Netphen/Paderborn. Michael Schoppe gibt auf: Klage gegen Erzbistum Paderborn würde er gesundheitlich nicht schaffen. Betroffenenvertreter kritisieren Kirche scharf.

Michael Schoppe muss aufgeben: Körperlich und seelisch würde er den Prozess nicht durchstehen. Seine Ärztin habe ihm davon abgeraten, das Erzbistum Paderborn auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu verklagen. Schoppe, 55, war als 10-jähriger Junge vom damaligen Netphener Pfarrer über Monate hinweg mehrere Dutzend Male sexuell missbraucht worden.

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Diese Taten und auch der Umgang damit seitens der Kirche haben Schoppes Leben, seine psychische und physische Verfasstheit deutlich beeinflusst. Seit Jahren bemüht er sich um Anerkennung, wollte zuletzt mit Hilfe des Essener Anwalts Christian Roßmüller seine Ansprüche zivilrechtlich durchsetzen lassen. Rossmüller hatte in einem vielbeachteten Prozess vor dem Kölner Landgericht vom Erzbistum Köln erfolgreich eine sechsstellige Summe für einen Mandanten erstritten.

Betroffenenrat wollte Klage unterstützen – „Mit Missbrauch pokert man nicht“

„Ich kann’s nicht, ich schaff’s nicht mehr“, sagt Michael Schoppe im Gespräch mit dieser Zeitung. Diese Entscheidung sei ihm schwer gefallen, er habe lange gerungen, realisiere aber nun, dass er keine Ressourcen mehr habe, ein solches Verfahren durchzustehen, „Das tut richtig, richtig weg“, so Schoppe, er sei sehr enttäuscht. Nun trete ein, worauf das Erzbistum wohl gesetzt habe: Dort wisse man um seine Situation, habe wohl gehofft, dass er aufgeben werde.

Unterdessen wird die Kritik insbesondere an der katholischen Kirche in Paderborn wegen ihres Umgangs mit Missbrauchsopfern lauter. Auch die unabhängige Betroffenenvertretung im Erzbistum hatte zuletzt signalisiert, Schoppes Klage unterstützen zu wollen, da auch nach ihrer Ansicht die spärlichen Zahlungen kaum ausreichen. Ausgerechnet eine Presseerklärung, die das Bistum veröffentlicht hatte, um die Ablehnung einer außergerichtlichen Einigung zu begründen, stieß dem Betroffenenrat um Heinz Sprenger und Reinhold Harnisch sauer auf. „Sehr enttäuschend und ärgerlich“, sagt Sprenger auf Anfrage: „Wir waren eigentlich weiter“ – zumal es zuletzt zumindest vage Andeutungen von Seiten der Bistumsleitung gegeben habe, dass man eventuell darüber nachdenken könnte, sich vielleicht mit Betroffenen zu einigen. Dieses Tuch sei mit der völligen Ablehnung durch das Erzbistum nun zerschnitten. „Offenbar sind monetäre Interessen doch wichtiger als Fragen der Hilfen für Betroffene. Den Bischöfen sei wohl klar, dass das finanzielle Risiko einer Klage für die meisten Betroffenen zu hoch sei. „Sollte das eine Taktik sein, dann sagen wir: Mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs pokert man nicht!“

Betroffenenrat entsetzt über Pressemitteilung und Wortwahl des Erzbistums Paderborn

So hatte das Bistum der Presseerklärung ein „FAQ“ folgen lassen, in dem Fragen und Antworten rund um das Thema Missbrauch und außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen aufgelistet wurden. Die Wortwahl empfinden die Betroffenenvertreter in mehreren Fällen als herabwürdigend und einschüchternd, man sei entsetzt. „Mit dieser Presseerklärung verlässt das Erzbistum den Dialog und setzt auf Rigorismus und Arroganz des Systems.“ Offenbar reiche eine einzige angekündigte Klage aus, die gesamte Zusammenarbeit mit den Betroffenenvertretern aufs Spiel zu setzen. Immer wieder stilisiere man sich als Opfer, dabei sei es Teil der Versöhnung, die eigene Verantwortung anzunehmen. Ein zentraler Kritikpunkt der Betroffenenvertreter ist dabei auch, dass das Erzbistum Paderborn die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im Umgang mit Betroffenen von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt nicht vollumfänglich umsetze.

Demnach gelte für die Beschuldigten die Unschuldsvermutung. „Formaljuristisch mag das stimmen“, so die Betroffenenvertreter. Ein so lapidarer Umgang mit formaljuristischen Floskeln allerdings könne von Betroffenen „und psychisch traumatisierten Menschen als erneuter Zweifel ihrer Glaubwürdigkeit gelesen werden“. Man verwahre sich ausdrücklich gegen „diese Art des Säens subtilen unterschwelligen Zweifels“. Diese Behauptung der Unschuldsvermutung, die in historischer Dimension durch übereinstimmende Schilderungen unterschiedlicher Betroffener hinreichend widerlegt sei, könnte durchaus als Ablenkungsmanöver gedeutet werden, um „von der eigenen systemischen Schuld der Organisation abzulenken“. Denn die Kirche habe durch ihre Art etwa die Personalakten zu führen oder durch das Verhalten der verantwortlichen Personalchefs eine Verschleierung der Taten erst ermöglicht. „Hätte man sich juristisch korrekt verhalten, wären ja eine Vielzahl von Taten aufgedeckt worden, viele Taten wären verhindert worden.“ Insgesamt zeichne sich das Bild einer Täterorganisation.

Vorwurf: Intransparenz und „massive Retraumatisierung“ der Missbrauchsopfer

Das Bistum verweist auf das Verfahren der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), die Geldzahlungen an Betroffene festsetzt – als freiwillige Leistung, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, als eine niedrigschwellige Vorgehensweise, die Betroffenen Belastungen, Retraumatisierungen und Kostenrisiken erspare. „Die Behauptung der Unabhängigkeit ist durch die völlige Intransparenz (...) zu hinterfragen“, so dagegen der Betroffenenrat. Die UKA werde von der Bischofskonferenz berufen, die zunächst Zahlungshöhen festgesetzt habe.

Es gebe zudem in mehreren Fällen massive Beschwerden über die Qualität der Gespräche mit den Betroffenen – über formale Achtlosigkeiten bis hin zu mangelnder Sensibilität. „Da hat es in Einzelfällen massive Retraumatisierungen gegeben“, so die Betroffenenvertreter: Dass man die gerade verhindern wolle, „grenzt an das Eingeständnis der fachlichen Stümperhaftigkeit einer Großinstitution, die nichts in diesem Bereich evaluiert und kein Monitoring kennt.“ Manches Erstgespräch erinnere an inquisitorische, hochnotpeinliche Befragungen bis in alle Details – ohne Zeugen. Die psychische Verfassung der Betroffenen spiele gar keine Rolle, was von geringer psychologischer Expertise und seelsorgerlicher Fehleinschätzung zeuge.

Erzbistum Paderborn: Dialog in „sehr schwieriger Situation“ weiterführen

Das Erzbistum hat Kenntnis erhalten von der Mitteilung und den darin enthaltenen Vorwürfen der Betroffenenvertretung. Der Diözesanadministrator hatte deren Sprecher der Betroffenenvertretung vor der Veröffentlichung des FAQ in einer Videokonferenz vorab informiert, teilt die Pressestelle des Erzbistums auf Anfrage mit: „Bereits in dem Rahmen zeichnete sich ab und ist auch völlig verständlich, dass die Positionen der Betroffenenvertretung und des Erzbistums in manchen Teilen unterschiedlich sind und dass die Sprecher dies auch mitteilen.“

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In einem weiteren bereits terminierten Gespräch möchte sich die Bistumsleitung demnach zunächst mit den Sprechern des Betroffenenrats weiter austauschen. Dass der gut begonnene Dialog aufrechterhalten wird und trotz einer insgesamt sehr schwierigen Situation weitergeführt werden kann, sei den Verantwortlichen im Erzbistum ein aufrichtiges Anliegen, heißt es weiter.