Hilchenbach. Um die 70 Bäume im Kreisgebiet sollen die Naturdenkmal-Plakette verlieren. Die Naturschutzverbände machen mobil. Es gibt eine Online-Petition

Wer zu den Hilchenbacher Klimawelten mit dem Auto den Kirchweg hinauffährt, kommt an der Friedenseiche vorbei. Seit 1866. dem Ende des Kriegs zwischen Preußen und Österreich, steht sie vor der Kirche – und da soll sie auch bleiben. Die Naturdenkmalplakette bleibt auf dem Stamm, der auf 2,30 Meter Umfang gewachsen ist. Eine von 168 innerhalb von Ortslagen, wenn es nach dem Willen der Naturschutzbehörde des Kreises Siegen-Wittgenstein geht. Eine von 236 müsste es sein, finden Naturschutzbeirat und Naturschutzverbände.

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Naturschutzbund (Nabu), Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund), Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) und AG Rothaargebirge machen gemeinsam mobil: „Jetzt gibt es noch Möglichkeiten, das abzuwenden“, sagt Nabu-Kreisvorsitzende Prof. Dr. Klaudia Witte. Sie ruft dazu auf, die Frist bis 15. September zu nutzen und Einsprüche gegen die neue Naturdenkmalverordnung einzulegen. Unterstützung für das Anliegen leisten die bisher 60 Unterzeichner der Online-Petition „Rettet die Baumdenkmale in Siegen-Wittgenstein“ auf change.org.

Das ist bisher passiert: Debatte seit fast drei Jahren

Die Geschichte reicht zurück bis in den Herbst 2020. Damals brachte die Kreisverwaltung einen ersten Entwurf einer neuen Naturdenkmalverordnung in die Gremien. Das musste sein, weil der damals gültige Denkmalschutz zum 9. Dezember 2021 ablief. Es gab Widerspruch, aktuell gilt die unverändert übernommene alte Verordnung, die der Kreistag neu beschloss – bereinigt um 30 gar nicht mehr vorhandene Bäume. Es folgte eine Zeit der Überarbeitung und Begutachtung, der Naturschutzbeirat setzte eine Arbeitsgruppe ein. „Die hat sich jeden einzelnen Baum angesehen“, berichtet Klaudia Witte.

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Am Ende kam kein Konsens heraus. Wenn der Kreistag den Vorschlag der Verwaltung im Dezember beschließt, verlieren um die 70 Naturdenkmale und geschützte Landschaftsbestandteile ihren Schutzstatus. „Die Zahl der Bäume ist viel höher“, betont Michael Düben – in Bad Berleburg zum Beispiel sind mit einer Plakette gleich um die 60 Bäume als Landschaftsbestandteil geschützt, in Netphen mit der 270 Jahre alten Ehreneiche auch ein ganzer Gehölzstreifen.

Das liegt jetzt an: 168 oder 236 Naturdenkmale?

163 bereits geschützte und fünf neu zu schützende Bäume schlägt die Kreisverwaltung jetzt vor, macht 168, immerhin 14 mehr als vor drei Jahren. 236 Bäume hält der Naturschutzbeirat aktuell für schutzwürdig, darunter 23 neu einzutragende – also auch hier Abstriche von den zuletzt 267 geschützten Bäumen. „Irgendwann ist auch das Leben eines Baumes einmal zu Ende“, sagt Biologin Klaudia Witte. Um so wichtiger sei es aber, nachgewachsene Bäume zu schützen.

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Klaudia Witte rechnet am Beispiel einer hundertjährigen Buche: Diese halte täglich 18 Kilo Kohlendioxid ais der Atmosphäre heraus und erzeuge 13 Kilo Sauerstoff – den täglichen Bedarf von 13 Menschen. Um diese Buche zu ersetzen, müssten um die 2500 junge Bäume neu gepflanzt werden, die eine Fläche von zwei Fußballfeldern füllten. Bäume machten das Stadtklima gerade im Sommer erträglicher. „Sie sind für uns auch Lebensbegleiter.“ Die Wissenschaftler regt an, die Samen von Stadtbäumen zu konservieren: „Sie können in Innenstädten viel besser wurzeln als x-beliebige Bäume aus einer Baumschule.“

Naturdenkmale sollen bleiben

Im Kreuztaler Infrastrukturausschuss wird die Naturdenkmalverordnung am Montag, 28. August, behandelt. Von bisher 77 geschützten Bäumen und Landschaftsbestandteilen sollen 16 ihren Schutzstatus verlieren.

Im Entwurf der Stellungnahme fordert die Stadt, alle 16 Bäume weiter zu schützen, und meldet eine früher schon einmal als Naturdenkmal eingetragene Hainbuch in der Kindelsbergstraße in Ferndorf erneut unter Schutz zu stellen.

„Es ist diesseits in keiner Weise nachvollziehbar, warum die UNB Untere Naturschutzbehörde, d.Red.) der Empfehlung der AG (des Naturschutzbeirats, d. Red.) nicht folgt, obwohl diese oftmals zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Objekte schutzwürdig sind.“

Das ist der Konflikt: Behörde gegen Verbände

Bärbel Gelling (Bund) verweist auf die Stadt Siegen, die den Herrengarten zur „grünen Oase“ mache: „Da muss man mal gegenhalten, was der Kreis sich leistet.“ Die Kreisverwaltung, mit vom Kreistag neu beschlossenen Kriterien im Rücken, argumentiert so: Wenn eine Stadt Bäume aus Klima- und Naturschutzgründen schützen will, kann sie das mit einer Baumschutzsatzung tun – dafür sei der Denkmalschutz nicht da. Außerdem: Ein Eigentümer sei ja nicht verpflichtet, einen nicht geschützten Baum zu fällen.

Vereint für den Erhalt von Naturdenkmalen: Dieter Tröps, Prof. Dr. Klaudia Witte, Alfred Raab, Wolfgang Weber-Barteit, Ulrich Freudenberge, Bärbel Gelling (von links). 
Vereint für den Erhalt von Naturdenkmalen: Dieter Tröps, Prof. Dr. Klaudia Witte, Alfred Raab, Wolfgang Weber-Barteit, Ulrich Freudenberge, Bärbel Gelling (von links).  © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Klaudia Witte glaubt das nicht: „Manche Eigentümer warten nur darauf.“ Zumindest die, die sich von Laub und Schattenwurf gestört fühlen oder die aus Altersgründen den Baum nicht selbst pflegen und sich den Auftrag an einen Gärtner nicht leisten können. „Es gibt auch junge Leute, die zu faul sind, die Straße zu kehren“, ergänzt Dieter Tröps.

Baumschutzsatzung ist keine Alternative

Michael Düben berichtet, dass die Naturschutzbehörde die Eigentümer der Vielleicht-bald-nicht-mehr-Denkmäler bereits angeschrieben habe, mit der Zusage, dass der Kreis ihnen ihren Baum „in einem verkehrssicheren Zustand“ übergeben werde: „Ganz schön frech.“ 40.000 Euro gibt der Kreis im Jahr für die Pflege der Naturdenkmale aus. Die für Klimaschutz, Klimaanpassung und Nachhaltigkeit eingesetzten Beschäftigten seien viel teurer: „Komisch, dass die sich nicht dazu äußern.“ Eine Baumschutzsatzung – im Kreisgebiet hat nur die Stadt Siegen eine – sei keine Alternative, sagt Bärbel Gelling. Auch geschützte Bäume (mindestens einen Meter Stammumfang, keine Fichte, Birke oder Weide) dürften gefällt werden: „Der Bürger muss nur einen Antrag stellen.“

Zweifel haben die Naturschutzverbände an der Qualität der Begründungen, mit denen der Naturdenkmalschutz aufgehoben werden soll. So stehen hundert Jahre alte Berghorne in Kredenbach auf der Streichliste, eine Rotbuche neben dem Kaisergartenbunker und die Blutbuche am Weidenauer Siegbogen, für die zwar die Nachbarn kämpfen, nicht aber der Eigentümer, die Kreiswohnungsbau- und -siedlungsgenossenschaft. „Der möchte da möglicherweise bauen“, vermutet Klaudia Witte. Dass die noch geschützten Bäume allesamt ortsbildprägend seien, stehe außer Frage. Und auch bei weiteren Bäumen sei fragwürdig, ob sie tatsächlich für Dritte „erlebbar“ sein müssten, findet Alfred Raab (Nabu, BUND): „Das ist doch kein sachlicher Grund.“ Wolfgang Weber-Barteit (AG Rothaargebirge) hat Textbausteine entdeckt: Bei der Ehreneiche in Netphen sei niemals eine „Felsformation“ im Spiel gewesen, es gehe um ein Bachtal. „Die verstecken sich hinter Paragrafen.“

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Unumstrittenes Naturdenkmal: die 1886 gepflanzte Friedenseiche am Jung-Stilling-Denkmal vor der Hilchenbacher Kirche.
Unumstrittenes Naturdenkmal: die 1886 gepflanzte Friedenseiche am Jung-Stilling-Denkmal vor der Hilchenbacher Kirche. © Steffen Schwab | Steffen Schwab