Netphen/Paderborn. Wie viel Geld ist genug für 50-fachen Missbrauch eines Kindes durch damaligen Netphener Pfarrer? Erzbistum will Opfer nicht weiter entschädigen.
Das Erzbistum Paderborn lehnt eine außergerichtliche Einigung ab. Die hatte Michael Schoppe über seinen Anwalt Christian Roßmüller angeboten: Schoppe, 55, war als Kind vom damaligen Netphener Gemeindepfarrer mehrfach schwer sexuell missbraucht worden. Dafür strebt er Schadenersatz und Schmerzensgeld an – mehr als die 38.000 Euro in mehreren Teilbeträgen, die die Kirche ihm bereits gezahlt hat. Diese Summe sei im Verhältnis zur Schwere der Taten und ihren Folgen völlig unangemessen.
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Das Erzbistum lehnt außergerichtliche Verständigungen aus grundsätzlichen Erwägungen ab, heißt es in einer am Dienstag, 31. Oktober, verbreiteten Presseerklärung. Michael Schoppe hatte bis zuletzt gehofft, dass die Kirche sein Leid anerkennen würde und bemüht sich seit Monaten auch mit öffentlichen Aktionen um einen Dialog mit der Kirche. Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen würden das etablierte Anerkennungsverfahren „delegitimieren und beschädigen“, so hingegen das Erzbistum. Bei außergerichtlichen Einigungen würde es letztlich auch an einer unabhängigen dritten Instanz fehlen, wie es im Verfahren der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) sowie bei staatlichen Prozessen gegeben sei.
Essener Anwalt hat in Köln 300.000 Euro für Missbrauchsopfer erstritten
Christian Roßmüller war es gelungen, für ein anderes Missbrauchsopfer vor dem Landgericht Köln 300.000 Euro Schmerzensgeld zu erstreiten. Das Wegweisende an dem Kölner Urteil ist deutschlandweit zur Kenntnis genommen worden: Erstmals wurde ein Erzbistum zivilrechtlich in Haftung genommen; bis dahin war der Blick auf die strafrechtliche Verfolgung gelenkt, die oft ergebnislos bleiben musste, weil der tatverdächtige Geistliche nicht mehr lebte. Und erstmals wurde ein Geldbetrag von einem staatlichen Gericht festgesetzt. Bis dahin bestimmte die Kirche selbst, wie sie die „Anerkennung des Ihnen widerfahrenen Leids“ – so der dortige Sprachgebrauch – bewertete. In dem Kölner Prozess hat sich die Kirche nicht mit der Einrede der Verjährung widersetzt und das Urteil angenommen.
Auch für Michael Schoppe strebt Roßmüller im Fall der Klageerhebung eine Entschädigung an, die „sicherlich im hohen sechsstelligen Bereich liegen“ dürfte, „wenn nicht gar darüber“. Das Erzbistum verweist darauf, dass es Betroffenen „selbstverständlich frei“ stehe, „den Klageweg zu beschreiten“.
In dem Antwortschreiben an Anwalt Christian Roßmüller, das dieser Redaktion vorliegt, wird die Rechtsvertretung des Erzbistums deutlicher.
Erzbistum Köln verteidigte sich nicht gegen Zivikklage – Paderborn will das tun
Die UKA-Verfahren unterschieden sich „deutlich von einem gewöhnlichen Zivilverfahren“ – man habe Betroffenen damit unter anderem Belastungen, Retraumatisierungen und erhebliche Kosten ersparen wollen, es sei bundeseinheitlich geregelt, etwaige Zahlungen würden durch ein unabhängiges Gremium festgelegt. Lasse sich das Bistum nun auf direkte Verhandlungen mit Opfern ein, werde dieses Verfahren beschädigt und entwertet. „Ihr Mandant hat (...) Zahlungen in Höhe von insgesamt 38.000,00 Euro erhalten (...) Darüber hinaus gehende Ansprüche stehen Ihrem Mandanten unseres Erachtens nicht zu“, heißt es weiter.
Besagtes Urteil des Landgerichts Köln als „absolute Einzelfallentscheidung“ sei in „vielen Punkten nicht nachvollziehbar“. Die Entscheidung sei wohl nur erklärbar, weil sich das Erzbistum Köln nicht gegen die Klage verteidigt und auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Das Gericht habe den Sachverhalt daher als unstreitig zugrunde gelegt. Das Erzbistum Paderborn hingegen, kündigt der Rechtsanwalt an, werde sich sehr wohl juristisch zur Wehr setzen und sei „nicht bereit, auf die Einrede der Verjährung als prozessuales Gestaltungsmittel zu verzichten“.
Missbrauch in Netphen: Katholische Kirche findet angestrebtes Schmerzensgeld zu hoch
Ferner müsse auch geklärt werden, „ob behauptete Taten im Rahmen kirchlicher Aufgabenerfüllung geschehen sind“. Michael Schoppe wurde 1977 über sieben Monate lang vom Pfarrer der St. Martin-Gemeinde, der an der Grundschule in Niedernetphen Religionsunterricht erteilte, 40 bis 50 Mal sexuell missbraucht. Der damals Zehnjährige war auch Ministrant – was dazu führt, dass ihm für den „Arbeitsunfall“, sprich: sexuellen Missbrauch, eine Berufsunfähigkeitsrente zusteht. Für die Taten bezahlte ihn der Pfarrer jeweils mit fünf Mark. Der Anwalt des Erzbistums erwarte, dass Schoppe das belegen kann, er werde aber nur Erfolg haben, wenn er „sämtliche Anspruchsvoraussetzungen beweisen kann“. Der Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Thomas Wendland, hat diese laut Anwalt Christian Roßmüller in entsprechenden Korrespondenzen bestätigt.
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„Auch das vom Landgericht Köln ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro ist der Höhe nach nicht angemessen bzw. nicht nachvollziehbar“, schreibt die vom Erzbistum Paderborn beauftragte Anwaltskanzlei weiter. Das Gericht habe sich dabei offenbar an Entscheidungen zu Arzthaftungsfällen orientiert, die „auf Fälle von sexuellen Übergriffen nicht übertragbar“ seien. Die UKA habe sich bei der Summe für Michael Schoppe an entsprechenden Gerichtsurteilen orientiert. Demnach sprach das Oberlandesgericht Hamm einem Missbrauchsopfer im Jahr 2015 Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 Euro zu – für 66 Fälle sexuellen Missbrauchs und 31 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs über einen langen Zeitraum. Michael Schoppe sei „nach seinen Angaben“ über einen Zeitraum von etwa sieben Monaten 40 bis 50 Mal missbraucht worden. Wie Roßmüller auf eine „angeblich angemessene Forderung im hohen sechsstelligen Bereich (...)“ komme, „erschließt sich nicht“.