Netphen. Michael Schoppe ist sexuell missbraucht worden – von seinem Netphener Pfarrer. Nun strebt er eine Klage gegen das Erzbistum an.

Im Februar 2023 hat Michael Schoppe in Netphen öffentlich gemacht, wie ihn der damalige Gemeindepfarrer als Kind sexuell missbraucht hat. Jetzt geht der 55-Jährige einen Schritt weiter: Er strebt auf gerichtlichem Weg Schadensersatz und Schmerzensgeld an – er wäre in Deutschland der zweite Betroffene, dem dies gelingt, nachdem in einem ersten Urteil das Landgericht Köln das dortige Erzbistum verurteilt hat. Michael Schoppe hat denselben Anwalt, dem es in Köln gelang, 300.000 Euro Schmerzensgeld zu erstreiten.

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Das Wegweisende an dem Kölner Urteil ist deutschlandweit zur Kenntnis genommen worden: Erstmals wurde ein Erzbistum zivilrechtlich in Haftung genommen; bis dahin war der Blick auf die strafrechtliche Verfolgung gelenkt, die oft ergebnislos bleiben musste, weil der tatverdächtige Geistliche nicht mehr lebte. Und erstmals wurde ein Geldbetrag von einem staatlichen Gericht festgesetzt. Bis dahin bestimmte die Kirche selbst, wie sie die „Anerkennung des Ihnen widerfahrenen Leids“ – so der dortige Sprachgebrauch – bewertete. In dem Kölner Prozess hat sich die Kirche nicht mit der Einrede der Verjährung widersetzt und das Urteil angenommen.

Michael Schoppe wird von Anwalt des Köln-Prozesses vertreten

Christian Roßmüller, Rechtsanwalt aus Essen, hat für Michael Schoppe beim Erzbistum Paderborn zunächst angefragt, ob es bereit sei, „mit mir über den Anspruch zu verhandeln und eine angemessene Entschädigung zu vereinbaren, diese wird sicherlich im hohen sechsstelligen Bereich liegen, wenn nicht gar darüber.“ Die bisherige Geldzahlung der Kirche – in mehreren Teilbeträgen 38.000 Euro – sei „im Verhältnis zur Schwere der Tat und Schwere der Folgen völlig unangemessen“.

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Michael Schoppe, geboren in Plettenberg, wurde 1977 über sieben Monate vom Pfarrer der St. Martin-Gemeinde, der an der Grundschule in Niedernetphen Religionsunterricht erteilte, 40 bis 50 Mal sexuell missbraucht. Der damals Zehnjährige war auch Ministrant – was dazu führt, dass ihm für den „Arbeitsunfall“, sprich: sexuellen Missbrauch, eine Berufsunfähigkeitsrente zusteht. Die Taten, die der Pfarrer jeweils mit fünf Mark bezahlte, hatten Folgen: Michael Schoppe verletzte sich selbst, kam 1983 erstmals für mehrerer Monate in stationäre psychiatrische Behandlung. Inzwischen wird ihm eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.

„Bischöfe missbrauchen das Wort Missbrauch“

Ende 2022 kam es zu dem entscheidenden Kontakt mit Bruno Glomski, dem Missbrauchsbeauftragten der Netphener Kirchengemeinde. Es folgte im Februar eine öffentliche Veranstaltung im Forum des Gymnasiums, dem sich eine weitere nicht öffentliche Zusammenkunft innerhalb der Gemeinde anschloss. Der Sprecher der Betroffenenvertretung war nach Netphen gekommen, ebenso der Interventionsbeauftragte des Erzbistums. Euphorisch wurde von einem „Netphener Modell“ gesprochen, wie Missbrauch durch Geistliche aufgearbeitet werden kann.

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Michael Schoppe wurde schnell enttäuscht, das „Netphener Modell“ wurde keines, das Interesse am Dialog mit den Opfern des Missbrauchs sieht Michael Schoppe erlahmen. „Kein Wort oder Begriff wurde so oft von Bischöfen missbraucht wie das Wort ‘Missbrauch’ selbst“, schreibt er auf seiner Instagram-Seite #churchwashing – den Begriff definiert Michael Schoppe selbst als „Marketingmaßnahmen, bei denen die katholische Kirche, Verbände und Verbünde mit Hilfe von moralisch und sozial verbundenen Kampagnen, Botschaften und Bekenntnisse ihr Image verbessern wollen“.

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„Mein Leben geht den Bach runter“

Als „Anstellungskörperschaft“ sieht Rechtsanwalt Christian Roßmüller das Erzbistum in der „Amtshaftung“ für die Taten, die dem 2007 im Alter von 93 Jahren verstorbenen Pfarrer zur Last gelegt werden. Es habe sich um schweren sexuellem Missbrauch gehandelt, dessen Folgen das Opfer lebenslänglich treffen. Michael Schoppe lebt heute nach mehreren schweren Erkrankungen als Erwerbsunfähigkeitsrentner in Bremen. Sein Vorhaben. sich beim Liborifest in Paderborn dem Prozessionszug in den Weg zu stellen, gab er auf. Ihm sollte ein fester, von der Polizei bewachter Platz zugewiesen werden. „Mein Leben geht den Bach runter und das interessiert die nicht“, sagte Michael Schoppe dieser Zeitung im Juli. Das wolle er ihnen nicht durchgehen lassen. Nun könnte er an einem Kapitel Rechtsgeschichte mitschreiben.

Das Erzbistum Paderborn hat auf Anfrage dieser Zeitung zu der aktuellen Entwicklung Stellung genommen: „Wir bestätigen den Eingang des Schreibens des Anwalts und prüfen aktuell, wie damit umgegangen wird.“

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