Siegen. Anforderungen an Arbeitskräfte steigen, auch in Siegen können viele Menschen nicht mehr mithalten. Das Problem wird sich sogar noch verschärfen.
Mit steigenden Anforderungen in vielen Bereichen der Arbeitswelt sinken gleichzeitig die Chancen gering qualifizierter Menschen, einen auskömmlichen Job zu finden. Diese Entwicklung beobachtet auch die Agentur für Arbeit Siegen. Tatsache sei „dass der Markt immer weniger Optionen im Helferbereich bereithalten wird“, sagt Stefanie Krömer, Vorsitzende der Geschäftsführung. Die Lösungen dafür müssten „immer individueller gestaltet werden“.
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Für das Jahr 2023 weist die Statistik für den Bezirk der Siegener Agentur – also die Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe – im Schnitt 11.771 Arbeitslose und 4284 unbesetzte Stellen aus. Der Rückschluss, dass damit rein rechnerisch für jede Stelle mehr als ein Kandidat beziehungsweise eine Kandidatin zur Verfügung stehen müssten, funktioniert allerdings nicht. „Die Anforderungen an die offerierten Arbeitsstellen sind nicht deckungsgleich mit dem, was an Kompetenzen bei den Bewerberinnen und Bewerbern vorhanden ist“, erläutert Stefanie Krömer. „Bedingt durch Digitalisierung und Automatisierung verändern sich zudem Arbeitswirklichkeiten und die Anforderungen an das Qualifikationsprofil wandeln sich.“ Wer nicht mithalten kann, hat schlechte Karten. Der Blick auf die Details „zeigt dabei schonungslos: Arbeitslos ist vornehmlich, wer nicht ausreichend qualifiziert ist.“
Siegen: Fachkräfte werden gesucht, doch für „Helfer“ gibt es nur wenige Stellen
Die Diskrepanz ist offensichtlich. Im Jahr 2023 besaßen 48,9 Prozent der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen lediglich Kenntnisse und Fähigkeiten auf „Helferniveau“, 27,2 Prozent waren „Fachkräfte“, 4,6 Prozent „Spezialisten“ und 4,4 Prozent „Experten“. Von den gemeldeten Stellen waren allerdings nur 21,6 Prozent für Helferniveau geeignet. 61,9 Prozent erforderten Fachkräfte, 10,3 Prozent Spezialisten und 6,2 Prozent Experten. „Wir beobachten, dass die Meldungen von Stellen, die mindestens das Niveau der dualen Ausbildung oder auch Expertenwissen zu Grunde legen, deutlich zugenommen haben“, sagt die Agentur-Chefin. Den Prognosen zufolge werde das so bleiben. „Die Perspektive, ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung einen nachhaltigen Sprung in die Arbeitswelt zu schaffen, lässt sich somit nur schwer realisieren. Wir sehen es aber nicht so pessimistisch, dass der Arbeitsmarkt sich den Menschen verschließt, die, aus welchen Gründen auch immer, diese Anforderungen nicht erfüllen können.“ Die Devise: „Mehr Kundinnen und Kunden auf den Qualifizierungsweg einladen.“
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Die Notwendigkeit, das Instrument der Qualifizierung zu nutzen, haben auch weite Teile der Wirtschaft längst erkannt. Die Zeiten, als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – öffentliche Verwaltungen eingeschlossen – nach einer Stellenausschreibung aus einer Fülle von Bewerbungen die hochkarätigste aussuchen konnten, sind in den meisten Branchen längst vorbei. Hinzukommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer das Rentenalter erreichen. „Ältere, berufserfahrene Arbeitnehmer verlassen den Arbeitsmarkt in den Ruhestand und nehmen dabei wertvolles Wissen mit“, schildert Stefanie Krömer. Wegen des demografischen Wandels rücken aber immer weniger junge Leute nach.
Siegen: Arbeitsagentur will Menschen für anspruchsvolle Jobs qualifizieren
Folglich bleiben im Wesentlichen zwei Wege, um Lücken in der Belegschaft adäquat zu schließen – Menschen, die bereits da sind, für die anstehenden Aufgaben fit machen einerseits, Fachkräfte aus dem Ausland anwerben andererseits:
Qualifizieren. Die Beraterinnen und Berater würden gemeinsam mit den Kundinnen und Kunden erörtern, was aus deren Sicht „eine attraktive Perspektive bietet, weil es ein realistisches, erreichbares berufliches Ziel darstellt und weil der Markt es auch nachfragt“, erklärt Stefanie Krömer. Dies geschehe im engen Austausch mit den Partnern der Agentur, also etwa Arbeitgebern, öffentlichen Institutionen und Verbänden. Falls es förderlich erscheine, könne „auch auf die weitere Begutachtung und Bewertung von Experten wie unseren Berufspsychologen oder unseren Ärzten“ zugegriffen werden. Dies ziele darauf, den Menschen die Unterstützung bieten zu können, „die es braucht, eine gut informierte, fundierte Entscheidung zu treffen“. Dass Kundinnen und Kunden sich den Bemühungen aus Unlust verweigern, „erleben wir in der Praxis höchst selten“. Eher sei es so, dass Aspekte wie „die Sorge der Überforderung und auch der gefühlte Leistungsdruck eine große Rolle spielen“, erläutert die Expertin. In Zusammenarbeit mit regionalen Bildungsträgern entwickle die Arbeitsagentur für diesen Personenkreis „zunehmend modulare Qualifizierungsangebote und -konzepte“, um in überschaubaren Schritten ans Ziel zu gelangen. Ein solches Vorgehen könne „am Ende auch zu einem gänzlich neuen Berufsabschluss führen“.
Lebenslanges Lernen
Die Veränderungen in der Arbeitswelt können auch für Menschen, die einen festen Job haben, zum Problem werden. Je mehr in Folge von Digitalisierung und zunehmender Komplexität von Prozessen die Anforderungen steigen, um so eher kann es passieren, „dass auch erfahrene Mitarbeiter den Anschluss verlieren können“, erklärt Stefanie Krömer, Leiterin der Agentur für Arbeit Siegen.
Fachkräfte müssen – intensiver als in der Vergangenheit – ihr Wissen und ihre Kompetenzen kontinuierlich auf neuestem Stand halten. Es gelte „lebenslanges Lernen für das persönliche wie berufliche Wachstum als permanentes Instrument zu etablieren“. Die Arbeitsagentur biete dafür Beratung an und übernehme auch die Funktion einer „Weiterbildungsagentur“.
Im Ausland suchen. „Wir wissen, dass es ohne Fachkräfteeinwanderung in Zukunft nicht möglich sein wird, das benötigte Erwerbspersonenpotential für die Region zu stellen“, sagt Stefanie Krömer. Dementsprechend sei das „Verlassen eingetretener Pfade im Rekrutieren von Nachwuchs- und Fachkräften eine wichtige Strategie“. Offenheit erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, Stellen überhaupt besetzen zu können, sondern birgt auch noch zusätzliche Chancen. „Unbestritten führt Diversität in Unternehmen zu Wettbewerbsvorteilen“, betont die Leiterin der Siegener Arbeitsagentur. Ein Beispiel sei Sprache. „Eine Belegschaft, die völlig selbstverständlich auf Anfragen von Kunden, Lieferanten oder Externen auch außerhalb der deutschen Sprache Antworten findet, schafft die Voraussetzungen dafür, dass internationale Beziehungen gelingen.“ Gerade angesichts der Globalisierung liegt der Nutzen auf der Hand. Über die Personalsuche außerhalb Deutschlands hinaus stelle außerdem der sogenannte Job-Turbo eine vielversprechende Strategie dar: Qualifizierungsmaßnahmen, um „geflüchtete Menschen schnell und nachhaltig in Beschäftigung zu begleiten“.
Siegen: Ansprüche auf dem Arbeitsmarkt werden weiter steigen
Die Herausforderungen werden nach Einschätzung der Arbeitsagentur Siegen nicht nur dauerhaft bestehen, sondern auch komplexer werden. „Die Dynamik bleibt, die Veränderungen werden uns in immer kürzeren Abständen und mit einer höheren Taktung erreichen“, sagt die Vorsitzende der Geschäftsführung. Das Thema betreffe die Gesellschaft als Ganzes, darum „müssen wir weiter gesamtgesellschaftlich an dem Finden von Lösungen und dem Ausprobieren von Alternativen interessiert bleiben“. Offenheit und Kreativität seien gefragt; wichtig sei es „allen Personen gleichermaßen die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen und sich auf deren Erfordernisse einzustellen“. Auch dabei helfe die Arbeitsagentur. „Wir unterstützen finanziell, wenn es beispielsweise um das Einrichten von inklusiven Arbeitsplätzen geht, oder beraten, wenn flexible Arbeitszeitmodelle gesucht sind.“
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