Wilnsdorf. Der Rat verabschiedet den Haushalt fast einstimmig. In der Debatte geht es keineswegs nur um die Wilnsdorfer Zahlen.
Diesmal ist es anders: Nicht in einer Kampfabstimmung mit knappen Ergebnis wie vor einem Jahr, sondern fest einstimmig verabschiedet der Rat den Haushalt. Was auch daran liegt, dass die Gemeinde Wilnsdorf den kräftigen Aufschlag auf die Grundsteuer, zu dem einige Nachbarkommunen jetzt gezwungen sind, schon im Vorjahr vollzogen hat: von 475 auf 695 Prozent – ein Spitzenwert im Kreis, der nächste Woche von Kreuztal (790 Prozent) und im April vielleicht von Netphen (785 Prozent) eingeholt wird, wenn dort der Rat mitspielt.
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Durchgegangen wäre die Steuererhöhung im Januar 2023 wohl nicht, wenn da schon das Ergebnis des Vorjahres bekannt gewesen wäre: Nicht 10.500 Euro, sondern 8,4 Millionen Euro Überschuss dank einmaliger Gewerbesteuereinnahmen, die jetzt in diesem und im nächsten Jahr die Ausgleichsrücklage füllen.
Der Bürgermeister
Bürgermeister Hannes Gieseler wird in seiner Haushaltsrede grundsätzlich, erinnert an den gemeinsamen Hilferuf fast aller Kommunen in NRW, die dem Staat vorwerfen, die Städte und Gemeinden mit immer neuen Aufgaben zu überfordern und sie finanziell „miserabel“ auszustatten. „Hier vor Ort spüren die Bürgerinnen und Bürger am deutlichsten, ob Staat handlungswillig und -fähig ist - oder eben nicht.“ Der Zulauf zu verfassungsfeindlichen Gruppierungen sei eine Antwort der Menschen, die zeige, „dass da etwas ins Rutschen gekommen ist in unserem Land“.
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Bestätigt sieht Gieseler die „zukunftsgerichtete Politik“ der Gemeinde. „Ich bin dankbar, dass wir dem Sanierungsstau längst den Kampf angesagt haben.“ Durch Investitionen entstehe Mehrwert, die dafür aufgenommenen Schulden seien nicht verantwortungslos. Tatsächlich erreicht die Gemeinde mit Sanierungen, dem Neubau der Grundschule Wilnsdorf und des Feuerwehrgerätehauses Weißtal in diesem Jahr eine Neuverschuldung von 9,9 Millionen Euro. „Wir müssen die Mammutaufgabe stemmen, die Infrastruktur überall, so gut es geht, aufrechtzuerhalten.“ Dazu ruft Gieseler schließlich die Fraktionen zur Zusammenarbeit auf, „die sich wirklich verantwortungsbewusst für die Zukunft der Gemeinde Wilnsdorf engagieren.“
Die Fraktionen
Dennis Schneider (CDU) hebt diese Zusammenarbeit beim Neubau der Grundschule und beim gemeinsamen Antrag von SPD und CDU für einen Abenteuerspielplatz hervor. „Unnötig lang und quälend“ verlaufe dagegen der Neubau des Feuerwehrgerätehauses Oberes Weißtal für die Feuerwehreinheiten Anzhausen und Flammersbach. Von der neuen Ratsmehrheit („WIlnsdorfer Ampel“) sei im Dezember 2020 der Beschluss für einen Neubau des Feuerwehrgerätehauses in Wilgersdorf aufgehoben worden – um ihn dann ein Jahr später erneut zu fassen. „Suboptimal“ sei bei der Suche nach Standorten für Wohncontainer für Geflüchtete die Kommunikation mit den betroffenen Anwohnern gewesen.
Stefan Dohme (SPD) kritisiert die Beschlüsse des Kreistags, der im Februar mit einer Sechs-Fraktionen-Mehrheit die Bereiche Wirtschaftsförderung und Tourismus aufgegeben habe und das Aus für die Großtagespflege für Kinder von Kreisbediensteten beschlossen habe. Dagegen würden Wisent-Projekt („Unsinn mit den Wild-Rindern“) und Flughafen („größtes Unsinnsprojekt des Siegerlandes“) weiter betrieben: „Anscheinend will die Mehrheit des Kreistages lieber Rinder als Kinder.“ Das „Damoklesschwert eines bevorstehenden möglichen Haushaltssicherungskonzepts“ hänge über der Gemeinde: „Wir sollten uns bewusst sein, dass wir uns bald einiges nicht mehr leisten können.“
Dr. Andreas Weigel (BfW/FDP) geht auf die Neuverschuldung ein. Die Verdoppelung der Investitionskredite von 13 Millionen Euro im Jahr 2020 auf nun 27 Millionen Euro zeige auch, dass die Gemeinde „von der Substanz gelebt“ habe. „Dringend notwendige Investitionen wurden immer wieder aufgeschoben, aber diese Investitionen sind jetzt dringender denn je erforderlich.“ Die Gemeinde sei auf dem richtigen Weg, sagt Weigel und wendet sich mit einem Songtext von „Kapelle Petra“ an Pessimisten und Optimisten: „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen. Doch an allen anderen Tagen halt nicht.“
Ekkehard Blume (Grüne) fürchtet „dunkle Wolken“ und eine erneute Grundsteuererhöhung zum Ende des Jahres, wenn die Auswirkungen der Grundsteuerreform bekannt sind und die Kosten der Cyber-Attacke von der Südwestfalen IT umgelegt werden. Auf der anderen Seite gebe es Potenzial zu Energieeinsparungen. „Wir Grüne bleiben auch hier beharrlich am Ball und fordern Transparenz und Ergebnisoffenheit in der Verwaltung ein.“ Das „Haushaltsdesaster“ schreibt Blume der früheren CDU-Ratsmehrheit zu. Nun stehe die „umfangreiche Mängelbeseitigung“ an. Die Grünen stimmten dem Etat zu, kündigt Blume an. „Was sollen wir auch anderes machen?“
Andreas Klein (Wir Bürger) nennt „die Schulden von heute die Steuern von morgen“. Grundschulneubau, Feuerwehrgerätehaus, Neubaugebiete und Dorfplätze seien zur Zeit von Bürgermeisterin Christa Schuppler „auf die Schiene gesetzt“ worden. Nun habe der „Lokführer gewechselt“, führt Klein sein Bild originell fort: „Herr Bürgermeister, Sie sind der Lokführer und stellen die Weichen.“ Dazu bekommt Hannes Gieseler Kritik mit auf die Reise: Es gebe für Bürgermeister „Grenzen einer Beteiligung an politischen Debatten“: „Die Tendenz der Ausgrenzung auch politisch konservativer Gruppen, die mit Extremismus nichts zu tun haben, ist bedenklich.“
32:26
Dr. Andreas Weigel (BfW/FDP) hat gestoppt: 32 Minuten hätten die Sprecher der sich selbst so bezeichnenden „Opposition“ von CDU und Wir Bürger (die es in der Kommunalpolitik so wenig gibt wie eine „Regierung“) für ihre Haushaltsreden gebraucht, die „Kooperation“ von SPD, Grünen und BfW/FDP dagegen nur 26.
Dennis Schneider (CDU) kontert: Wenn die Haushaltsdebatte auf 100 Minuten festgesetzt worden wäre, hätten seiner Fraktion nach dem Wahlergebnis sogar 44 Minuten zugestanden.
Antworten
„Die Metapher trägt nicht gut“, wendet sich Dr. Andreas Weigel (BfW/FDP) an Andreas Klein (Wir Bürger): „Unser Bürgermeister streikt nicht.“ Weigel spricht sich, wie alle Fraktionen bis auf Wir Bürger, für zwei zusätzliche Stellen in der Verwaltung aus: eine im Bauhof und eine im Sozialamt zur Betreuung von Geflüchteten. „Wir haben alle vollmundig gesagt, wir wollen die Ehrenamtlichen nicht im Stich lassen.“ Ekkehard Blume (Grüne) kritisiert die CDU, die sich in der Oppositionsrolle sehe: „Es war das Ansinnen der Kooperation zu integrieren, nicht Opposition zu schaffen. Hier gibt es jetzt einen etwas anderen Stil.“ Das nimmt Dennis Schneider (CDU) auf. Seine Fraktion sei daran „interessiert, mit allen zusammenzuarbeiten“. Bürgermeister Hannes Gieseler weist die Kritik an seiner Positionierung gegen Rechtsextremisten zurück: Er setzte Konservatismus und Rechtsextremismus nicht gleich, „das würde ich niemals tun“.
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