Netphen. Immer voller wird das Konto mit „Ersatzgeldern“ vor allem durch den Bau von Windrädern. Händeringend gesucht werden Möglichkeiten zum Ausgeben.

Michael Gertz, Leiter des Amtes für Natur und Landschaft in der Kreisverwaltung, bedankt sich für die Einladung, als er im Netphener Ratssaal seinen Vortrag vor dem Umweltausschuss beginnt. Das tun zwar alle, die von der örtlichen Politik gebeten werden, über ihre Arbeit zu berichten. Bei Michael Gertz ist der Dank jedoch mehr als pflichtschuldig. Denn er hat ein Problem: zu viel Geld, das er gern ausgeben würde, wenn er nur wüsste wofür.

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Wo das Geld herkommt

Es geht um die „Ersatzgelder“. Das sind Geldbeträge, die bezahlt werden müssen, wenn ein Bauvorhaben in Natur und Landschaft eingreift und wenn die Verursacher nicht selbst für ökologischen Ausgleich sorgen oder Ökopunkte einsetzen können. Allein im vorigen Jahr wurden 473.000 Euro Ersatzgeld an die Naturschutzbehörde gezahlt, insgesamt waren zu Jahresbeginn 726.000 Euro auf dem Konto. Innerhalb von vier Jahren muss eine Einzahlung auch wieder ausgegeben werden, sonst greift die Bezirksregierung sich das Geld. „Das wäre ein Fiasko“, sagt Michael Gertz.

Warum Ausgaben schwer fällt

Ausgeben ist allerdings nicht einfach – voriges Jahr wurden gerade einmal 70.000 Euro untergebracht. Das Geld wurde unter anderem verwendet für Saatgut für Blühflächen, für Gerätemieten, Grünlandpflege, Waldverbesserung und Obstbaumpflege. Grundsätzlich, so Michael Gertz, werden Maßnahmen außerhalb der Ortslagen, auf land- oder forstwirtschaftlichen Flächen oder an Gewässern bezahlt. Wenn eine Stadt zum Beispiel mit Landeszuschüssen ein Gewässer naturnäher gestaltet, könnte sie sich ihren Eigenanteil vom Kreis durch Ersatzgelder finanzieren lassen. Beispielhaft nennt Michael Gertz das Hecken-, das Streuobstwiesen- und das Blühwiesenprogramm des Kreises, in der Vergangenheit wurden oft auch noch Tallagen „entfichtet“. Ersatzgeld kann auch eingesetzt werden für die Bekämpfung von Neophyten wie dem drüsigen Springkraut oder dem Bärenklau – nur nachhaltig muss das sein. Einmalige Aktionen reichen da nicht aus – weshalb das Geld zum Beispiel auch nicht für eine „Aktion Saubere Landschaft“ verwendet werden kann. Auch für Balkonblumenkästen gibt es nichts. Und auch für alles andere nicht, zu dem die Stadt sowieso rechtlich verpflichtet ist.

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Netphener haben Ideen

„Ich habe das Gefühl, da kommt ganz viel Geld runtergeregnet“, meint Dorothee Spies (CDU). Da täuscht sie sich. Schon ihr Vorschlag, mit dem Ersatzgeld die Bäume zu pflegen, die der Kreis als Naturdenkmale nicht mehr schützen will, läuft ins Leere. Wenn so ein Baum bloß erhalten bleibt, werde damit keine Verbesserung erreicht, wendet Michael Gertz die Ersatzgeld-Logik an. Wie es denn dann mit Schutzmaßnahmen gegen den Verbiss frisch gepflanzter Bäume wäre, regt Silvia Glomski (Grüne) an. Wenn hungrige Rehe die Bäume anknabbern, weil zu viel Wild im Wald ist, „liegt die Verantwortung erst einmal beim Jagdausübungsberechtigten“, antwortet Michael Gertz. Annette Scholl (SPD) gibt sich ihre Antwort selbst: Der ökologische Ausgleich für das neue Feuerwehrgerätehaus an der Sieg in Nenkersdorf wäre es dann wohl auch nicht – zu dem ist die Stadt ja sowieso verpflichtet. „Wir haben ja auch städtische Streuobstwiesen“, fällt Elke Bruch (SPD) ein. Auch da ist Michael Gertz vorsichtig: Wenn die Obstbäume zum Ausgleich für ein Bauvorhaben an anderer Stelle gepflanzt wurden, muss die Stadt die Pflege auch selbst bezahlen.

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Die Stadt selbst würde die Ersatzgelder gern für ihren Eigenanteil an Gewässerrenaturierungen verwenden, sagt Tiefbau-Fachbereichsleiter Rainer Schild. Nur: Die Fördermittel des Landes fließen nur noch spärlich, berichtet Schild. Zuschüsse gebe es „inzwischen vorrangig für den Hochwasserschutz“. Für andere Vorhaben, bei denen Ersatzgelder untergebracht werden dürfen, kämen vor allem Privatleute in Frage. „Das sind keine kommunalen Pflichtaufgaben.“ Trotzdem: Der Leiter der Naturschutzbehörde ermuntert die Netphener zur Kreativität: „Keine Idee ist so verrückt, dass man sie nicht erst einmal einbringen kann“, sagt Michael Gertz.

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Was jetzt noch kommt

Wie groß die Not ist, Geld unterzubringen, zeigen die aktuellen Beschlussvorlagen für Umweltausschuss und Kreistag: „Zur Sicherstellung der zweckentsprechenden und gezielten Verwendung von Ersatzgeldern“ soll eine auf drei Jahre befristete Personalstelle neu eingerichtet werden. „Eine zweckentsprechende, gezielte und zugleich fristgemäße Verausgabung der eingehenden Ersatzgelder ist (...) erkennbar aktuell nicht zu gewährleisten“, heißt es in der Vorlage. Vor allem Genehmigungsverfahren für Breitbandausbau und Windenergieanlagen binden Kapazitäten. Derweil wird sich das Konto der Behörde noch ordentlich füllen: Allein für vier Windräder in Gilsbach und Wilden wurde ein Ersatzgeld von fast 367.000 Euro festgesetzt, für die 42 Anlagen von Westfalenwind in Bad Berleburg und Erndtebrück 4,5 Millionen Euro. „Wir werden irgendwann über Millionenbeträge verfügen“, kündigt Michael Gertz in Netphen an.

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