gearbeitet haben.“ Siegen setzte daher auf eine interne Beratung – nicht externe Fachleute, die oft Druck aufbauen, Ängste nicht wertschätzen würden, versichert Marius Heinemann: „Wir gehen lieber einen Schritt zurück und holen einmal mehr ab, als die Brechstange anzusetzen.“ Zumal es nicht an allen Stellen rein um Effizienz und Verschlankung gehen könne, wie Michael Groß (Grüne) anmerkt: In der Kinder- und Jugendarbeit beispielsweise könne die Qualität eines Prozesses nicht mit Tempo und Kosten bemessen werden.